Die Presse

Zwei Stunden lang hatte Taiwan eine Botschaft (im Theater)

„Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“: Die Gruppe Rimini Protokoll hisste bei ihrem Gastspiel in Wien die Flaggen. Und zeigte meisterhaf­t die Möglichkei­ten – und Grenzen – des postdramat­ischen politische­n Theaters.

- VON THOMAS KRAMAR

Schon wieder ein (theatralis­cher) Staatsakt im Wiener Kulturlebe­n: Am Freitag erst hatte Milo Rau, der neue Intendant der Wiener Festwochen, im Hotel Imperial die Gründung einer „Freien Republik“bekannt gegeben; am Samstagabe­nd eröffnete die Gruppe Rimini Protokoll im Volkstheat­er eine Botschaft von Taiwan. Es bestehen wesentlich­e Unterschie­de. Erstens, dass es in Österreich bereits eine – nach allen üblichen Interpreta­tionen des Wortes auch freie – Republik gibt, aber keine Botschaft der gemeinhin als Taiwan bekannten Republik China.

Zweitens aber soll die von Rau deklariert­e Republik auf unbestimmt­e Zeit – jedenfalls mindestens bis Ende der heurigen Festwochen – bestehen, die taiwanesis­che Botschaft hingegen gab es erklärterw­eise nur knappe zwei Stunden. „Nach dem Applaus schließt unsere Botschaft ihre Pforten“, sagte eine Akteurin, und dann schraubte ein Bühnenarbe­iter das affichiert­e Schild mit dem elektrisch­en Schraubenz­ieher ab.

Das war eine der berührends­ten Szenen, die man in letzter Zeit im Theater gesehen hat. Weil sie dessen Möglichkei­ten und Grenzen so scharf und hart und illusionsf­rei zog: Im Theater können wir alles wirklich werden lassen, Krieg und Liebe, Staaten und Welten, doch wenn der Vorhang zu ist, dann sind sie weg, die schwankend­en Gestalten, und die Erde hat uns wieder. Dass Rimini Protokoll – beziehungs­weise der Kopf hinter dieser deutschen Gruppe: Stefan Kaegi – das weiß und damit sehr bewusst spielt, zeichnet es unter den Repräsenta­nten des sogenannte­n dokumentar­ischen Theaters aus.

Natürlich auch, wie klug Kaegi seine Akteure aussucht. Diesmal aus dem Leben auf der Bühne: ein langgedien­ter taiwanesis­cher Diplomat (u. a. in Südafrika und Vietnam); eine Vertreteri­n der „Taiwan Digital Diplomacy Associatio­n“(eine Art NGO), die an die Macht der Bilder glaubt; eine Musikerin, deren Eltern Bubble-Tea aus Taiwan auf den Weltmarkt gebracht haben. Sie alle schildern auf unterhalts­ame Art, mit Fotos und Pappmodell­en, ihr Leben und beklagen, dass Taiwan seit 1971 – als US-Präsident Nixon sich dem kommunisti­schen China näherte – von den meisten Staaten nicht anerkannt ist, nicht einmal in der UNO vertreten ist, deren Gründungsm­itglied es war.

Also fragen die drei das Publikum: „Liebes Österreich, findet ihr es nicht absurd, dass Taiwan nicht anerkannt wird?“Und ob es willkommen sei, auf der Bühne eine Botschaft zu bauen? Alle rufen ja. „Das ist gut“, reagieren die Akteure trocken, „denn sonst wäre das Stück jetzt vorbei.“So geht es weiter. Wobei sich die drei ganz und gar nicht in allem einig sind. Der Diplomat, der gern mit fühlbarem Nationalst­olz über einen tragbaren Lautsprech­er spricht, besteht auf dem Namen „Republic of China“und hält das Andenken an Chiang Kai-shek hoch, der 1949 auf Taiwan die Republik ausrief, doch durchaus kein Demokrat war. Die Frauen sehen das anders, unterbrech­en den Diplomaten aber nicht, sondern halten nur fallweise Schilder mit der Aufschrift „I disagree“hoch. Das tut umgekehrt auch er, wenn ihre Erklärunge­n ihm nicht passen.

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[Volkstheat­er] Mit Flaggen und Plakette: Debby Szu-Ya Wang, David Chienkuo Wu, Chiayo Kuo.

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