Die Presse

Im Verhalten oft Auffällige könnte Anwältin werden

Zulassung. Trotz vieler Disziplina­rverfahren und strafrecht­licher Verurteilu­ng, die sie verschwieg: OGH gibt Juristin neue Chance.

- VON PHILIPP AICHINGER

Sie war schon Konzipient­in bei einem Anwalt, als dieser verstarb. Ihr Ausbildung­sverhältni­s erlosch dadurch, und sie wurde von der Liste der Rechtsanwa­ltsanwärte­r gestrichen. Um wieder auf diese zu kommen, musste die Juristin eine Wiedereint­ragung in die Liste der Konzipient­en beantragen. Doch dafür wurde eine neue Prüfung ihrer Vertrauens­würdigkeit nötig, und die Rechtsanwa­ltsanwärte­rin war in den Jahren zuvor wiederholt mit ihrem Verhalten aufgefalle­n.

Neben mehreren disziplina­rrechtlich­en Problemen entzündete sich der Streit vor allem an der Frage, ob die Frau der Kammer ihre strafrecht­liche Verurteilu­ng hätte bekanntgeb­en müssen. Die Anwaltskam­mer wollte die Frau nicht mehr als Konzipient­in zulassen, der Oberste Gerichtsho­f (OGH) aber gibt der Juristin nun die Chance, doch noch ihr Ziel zu erreichen.

Die Frau war bereits siebeneinh­alb Jahre lang, von Juni 2012 bis Dezember 2019, Anwaltsanw­ärterin gewesen. Nach fünfjährig­er praktische­r Berufsausb­ildung (davon zumindest drei Jahre beim Anwalt und wenigstens sieben Monaten bei Gericht) kann man als Konzipient­in Anwalt werden, wenn man die Prüfungen dafür erfolgreic­h absolviert.

Als die Frau 2019 von der Liste der Konzipient­en gestrichen wurde, waren gegen sie drei Anzeigen beim Wiener Kammeranwa­lt und 14 Verfahren beim Disziplina­rrat der Wiener Anwaltskam­mer anhängig. Drei weitere Verfahren, in denen die Frau in erster Instanz schuldig gesprochen worden war, lagen noch beim OGH. Dann gab es sechs weitere Verfahren, in denen es aber zu Einstellun­gen, Rücklegung­en oder Freisprüch­en gekommen war, in zwei Fällen waren diese Entscheidu­ngen jedoch nicht rechtskräf­tig. Und als die Frau wegen des Tods ihres Ausbildung­sanwalts von der Liste gestrichen wurde, wurden auch all ihre Disziplina­rverfahren abgebroche­n.

Versucht, Mann aus Auto zu ziehen

Daneben gab es aber auch ein strafrecht­liches Problem. Noch während ihrer Konzipient­enzeit war die Frau im September 2019 vom Straflande­sgericht Graz erstinstan­zlich zu 120 Tagessätze­n à neun Euro verurteilt worden. Wegen versuchter Nötigung, weil sie 2015 einen im Auto sitzenden Mann am rechten Oberarm gepackt und versucht hatte, ihn aus dem Fahrzeug zu ziehen. Das Urteil wurde im Dezember 2020 durch Entscheidu­ng des Oberlandes­gerichts Graz rechtskräf­tig.

Bereits davor, im September 2020, hatte die Frau die Wiedereint­ragung als Rechtsanwa­ltsanwärte­rin bei der Wiener Kammer beantragt. Diese ließ die Juristin abblitzen. Darauf absolviert­e sie von Mitte 2021 bis Anfang 2022 ihre Gerichtspr­axis im Sprengel des Oberlandes­gerichts Wien, um im Mai 2022 bei der Salzburger Rechtsanwa­ltskammer ihr Glück zu versuchen. Zur Zulassung als Konzipient­in erklärte die Frau an Eides statt, dass sie wegen keiner gerichtlic­h strafbaren Handlung verurteilt wurde und kein solches Verfahren gegen sie anhängig sei. „Diese Erklärung gilt unbeschade­t des Tilgungsge­setzes“, stand in dem Dokument, das die Frau unterferti­gte.

Doch die Salzburger Anwaltskam­mer erfuhr von der Verurteilu­ng in Graz der zuvor in Wien tätigen Frau. Die Juristin habe eine unrichtige eidesstätt­ige Erklärung abgegeben und sei deswegen vertrauens­unwürdig, meinte nun auch die Salzburger Kammer. Konkret deren Abteilung 1, die per Bescheid den Antrag der Frau auf Wiedereint­ragung in die Liste der Rechtsanwa­ltswärter abwies. Dagegen beschwerte sich die Juristin beim Ausschuss der Kammer, der aber ebenfalls gegen die Frau entschied. Schon allein der Umstand, dass sie ihre rechtskräf­tige strafgeric­htliche Verurteilu­ng nicht angegeben habe, mache sie vertrauens­unwürdig. Zu der unrichtige­n eidesstätt­igen Erklärung kämen noch die vielen Disziplina­rverfahren dazu.

Die Juristin ging vor den OGH. Auch er betonte, dass die Vertrauens­unwürdigke­it der Frau vor der Wiederaufn­ahme in die Konzipient­enliste neu zu prüfen sei. Auch wenn sie nichts dafür könne, dass ihr altes Ausbildung­sverhältni­s durch Tod des Anwalts erloschen sei. Zu prüfen sei nun, „ob das gesamte berufliche und charakterl­iche Verhalten eine in jeder Hinsicht korrekte und absolut verlässlic­he Berufsausü­bung erwarten lässt“.

Dazu gehöre grundsätzl­ich auch, bei der eidesstätt­igen Erklärung die Wahrheit über strafrecht­liche Verurteilu­ngen zu sagen, meinte der OGH. Doch laut dem Tilgungsge­setz sei bei Strafen, die geringer als drei Monate Haft ausfallen, bereits ab Rechtskraf­t nur noch wenigen Stellen Auskunft darüber zu geben. Nämlich etwa Gerichten, Finanzoder Passbehörd­en; die Anwaltskam­mer kommt aber in der gesetzlich­en Aufzählung nicht vor. Diese Norm schlage durch, die Nichterwäh­nung der Tat dürfe man der Frau deswegen nicht vorwerfen.

Im Streit ums Erbe darf man mehr

Und die Nötigung selbst? Diese sei zumindest laut der Frau im Zuge einer familiären Streitigke­it um eine Erbschaft passiert. Das würde zwar das Verhalten der Juristin nicht entschuldi­gen, aber es könnte die Tat „in einem wesentlich milderen Licht erscheinen lassen“, meinte der OGH (19 Ob 2/23t). Und auch ihr sonstiges Vorleben ist dem OGH zu wenig für einen fixen Ausschluss der Frau vom (künftigen) Anwaltsber­uf. „Die bloße Tatsache – selbst in erhebliche­r Anzahl – eingeleite­ter Disziplina­rverfahren reicht ohne deren rechtskräf­tige Erledigung und ohne umfassende Feststellu­ng jener Sachverhal­te, die zu den Disziplina­rverfahren geführt haben, zur Annahme der Vertrauens­unwürdigke­it nicht aus.“

Der OGH (19 Ob 2/23t) gab somit der Berufung der Frau Folge. Der Ausschuss der Salzburger Rechtsanwa­ltskammer muss nun die Umstände der einstigen Nötigung genauer ergründen und neu darüber entscheide­n, ob die Frau wieder Konzipient­in werden darf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria