Im Verhalten oft Auffällige könnte Anwältin werden
Zulassung. Trotz vieler Disziplinarverfahren und strafrechtlicher Verurteilung, die sie verschwieg: OGH gibt Juristin neue Chance.
Sie war schon Konzipientin bei einem Anwalt, als dieser verstarb. Ihr Ausbildungsverhältnis erlosch dadurch, und sie wurde von der Liste der Rechtsanwaltsanwärter gestrichen. Um wieder auf diese zu kommen, musste die Juristin eine Wiedereintragung in die Liste der Konzipienten beantragen. Doch dafür wurde eine neue Prüfung ihrer Vertrauenswürdigkeit nötig, und die Rechtsanwaltsanwärterin war in den Jahren zuvor wiederholt mit ihrem Verhalten aufgefallen.
Neben mehreren disziplinarrechtlichen Problemen entzündete sich der Streit vor allem an der Frage, ob die Frau der Kammer ihre strafrechtliche Verurteilung hätte bekanntgeben müssen. Die Anwaltskammer wollte die Frau nicht mehr als Konzipientin zulassen, der Oberste Gerichtshof (OGH) aber gibt der Juristin nun die Chance, doch noch ihr Ziel zu erreichen.
Die Frau war bereits siebeneinhalb Jahre lang, von Juni 2012 bis Dezember 2019, Anwaltsanwärterin gewesen. Nach fünfjähriger praktischer Berufsausbildung (davon zumindest drei Jahre beim Anwalt und wenigstens sieben Monaten bei Gericht) kann man als Konzipientin Anwalt werden, wenn man die Prüfungen dafür erfolgreich absolviert.
Als die Frau 2019 von der Liste der Konzipienten gestrichen wurde, waren gegen sie drei Anzeigen beim Wiener Kammeranwalt und 14 Verfahren beim Disziplinarrat der Wiener Anwaltskammer anhängig. Drei weitere Verfahren, in denen die Frau in erster Instanz schuldig gesprochen worden war, lagen noch beim OGH. Dann gab es sechs weitere Verfahren, in denen es aber zu Einstellungen, Rücklegungen oder Freisprüchen gekommen war, in zwei Fällen waren diese Entscheidungen jedoch nicht rechtskräftig. Und als die Frau wegen des Tods ihres Ausbildungsanwalts von der Liste gestrichen wurde, wurden auch all ihre Disziplinarverfahren abgebrochen.
Versucht, Mann aus Auto zu ziehen
Daneben gab es aber auch ein strafrechtliches Problem. Noch während ihrer Konzipientenzeit war die Frau im September 2019 vom Straflandesgericht Graz erstinstanzlich zu 120 Tagessätzen à neun Euro verurteilt worden. Wegen versuchter Nötigung, weil sie 2015 einen im Auto sitzenden Mann am rechten Oberarm gepackt und versucht hatte, ihn aus dem Fahrzeug zu ziehen. Das Urteil wurde im Dezember 2020 durch Entscheidung des Oberlandesgerichts Graz rechtskräftig.
Bereits davor, im September 2020, hatte die Frau die Wiedereintragung als Rechtsanwaltsanwärterin bei der Wiener Kammer beantragt. Diese ließ die Juristin abblitzen. Darauf absolvierte sie von Mitte 2021 bis Anfang 2022 ihre Gerichtspraxis im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien, um im Mai 2022 bei der Salzburger Rechtsanwaltskammer ihr Glück zu versuchen. Zur Zulassung als Konzipientin erklärte die Frau an Eides statt, dass sie wegen keiner gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt wurde und kein solches Verfahren gegen sie anhängig sei. „Diese Erklärung gilt unbeschadet des Tilgungsgesetzes“, stand in dem Dokument, das die Frau unterfertigte.
Doch die Salzburger Anwaltskammer erfuhr von der Verurteilung in Graz der zuvor in Wien tätigen Frau. Die Juristin habe eine unrichtige eidesstättige Erklärung abgegeben und sei deswegen vertrauensunwürdig, meinte nun auch die Salzburger Kammer. Konkret deren Abteilung 1, die per Bescheid den Antrag der Frau auf Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwaltswärter abwies. Dagegen beschwerte sich die Juristin beim Ausschuss der Kammer, der aber ebenfalls gegen die Frau entschied. Schon allein der Umstand, dass sie ihre rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung nicht angegeben habe, mache sie vertrauensunwürdig. Zu der unrichtigen eidesstättigen Erklärung kämen noch die vielen Disziplinarverfahren dazu.
Die Juristin ging vor den OGH. Auch er betonte, dass die Vertrauensunwürdigkeit der Frau vor der Wiederaufnahme in die Konzipientenliste neu zu prüfen sei. Auch wenn sie nichts dafür könne, dass ihr altes Ausbildungsverhältnis durch Tod des Anwalts erloschen sei. Zu prüfen sei nun, „ob das gesamte berufliche und charakterliche Verhalten eine in jeder Hinsicht korrekte und absolut verlässliche Berufsausübung erwarten lässt“.
Dazu gehöre grundsätzlich auch, bei der eidesstättigen Erklärung die Wahrheit über strafrechtliche Verurteilungen zu sagen, meinte der OGH. Doch laut dem Tilgungsgesetz sei bei Strafen, die geringer als drei Monate Haft ausfallen, bereits ab Rechtskraft nur noch wenigen Stellen Auskunft darüber zu geben. Nämlich etwa Gerichten, Finanzoder Passbehörden; die Anwaltskammer kommt aber in der gesetzlichen Aufzählung nicht vor. Diese Norm schlage durch, die Nichterwähnung der Tat dürfe man der Frau deswegen nicht vorwerfen.
Im Streit ums Erbe darf man mehr
Und die Nötigung selbst? Diese sei zumindest laut der Frau im Zuge einer familiären Streitigkeit um eine Erbschaft passiert. Das würde zwar das Verhalten der Juristin nicht entschuldigen, aber es könnte die Tat „in einem wesentlich milderen Licht erscheinen lassen“, meinte der OGH (19 Ob 2/23t). Und auch ihr sonstiges Vorleben ist dem OGH zu wenig für einen fixen Ausschluss der Frau vom (künftigen) Anwaltsberuf. „Die bloße Tatsache – selbst in erheblicher Anzahl – eingeleiteter Disziplinarverfahren reicht ohne deren rechtskräftige Erledigung und ohne umfassende Feststellung jener Sachverhalte, die zu den Disziplinarverfahren geführt haben, zur Annahme der Vertrauensunwürdigkeit nicht aus.“
Der OGH (19 Ob 2/23t) gab somit der Berufung der Frau Folge. Der Ausschuss der Salzburger Rechtsanwaltskammer muss nun die Umstände der einstigen Nötigung genauer ergründen und neu darüber entscheiden, ob die Frau wieder Konzipientin werden darf.