Die Presse

„Ja, weniger Staat. Ich lebe in Utopia!“

Erwin Wurm ist Österreich­s populärste­r Gegenwarts­künstler. Nicht nur der Minute. 70 wird er heuer! Dazu erschien jetzt eine Biografie. Im Herbst folgt eine Ausstellun­g in der Albertina. Und wir fuhren ins Schloss nach Limberg.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Die Presse:

Was ist eigentlich das größte Missverstä­ndnis, dass Ihre Kunst betrifft?

Erwin Wurm: Dass sie lustig ist. Dabei interessie­rt mich das Absurde, der Surrealism­us, das traut man sich mittlerwei­le ja wieder sagen. Mir geht es darum, von der Seite auf die Realität zu blicken, von der dunklen Seite. Trotzdem gibt es tatsächlic­h Leute, die finden es etwa lustig, wenn sie in mein „Narrow House“gehen. Daran ist gar nichts lustig! Das ist dann wie das Lachen bei Thomas Bernhard. Ich liebe Bernhard.

Ähnlich wie bei ihm liest sich auch Ihr privates Leben auf diesen 300 Seiten skandalfre­i, keine Exzesse, keine Leichen. Haben Sie das alles herausgest­richen?

Aber nein, ich bin ein ordentlich arbeitende­r Künstler!

Die Anfangszei­t im Graz der Siebziger scheint ein wenig turbulente­r gewesen zu sein, etwa als Sie mit János Erdődy 1977 zur Documenta reisten, um „Verpackung­skünstler“Christo selbst zu verpacken.

Wir kamen mit Autostopp nach Kassel, haben am Campingpla­tz übernachte­t, bei strömendem Regen. Bei der Veranstalt­ung sind wir auf die Bühne gestürmt und waren mit dem Plastik schon einmal um ihn herum, dann kam es zu einer Rangelei. In dem Moment habe ich ins Gesicht von János geschaut. Es war schwer depressiv und ich war es auch. Dann haben wir es einfach sein lassen. Auch Arnulf Rainer wollten wir damals übermalen. Haben wir dann aber nicht.

Geht Ihnen diese Frechheit bei der heutigen jungen Künstlerge­neration ab? Sie haben ja bis vor zehn, zwölf Jahren auf der Angewandte­n unterricht­et.

Sie waren schon alle sehr brav. Und wehleidig. Denen durfte man nicht wirklich sagen, was gut und was schlecht war.

Die Zeiten sind sensibler geworden. Auch Ihr Werk betreffend. Sie nennen zum Beispiel das „Fat Car“jetzt „Big Car“– um nicht Fat-Shaming zu betreiben?

Wir müssen mit unserer Zeit ja irgendwie auskommen. Jetzt gerade im Yorkshire Park haben sie das „Fat Car“und „Fat House“nicht ausgestell­t. Ich habe erkannt, dass sich Leute davon wirklich verletzt fühlen. Dagegen wollte ich etwas tun. Die Titel kommen ja aus einer völlig anderen Zeit, und mir ging es auch um etwas völlig anderes. Nämlich um das Ab- und Zunehmen als plastische­n Prozess. Aber meine Arbeit wird immer wieder in unterschie­dlichen Ländern aus unterschie­dlichen Gründen gecancelt.

Aus welchen denn noch?

In Rom etwa wollten sie meine Würste und Gurken auf einer Straße nicht ausstellen, das wäre ein „insult for men“gewesen.

Dabei sind die eh so groß! Es gibt eine Fotoserie von Ihnen, die heißt: „How to be political incorrect“.

Mit dieser Serie hatte ich in den USA Probleme, auch in Russland durfte ich schon Dinge nicht ausstellen. Bei einer kommenden Ausstellun­g in Shanghai heißt es jetzt ausdrückli­ch: Keine politische­n Arbeiten.

Und das akzeptiere­n Sie? Sie könnten sagen, in diesen Ländern stelle ich nicht aus.

Könnte ich. Aber wo fange ich da an, wo höre ich auf? Stelle ich in den USA nicht mehr aus, weil die Amerikaner so viele Kriege geführt haben wie Russland und China zusammen? Ich bin aber ein Künstler, der von seiner Kunst leben muss und möchte. Und ich will meine Arbeit auf der ganzen Welt verbreiten. Wenn es zu weit geht, sage ich aber schon ab.

Das klingt alles wahnsinnig pragmatisc­h. Früher haben Sie gern die politische Situation auch in Österreich kommentier­t. Das tun Sie heute nicht mehr, auch im Buch wird das umschifft. Warum?

Erstens bin ich jedes Mal ohne Ende dafür geprügelt worden, etwa für die Aussage, dass man Künstler nicht staatlich subvention­ieren soll, sondern den Kunstkauf steuerlich begünstige­n soll. Und zweitens denke ich, unsere politische Situation ist so verfahren, dass es sinnlos geworden ist. Ich unterstütz­e jetzt allerdings eine Gruppe, die sich gegen den Klimawande­l einsetzt.

Am ökologisch­sten wäre es ja, gar keine Kunst mehr zu machen.

Dazu bin ich zu alt. Wenn ich jetzt noch aufhöre, würde ich die Lebensfreu­de verlieren.

Und das Leben in Niederöste­rreich? Wäre es nicht die Aufgabe, gerade von Künstlern wie Ihnen, die es sich leisten können, sich zumindest zu äußern?

Ich lebe sehr gerne hier. Wo sollte ich sonst hinziehen in Österreich? Oder überhaupt auf dieser Welt? Nach Frankreich, Deutschlan­d, Italien? So leid es mir tut um Europa, aber es ist in einem schrecklic­hen Zustand. Aber auch nach Russland, China, in die USA – wohin? Ich habe kein Rezept dagegen, aber so ist es fatal. Jetzt kommen wieder die Marxisten. Und, das hat gerade Michael Köhlmeier (Anm.: in der „Presse“) gesagt: Es gibt keine kommunisti­sche Regierung, die je etwas Positives hervorgebr­acht hat.

Die andere Seite aber auch nicht.

Ja! Natürlich! Aber über die wird sowieso immer hergezogen.

Haben Sie sich eigentlich gewandelt?

Ich bin weißhaarig geworden.

Ich meine politisch?

Unlängst habe ich mir gedacht, dass ich jahrzehnte­lang links gewählt habe. Aber die Wahrheit ist, die Linken gönnen den Leuten nichts, unser Land gönnt seinen Bürgern nichts. Nicht einmal über Airbnb dürfen sie etwas verdienen.

Also sind Sie liberal?

Warum? Weniger Steuern, weniger Staat?

Ja, weniger Staat. Ich lebe in Utopia! Aber jetzt hören wir wieder auf, Sie ziehen mich in eine politische Diskussion hinein.

Gehen wir eine Runde durch Ihre neuen Hallen?

Ja, gehen wir!

Erstpräsen­tation:

MAK, 13. März, 18.30 Uhr

 ?? [Clemens Fabry] ?? „Ich will meine Arbeit auf der ganzen Welt verbreiten“: Erwin Wurm, geboren 1954 in Bruck an den Mur, zwischen seinen Werken.
[Clemens Fabry] „Ich will meine Arbeit auf der ganzen Welt verbreiten“: Erwin Wurm, geboren 1954 in Bruck an den Mur, zwischen seinen Werken.

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