Zwei Stunden lang hatte Taiwan eine Botschaft (im Theater)
„Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“: Die Gruppe Rimini Protokoll hisste bei ihrem Gastspiel in Wien die Flaggen. Und zeigte meisterhaft die Möglichkeiten – und Grenzen – des postdramatischen politischen Theaters.
Schon wieder ein (theatralischer) Staatsakt im Wiener Kulturleben: Am Freitag erst hatte Milo Rau, der neue Intendant der Wiener Festwochen, im Hotel Imperial die Gründung einer „Freien Republik“bekannt gegeben; am Samstagabend eröffnete die Gruppe Rimini Protokoll im Volkstheater eine Botschaft von Taiwan. Es bestehen wesentliche Unterschiede. Erstens, dass es in Österreich bereits eine – nach allen üblichen Interpretationen des Wortes auch freie – Republik gibt, aber keine Botschaft der gemeinhin als Taiwan bekannten Republik China.
Zweitens aber soll die von Rau deklarierte Republik auf unbestimmte Zeit – jedenfalls mindestens bis Ende der heurigen Festwochen – bestehen, die taiwanesische Botschaft hingegen gab es erklärterweise nur knappe zwei Stunden. „Nach dem Applaus schließt unsere Botschaft ihre Pforten“, sagte eine Akteurin, und dann schraubte ein Bühnenarbeiter das affichierte Schild mit dem elektrischen Schraubenzieher ab.
Das war eine der berührendsten Szenen, die man in letzter Zeit im Theater gesehen hat. Weil sie dessen Möglichkeiten und Grenzen so scharf und hart und illusionsfrei zog: Im Theater können wir alles wirklich werden lassen, Krieg und Liebe, Staaten und Welten, doch wenn der Vorhang zu ist, dann sind sie weg, die schwankenden Gestalten, und die Erde hat uns wieder. Dass Rimini Protokoll – beziehungsweise der Kopf hinter dieser deutschen Gruppe: Stefan Kaegi – das weiß und damit sehr bewusst spielt, zeichnet es unter den Repräsentanten des sogenannten dokumentarischen Theaters aus.
Natürlich auch, wie klug Kaegi seine Akteure aussucht. Diesmal aus dem Leben auf der Bühne: ein langgedienter taiwanesischer Diplomat (u. a. in Südafrika und Vietnam); eine Vertreterin der „Taiwan Digital Diplomacy Association“(eine Art NGO), die an die Macht der Bilder glaubt; eine Musikerin, deren Eltern Bubble-Tea aus Taiwan auf den Weltmarkt gebracht haben. Sie alle schildern auf unterhaltsame Art, mit Fotos und Pappmodellen, ihr Leben und beklagen, dass Taiwan seit 1971 – als US-Präsident Nixon sich dem kommunistischen China näherte – von den meisten Staaten nicht anerkannt ist, nicht einmal in der UNO vertreten ist, deren Gründungsmitglied es war.
Also fragen die drei das Publikum: „Liebes Österreich, findet ihr es nicht absurd, dass Taiwan nicht anerkannt wird?“Und ob es willkommen sei, auf der Bühne eine Botschaft zu bauen? Alle rufen ja. „Das ist gut“, reagieren die Akteure trocken, „denn sonst wäre das Stück jetzt vorbei.“So geht es weiter. Wobei sich die drei ganz und gar nicht in allem einig sind. Der Diplomat, der gern mit fühlbarem Nationalstolz über einen tragbaren Lautsprecher spricht, besteht auf dem Namen „Republic of China“und hält das Andenken an Chiang Kai-shek hoch, der 1949 auf Taiwan die Republik ausrief, doch durchaus kein Demokrat war. Die Frauen sehen das anders, unterbrechen den Diplomaten aber nicht, sondern halten nur fallweise Schilder mit der Aufschrift „I disagree“hoch. Das tut umgekehrt auch er, wenn ihre Erklärungen ihm nicht passen.