Endlich sind Graf und Witwe alt
Mariame Clément hat Franz Lehárs Operette „Die lustige Witwe“neu inszeniert. Ihr bester Einfall: Die Hauptpersonen dürfen so alt sein, wie es der Handlung entspricht.
Nach 13 Jahren in Marco und Dagmar Marellis Inszenierung hat „Die lustige Witwe“nun also ein neues Gesicht. Tiefgründiger ist sie deswegen nicht geworden, wohl aber bunter. Das elegante, schwarz-weiß Befrackte der Kostüme wich einem wilden Allerlei aus dem Fundus, irgendwo zwischen 1950er-Jahre und albanischem Heimatfilm. Nur der Fez war auf den Männerhäuptern noch gut vertreten, signalisiert doch keine andere Kopfbedeckung so effizient den panottomanischen Schauplatz.
Die beeindruckende Aussicht über Paris wurde dagegen von einer eher altbackenen, aber praktischen Konstruktion aus einer geteilten Drehbühne ersetzt. Ein nicht unraffinierter Zug von Bühnen und Kostümbildnerin Julia Hansen, um automatisch und halbwegs natürlich Bewegung in die Geschichte von der Bankierswitwe Hanna Glawari und Graf Danilo Danilowitsch zu bringen.
Eine glänzende Idee von Regisseurin Mariame Clément: Hanna Glawari und Graf Danilo sind bei ihr – „endlich!“, möchte man rufen – alt! Noch lebenslustige, für ihr Alter attraktive Spätsechziger. Die Hüfte zwickt zwar, aber man bewegt sie noch gern. In den meisten Inszenierungen sind die beiden ja zu jung, erscheinen die weise Süffisanz und der Realismus der Witwe unglaubwürdig und die eingefleischte Jungesellenexistenz des Grafen nur trotzbubig und spleenig. In der Volksoper aber bekommen die beiden mit Latexhaut frühzeitig gealterten Hauptdarsteller Anett Fritsch und Daniel Schmutzhard eine Glaubwürdigkeit, die sie aus dem Klamauk der sonstigen Tollerei heraushebt. Die Nostalgie wird organisch und stimmig.
Schmutzhard, ein Veteran der alten Inszenierung, in der er noch einen blutjungen Danilowitsch gespielt hat, ist hier ein „Galahad Threepwood“-Charakter wie bei P. G. Wodehouse, ein Schwerenöter mit Herz, alt in Jahren, aber nicht im Geiste. Stimmlich stets auf der Höhe, ohne sich in den Vordergrund zu singen oder zu spielen.
Diese Zurückhaltung tut ihm gut neben der strahlenden Anett Fritsch: Über alles erhaben, vom Vilja-Lied zu „Lippen schweigen“sang sie mit durchweg klarer, feinst perlender Stimme, immer beweglich und humorvoll. Auch Hedwig Ritters Valencienne klang durchdringend schön, mit auf Knopfdruck abrufbarer Lautstärke, aber nie schrill. Szymon Komasa als ihr Mann konnte mit seiner operettentraditionskonform dauerforcierten Stimme zwar zum Teil mithalten, war aber nicht besonders gut zu verstehen. Ihr angeblicher Liebhaber (Aaron-Casey Gould, mit silbern-zinnernem Vibrato), war derweil kaum glaubwürdig als Verführer von Frauen: Mit seinem Matrosenhemdchen und kecken Baskenmützchen schien er eher Fassbinders „Querelle“entsprungen.
Vorbildlich kakanisch: Jakob Semotan
Njegus, in der „Lustigen Witwe“, was der Frosch in der „Fledermaus“ist, wurde von Jakob Semotan gespielt und teilweise konzipiert. Inmitten von französischem „Ackzón“und fantasiebalkanischem Akzent (der, je nach Windrichtung, kam und ging) stand er mit unerschütterlichem Alsergrunder Wienerisch wie ein Fels in der Brandung. Falls er ein Faible für Britcoms hat, man dadat schwören wollen, dass da auch eine gute Portion Sir Arnold Robinson aus „Yes, Minister“in seinem Njegus stecken kannat… Zumindest aber ein Teil Klassenclown und viele Teile aalglatter, kakanischer und konjunktivlastiger Ministerialbeamter.
Das Trio der Botschaftsangestellten Bogdanowitsch, Kromow und Pritschitsch war für komische Auflockerung der „Three Stooges“-Art gut. Die Witze hoben nicht in allzu intellektuelle Sphären ab, sondern blieben brav auf „Balkan-Essen schlecht, Schnaps scharf“-Niveau. Grauenhaft nur die ewige Theaterunsitte, aus leeren Flaschen leere Plastikgläser zu befüllen und aus selbigen zu „trinken“. Während man das noch auf Arbeitssicherheitsvorschriften schieben könnte, ist eine ähnliche Entschuldigung bei dem Scheinakkordeonspieler nicht plausibel, der an seinem stummen Instrument zog und schob. Lasst ihn doch mitspielen!
Wütende Grisetten streiken
Die mit etwas gutem Willen in Lehárs Operette hineininterpretierte protoemanzipatorische Note wurde zwar in den Hauptrollen gestärkt, von den zum Teil streikenden Grisetten (in Nachthemd, Lockenwicklern und Strapsen unriskant pseudoschlüpfrig) aber kaum plausibel weitergeführt. Es wäre auch unsinnig, aus genialer leichter Unterhaltung mit Krampf ein zeitgemäßes, gesellschaftskritisches Grübelstück machen zu wollen. Da ist die etwas konventionelle, größtenteils kurzweilige Unterhaltung dieser Inszenierung sinniger. Sie wird dem Stück auf Jahre viele Besucher und Kicherer bringen.
Ein Happy End gab’s auch für das Orchester, dessen singende Geigen sowie den neuen Musikdirektor Ben Glassberg, der sich mit Elan in diese Operette stürzte und nach griffigem, flottem (nur manchmal etwas lautem) Spiel zu großem Applaus herauskam.