Vom Immobilienabenteuer zur Geldschlacht
Die Medienberichte über die größte Insolvenz in der österreichischen Wirtschaftsgeschichte überschlagen sich. Was steckt wirklich hinter dem Vorhang aus Zahlen und Paragraphen? Ein Gastbeitrag als Versuch einer Diagnose.
Die Causa Signa ist sehr komplex, ein Urteil ohne genaue Sachverhaltskenntnis ist für unabhängige Experten, welche nicht involviert sind, unmöglich.
Beginnen wir unsere Überlegungen bei der Rückforderung von Vorsteuern durch den Fiskus. Grundsätzlich steht der Vorsteuerabzug jedem Unternehmer zu. Eine Gesellschaft kann eine beliebige Immobilie, auch eine luxuriöse, kaufen oder errichten, nach dem Geschmack der Eigentümer oder Manager sanieren und mit Luxus einrichten und dann an Eigentümer/Manager vermieten. Der Vorsteuerabzug für die Errichtungsund Sanierungskosten steht sofort zu, die Umsatzsteuer aus den Mietzahlungen fällt in Raten oft viel später an.
Miete angemessen hoch?
Dieses Modell wird aber nur dann anerkannt, wenn die Miete fremdüblich, also angemessen hoch, ist. Die Fremdüblichkeit, ein tragendes Prinzip im Steuerrecht, ist bei einer Luxusimmobilie freilich schwer zu beurteilen, weil es nicht viele vergleichbare Objekte gibt. Daher verlangen die Finanzbehörden eine „Renditemiete“: Die vermietende Gesellschaft muss in der Lage sein, eine angemessen hohe Rendite zu erwirtschaften.
Das ist wahrscheinlich der Knackpunkt. Die Betriebsprüfung des Finanzamts kann herausfinden, dass die Miete zu gering ist, und den Vorsteuerabzug streichen. Um die zu erwartende Nachforderung zu sichern, hat sich die Finanz ein Pfandrecht ins Grundbuch eintragen lassen – ein ganz normaler Vorgang. Ob die Nachforderung gerechtfertigt ist, wird wohl erst Jahre später der Verwaltungsgerichtshof endgültig entscheiden.
Wie kann es zu den Überbewertungen bei den Immobilien kommen, von denen die Rede ist? In Österreich gilt das Vorsichtsprinzip. Der Kaufmann muss sich ärmer machen, als er (voraussichtlich) ist. Verluste sind in der Bilanz sofort zu zeigen, Gewinne erst dann, wenn sie realisiert werden.
Wird eine Immobilie gekauft und renoviert, ist davon auszugehen, dass sie zumindest so viel Wert haben wird, wie die Anschaffungsund Renovierungskosten ausmachen. Dieser Aktivierungsbetrag darf in den Bilanzen nicht überschritten werden, auch dann nicht, wenn die Marktpreise der Immobilien steigen. Sinken die Preise allerdings, muss sofort abgewertet werden. Dies schreibt das imparitätische Realisationsprinzip vor.
Anders schaut es allerdings nach internationalen Rechnungslegungsvorschriften aus. Nach diesen ist eine Aufwertung bei Vorliegen bestimmter Aufwertungsfaktoren sehr wohl zulässig. Eine österreichische Konzernbilanz darf internationale Rechnungslegungsvorschriften anwenden. Freilich: Eine Ausschüttung an die Gesellschafter ist auf Basis von Aufwertungsbeträgen in Österreich nicht zulässig. Das wird in der derzeitigen Diskussion gerne verschwiegen.
Im konkreten Fall sind offensichtlich viele Immobilien mit sehr viel Fremdkapital erworben worden. Im normalen Geschäftsverlauf der letzten Jahre stiegen Immobilienwerte insbesondere in guten Lagen stetig. Die Niedrigzinspolitik und die moderaten Inflationsraten führten dazu, dass Immobilienpreise zumindest seit der letzten Immobilienkrise im Jahre 2008 permanent moderat oder sogar stark gestiegen sind.
Kosten steigen, Nachfrage sinkt
Die Folge für die Banken, Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsbehörden: Die Prüfung eines eventuellen Abwertungsbedarfs („impairment test“) war nicht sehr schwierig und umfangreich, weil Immobilienpreise in ausgezeichneten Lagen ohnehin immer steigen. Das war das jahrzehntelange Mantra. Aufsichtsräte und Wirtschaftsprüfer können zudem nur auf Plausibilität prüfen, weil niemand eine Glaskugel besitzt und die zukünftige Entwicklung von Immobilienwerten naturgemäß ungewiss ist.
Heute weiß man: Die Zinsen und Baukosten sind nach der Panhang demie gestiegen, teils dramatisch. Dies verursacht nicht nur höhere Kosten der Immobilienunternehmen, sondern auch die schmerzliche Reduktion der Nachfrage, da sich viele potenzielle Käufer die Preise nicht mehr leisten können. Kaufinteressenten bekommen infolge strengerer Kreditbestimmungen kein Fremdkapital mehr, die Nachfrage bricht zusammen.
Jedes wirtschaftliche Handeln ist auch irgendwie eine Spekulation, die Signa Holding hat sich offenbar verspekuliert. Ist das bereits strafbar? Nicht unbedingt, auch Fehlspekulationen müssen in einer freien Marktwirtschaft erlaubt sein. Die Grenzen ziehen Gesetze und Gerichte bei Betrug, Untreue und „grob fahrlässiger Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen“.
Wenn eine Gesellschaft einen Umsatzrückgang von 50% aufweist, aber gleichzeitig die Managergehälter drastisch erhöht, kann dies den Tatbestand der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen durchaus erfüllen. Wurden die Gebote der kaufmännischen Sorgfalt eingehalten? Wenn nicht, drohen den Unternehmen und den Aufsichtsorganen zivilrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen. Am Ende des Tages entscheiden die Gerichte.
Und wie steht es um die Offenlegungspflichten? Laut Medienberichten wurden die Jahresabschlüsse der Kapitalgesellschaft pflichtwidrig nicht zum Firmenbuch eingereicht. Dies ist strafbar, allerdings sind die Strafen vor allem für große Unternehmen relativ gering. Und so haben die Geschäftsführer der Signa Gruppe offenkundig lieber die Strafen in Kauf genommen. Das Firmenbuchgericht hätte allerdings auch andere Möglichkeiten gehabt, man hätte sogar die Löschung der Gesellschaft bei Verstreichen einer letztmöglichen Frist zur Offenlegung androhen können.
Jede mittelgroße oder größere Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist abschlussprüfungspflichtig. Ein Wirtschaftsprüfer muss die Richtigkeit und die Vollständigkeit des Jahresabschlusses (Bilanz, Gewinnund Verlustrechnung, Anund Lagebericht) und auch die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens („going concern“) prüfen. Als mittelgroß gilt eine Gesellschaft, wenn sie zwei der drei Schwellenwerte, nämlich Bilanzsumme (fünf Mio. Euro), Umsatzerlöse (zehn Mio.) und Mitarbeiteranzahl (50) überschreitet.
Gesetzeslücke ausgenützt
Laut Medienberichten hat die Signa Holding hier eine Gesetzeslücke ausgenützt. Eine Holdinggesellschaft hat kein operatives Geschäft. Sie gilt daher als „klein“und nicht prüfungspflichtig – trotz Vermögenswerten (Immobilien, Beteiligungen) in Milliardenhöhe. Weil sich diese nur auf die Bilanzsumme auswirken, ist eine Holding GmbH in der Regel nicht prüfungspflichtig: Umsatz- und Mitarbeiteranzahl liegen unter den Schwellenwerten. Diese Gesetzeslücke gehört dringend repariert.
Die Signa Holding soll mehr als 1000 Beteiligungsunternehmen besitzen. Da diese verschachtelt sind und untereinander Milliardengeschäfte durchführen, sagen die Bilanzen der einzelnen Gesellschaften sehr wenig aus. Daher gibt es die Pflicht zur Konzernrechnungslegung. Ohne Konzernbilanz ist eine Aussage über die Ertrags-, Finanzund Vermögenslage nicht möglich.
Medienberichten zufolge liegt keine Konzernbilanz der Signa Holding vor. Eines ist aber gewiss: Eine rechtzeitig aufgestellte korrekte Konzernbilanz ist das beste Mittel, um wirtschaftliche Schieflagen früh zu erkennen und daraus angemessene Maßnahmen abzuleiten. Ein Mehr an Transparenz hat noch selten geschadet, ein Weniger erhöht das Insolvenz- und Schadensrisiko.
Die Signa-Saga: ein Drama ohne Happy End? Leidtragende sind nicht die Investoren, denn die hätten sich alle Informationen besorgen können. Sondern die Mitarbeiter, die ihre Jobs verlieren. Sie hatten keine Informationen.