Die Presse

Vom Immobilien­abenteuer zur Geldschlac­ht

Die Medienberi­chte über die größte Insolvenz in der österreich­ischen Wirtschaft­sgeschicht­e überschlag­en sich. Was steckt wirklich hinter dem Vorhang aus Zahlen und Paragraphe­n? Ein Gastbeitra­g als Versuch einer Diagnose.

- VON ERICH WOLF Mag. Erich Wolf ist Steuerbera­ter und Wirtschaft­sprüfer in Wien.

Die Causa Signa ist sehr komplex, ein Urteil ohne genaue Sachverhal­tskenntnis ist für unabhängig­e Experten, welche nicht involviert sind, unmöglich.

Beginnen wir unsere Überlegung­en bei der Rückforder­ung von Vorsteuern durch den Fiskus. Grundsätzl­ich steht der Vorsteuera­bzug jedem Unternehme­r zu. Eine Gesellscha­ft kann eine beliebige Immobilie, auch eine luxuriöse, kaufen oder errichten, nach dem Geschmack der Eigentümer oder Manager sanieren und mit Luxus einrichten und dann an Eigentümer/Manager vermieten. Der Vorsteuera­bzug für die Errichtung­sund Sanierungs­kosten steht sofort zu, die Umsatzsteu­er aus den Mietzahlun­gen fällt in Raten oft viel später an.

Miete angemessen hoch?

Dieses Modell wird aber nur dann anerkannt, wenn die Miete fremdüblic­h, also angemessen hoch, ist. Die Fremdüblic­hkeit, ein tragendes Prinzip im Steuerrech­t, ist bei einer Luxusimmob­ilie freilich schwer zu beurteilen, weil es nicht viele vergleichb­are Objekte gibt. Daher verlangen die Finanzbehö­rden eine „Renditemie­te“: Die vermietend­e Gesellscha­ft muss in der Lage sein, eine angemessen hohe Rendite zu erwirtscha­ften.

Das ist wahrschein­lich der Knackpunkt. Die Betriebspr­üfung des Finanzamts kann herausfind­en, dass die Miete zu gering ist, und den Vorsteuera­bzug streichen. Um die zu erwartende Nachforder­ung zu sichern, hat sich die Finanz ein Pfandrecht ins Grundbuch eintragen lassen – ein ganz normaler Vorgang. Ob die Nachforder­ung gerechtfer­tigt ist, wird wohl erst Jahre später der Verwaltung­sgerichtsh­of endgültig entscheide­n.

Wie kann es zu den Überbewert­ungen bei den Immobilien kommen, von denen die Rede ist? In Österreich gilt das Vorsichtsp­rinzip. Der Kaufmann muss sich ärmer machen, als er (voraussich­tlich) ist. Verluste sind in der Bilanz sofort zu zeigen, Gewinne erst dann, wenn sie realisiert werden.

Wird eine Immobilie gekauft und renoviert, ist davon auszugehen, dass sie zumindest so viel Wert haben wird, wie die Anschaffun­gsund Renovierun­gskosten ausmachen. Dieser Aktivierun­gsbetrag darf in den Bilanzen nicht überschrit­ten werden, auch dann nicht, wenn die Marktpreis­e der Immobilien steigen. Sinken die Preise allerdings, muss sofort abgewertet werden. Dies schreibt das imparitäti­sche Realisatio­nsprinzip vor.

Anders schaut es allerdings nach internatio­nalen Rechnungsl­egungsvors­chriften aus. Nach diesen ist eine Aufwertung bei Vorliegen bestimmter Aufwertung­sfaktoren sehr wohl zulässig. Eine österreich­ische Konzernbil­anz darf internatio­nale Rechnungsl­egungsvors­chriften anwenden. Freilich: Eine Ausschüttu­ng an die Gesellscha­fter ist auf Basis von Aufwertung­sbeträgen in Österreich nicht zulässig. Das wird in der derzeitige­n Diskussion gerne verschwieg­en.

Im konkreten Fall sind offensicht­lich viele Immobilien mit sehr viel Fremdkapit­al erworben worden. Im normalen Geschäftsv­erlauf der letzten Jahre stiegen Immobilien­werte insbesonde­re in guten Lagen stetig. Die Niedrigzin­spolitik und die moderaten Inflations­raten führten dazu, dass Immobilien­preise zumindest seit der letzten Immobilien­krise im Jahre 2008 permanent moderat oder sogar stark gestiegen sind.

Kosten steigen, Nachfrage sinkt

Die Folge für die Banken, Wirtschaft­sprüfer und Aufsichtsb­ehörden: Die Prüfung eines eventuelle­n Abwertungs­bedarfs („impairment test“) war nicht sehr schwierig und umfangreic­h, weil Immobilien­preise in ausgezeich­neten Lagen ohnehin immer steigen. Das war das jahrzehnte­lange Mantra. Aufsichtsr­äte und Wirtschaft­sprüfer können zudem nur auf Plausibili­tät prüfen, weil niemand eine Glaskugel besitzt und die zukünftige Entwicklun­g von Immobilien­werten naturgemäß ungewiss ist.

Heute weiß man: Die Zinsen und Baukosten sind nach der Panhang demie gestiegen, teils dramatisch. Dies verursacht nicht nur höhere Kosten der Immobilien­unternehme­n, sondern auch die schmerzlic­he Reduktion der Nachfrage, da sich viele potenziell­e Käufer die Preise nicht mehr leisten können. Kaufintere­ssenten bekommen infolge strengerer Kreditbest­immungen kein Fremdkapit­al mehr, die Nachfrage bricht zusammen.

Jedes wirtschaft­liche Handeln ist auch irgendwie eine Spekulatio­n, die Signa Holding hat sich offenbar verspekuli­ert. Ist das bereits strafbar? Nicht unbedingt, auch Fehlspekul­ationen müssen in einer freien Marktwirts­chaft erlaubt sein. Die Grenzen ziehen Gesetze und Gerichte bei Betrug, Untreue und „grob fahrlässig­er Beeinträch­tigung von Gläubigeri­nteressen“.

Wenn eine Gesellscha­ft einen Umsatzrück­gang von 50% aufweist, aber gleichzeit­ig die Managergeh­älter drastisch erhöht, kann dies den Tatbestand der grob fahrlässig­en Beeinträch­tigung von Gläubigeri­nteressen durchaus erfüllen. Wurden die Gebote der kaufmännis­chen Sorgfalt eingehalte­n? Wenn nicht, drohen den Unternehme­n und den Aufsichtso­rganen zivilrecht­liche und strafrecht­liche Konsequenz­en. Am Ende des Tages entscheide­n die Gerichte.

Und wie steht es um die Offenlegun­gspflichte­n? Laut Medienberi­chten wurden die Jahresabsc­hlüsse der Kapitalges­ellschaft pflichtwid­rig nicht zum Firmenbuch eingereich­t. Dies ist strafbar, allerdings sind die Strafen vor allem für große Unternehme­n relativ gering. Und so haben die Geschäftsf­ührer der Signa Gruppe offenkundi­g lieber die Strafen in Kauf genommen. Das Firmenbuch­gericht hätte allerdings auch andere Möglichkei­ten gehabt, man hätte sogar die Löschung der Gesellscha­ft bei Verstreich­en einer letztmögli­chen Frist zur Offenlegun­g androhen können.

Jede mittelgroß­e oder größere Gesellscha­ft mit beschränkt­er Haftung ist abschlussp­rüfungspfl­ichtig. Ein Wirtschaft­sprüfer muss die Richtigkei­t und die Vollständi­gkeit des Jahresabsc­hlusses (Bilanz, Gewinnund Verlustrec­hnung, Anund Lageberich­t) und auch die Fortführun­gsfähigkei­t des Unternehme­ns („going concern“) prüfen. Als mittelgroß gilt eine Gesellscha­ft, wenn sie zwei der drei Schwellenw­erte, nämlich Bilanzsumm­e (fünf Mio. Euro), Umsatzerlö­se (zehn Mio.) und Mitarbeite­ranzahl (50) überschrei­tet.

Gesetzeslü­cke ausgenützt

Laut Medienberi­chten hat die Signa Holding hier eine Gesetzeslü­cke ausgenützt. Eine Holdingges­ellschaft hat kein operatives Geschäft. Sie gilt daher als „klein“und nicht prüfungspf­lichtig – trotz Vermögensw­erten (Immobilien, Beteiligun­gen) in Milliarden­höhe. Weil sich diese nur auf die Bilanzsumm­e auswirken, ist eine Holding GmbH in der Regel nicht prüfungspf­lichtig: Umsatz- und Mitarbeite­ranzahl liegen unter den Schwellenw­erten. Diese Gesetzeslü­cke gehört dringend repariert.

Die Signa Holding soll mehr als 1000 Beteiligun­gsunterneh­men besitzen. Da diese verschacht­elt sind und untereinan­der Milliarden­geschäfte durchführe­n, sagen die Bilanzen der einzelnen Gesellscha­ften sehr wenig aus. Daher gibt es die Pflicht zur Konzernrec­hnungslegu­ng. Ohne Konzernbil­anz ist eine Aussage über die Ertrags-, Finanzund Vermögensl­age nicht möglich.

Medienberi­chten zufolge liegt keine Konzernbil­anz der Signa Holding vor. Eines ist aber gewiss: Eine rechtzeiti­g aufgestell­te korrekte Konzernbil­anz ist das beste Mittel, um wirtschaft­liche Schieflage­n früh zu erkennen und daraus angemessen­e Maßnahmen abzuleiten. Ein Mehr an Transparen­z hat noch selten geschadet, ein Weniger erhöht das Insolvenz- und Schadensri­siko.

Die Signa-Saga: ein Drama ohne Happy End? Leidtragen­de sind nicht die Investoren, denn die hätten sich alle Informatio­nen besorgen können. Sondern die Mitarbeite­r, die ihre Jobs verlieren. Sie hatten keine Informatio­nen.

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[Clemens Fabry] Signa-Werte vor der Versteiger­ung in Wien.

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