Das Gespenst der „Blauen Karte“
Eine „Blaue Karte“hätte das Spiel verändert, Fouls im Zuge von Zeitstrafen geahndet, das Zeitschinden unterbunden. Fifa-Chef Gianni Infantino sprach aber ein „Machtwort“.
Fußball ist mehr als nur ein Spiel über 90 Minuten. In Wahrheit wird sein Gedeih nicht auf dem Rasen, sondern in Sitzungen der Verbände entschieden. Das betrifft Formate von Turnieren, verschlingt Visionen im Regelwerk. Lobbyisten setzen technische Innovationen durch, obwohl bis dato Zweifel am VAR herrschen. Traditionalisten blocken Reformen wie die der „Blauen Karte“und Zeitstrafen ab, weil sie ihnen schlicht nicht ins Konzept passen. Und dann landet alles auf einem Tisch, Uefa wie Fifa entscheiden.
Nach dem Machtwort von FifaPräsident Gianni Infantino hat das International Football Association Board (Ifab) ihre Einführung im Profifußball vorerst gestoppt. Wie das Regelgremium nach seiner Sitzung in Glasgow mitteilte, soll vor jeden Versuchsphasen in höheren Ligen zunächst die Entwicklung im Jugend- und Amateurfußball beobachtet werden. Beschlossen wurden nunmehr Testläufe gegen Rudelbildungen. Das Regelgremium hatte eigentlich über eine Testphase im englischen Liga-Cup abstimmen wollen. Das hatte Infantino allerdings kategorisch abgelehnt, über den Hintergrund dazu wird gerätselt. „Das Thema existiert für uns nicht“, sagte Infantino vor Reportern in Glasgow und brachte sich verbal in Stellung: „Wenn sie eine Schlagzeile wollen, sie lautet: ,Rote Karte für die Blaue Karte‘.“
In Niederösterreich „taugte“sie
Die Fifa hat im Gremium vier von acht Stimmen, somit eine Sperrmöglichkeit für alle Regelvorhaben. Die weiteren Mitglieder sind je ein Vertreter der Verbände aus England, Schottland, Wales und Nordirland. Die Idee der „Blauen Karte“, die mit einer zehnminütigen Zwangspause einhergeht, hatte zuvor bereits für kritische Stimmen gesorgt. Namhafte Premier-League-Trainer wie Jürgen Klopp hatten ebenso wie Betreuer aus Österreichs Bundesliga teils massive Zweifel an der Sinnhaftigkeit geäußert. In der niederösterreichischen Landesliga wurde die Karte getestet, das Gros war der Meinung, sie würde „taugen“. Vor allem das „Zeitschinden“wurde im Finish jeder Partie zusehends seltener.
An der Pressekonferenz nach der Sitzung nahm Infantino am Samstag nicht teil. Für die Fifa saß Interimsgeneralsekretär Mattias
Grafström auf dem Podium. Der Schwede wurde zudem zum neuen Vorsitzenden des Ifab-Direktoriums ernannt, ein weiterer Machtgewinn für den Infantino-Vertrauten. Offenbar wollte man so in das Führungsgremium der Regelhüter vordringen und man wartete nur auf eine Gelegenheit, ein „Foul“, um die Einflusssphären neu auszurichten; dafür taugte das Gespenst der „Blauen Karte“.
Verkündet wurden von Grafström andere Testläufe, die nun in allen Wettbewerben unterhalb der jeweiligen zwei nationalen Topligen starten können. Schiedsrichtern wird die Möglichkeit gegeben, nach Rudelbildungen beide Teams zum „Abkühlen“in deren Strafraum zu schicken. In brenzligen Situationen dürfen auf Signal des Schiedsrichters zudem nur die Kapitäne noch mit dem Referee sprechen. Torhüter dürfen künftig den Ball vor dem Abschlag nur noch acht Sekunden in der Hand halten, keinesfalls länger. Gültig ist das ab Sommer 2025. (fin)