Hört auf mit der Unqualifizierten-Toleranz!
Mögen die Bürgerlichen einst zum Bildungssnobismus geneigt haben, sind sie heutzutage gegenüber der Unbildung zu tolerant geworden.
Mehrfach habe ich den Chefstrategen von Signa an dieser Stelle abqualifizierend als Schulabbrecher bezeichnet. Kritiker meinten, dass dies billiges Benko-Bashing sei. Man könne auch erfolgreich sein, ohne eine Ausbildung absolviert zu haben. Die Geschichte kenne viele Beispiele für Menschen, die ohne einen traditionellen Bildungsabschluss eine tadellose Karriere hingelegt haben. Wir bräuchten auch Menschen, die abseits der gängigen Konventionen über den Horizont hinaussegeln.
Ja, diese Kritik ist berechtigt. Aber nicht ganz.
Nicht jeder Schulabbrecher ist ein Genie. Wer jahrelang durch eine fordernde Schule gegangen ist, eignet sich nicht nur Wissen an, sondern zeigt auch Durchhaltevermögen. Er lernt, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Er lernt, Schwerpunkte zu setzen. Er lernt, sich seine Zeit einzuteilen. Er lernt möglicherweise auch, mit Frustrationen umzugehen und Abkürzungen zu vermeiden.
In vielen Berufen ist eine gediegene Ausbildung eine Arbeitsvoraussetzung, die von niemandem infrage gestellt wird.
Mag sein, dass manche Menschen auch ohne Studium und ohne Anwaltsprüfung gute Advokaten abgeben würden. In der NetflixSerie „Suits“spielt Mike Ross ganz ohne Harvard-Abschluss einen exzellenten Anwalt – bis er auffliegt. Nein, das Beispiel ist für die Eingangskritik nicht geeignet.
Voraussetzung für die Offiziersausbildung in Österreich ist die Matura. Es gibt sicher auch Menschen, die ohne Matura gute Offiziere wären. Dennoch ist die Matura eine geeignete Hürde, um den Beruf des Offiziers mit einem gewissen Niveau auszustatten. Ein Gefreiter an der Spitze einer Armee ist keine gute Idee. Auch das Lenin zugeschriebene Postulat, dass jede Köchin den Staat lenken können solle, ist Nonsens. Weit sind wir davon allerdings nicht entfernt.
Mögen die Bürgerlichen einst zum Bildungssnobismus geneigt haben, haben sie nun von der politischen Linken das Übermaß an Toleranz gegenüber der Unbildung übernommen. Sie sind geradezu toleranzbetrunken. Genauer gesagt: Sie haben Toleranz mit Gleichgültigkeit zu verwechseln begonnen. An „die Praxis der Unbildung“wie Liessmann sein Buch „Geisterstunde“im Untertitel nennt, hat man sich in der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu sehr gewöhnt. Seit ein ÖVP-Bundesparteiobmann ohne abgeschlossenes Studium Bundeskanzler geworden ist, befinden sich die Bildungsansprüche des Bürgertums auf Talfahrt. Dabei rührt ein Großteil der prozessualen Probleme des Sebastian Kurz daher, dass er die juristische Flanke vernachlässigte. Das mag auch mit seinem abgebrochenen Jus-Studium zu tun haben.
Wenn die Unausgebildeten die Ausgebildeten im Ergebnis übertreffen, neigen sie einerseits zur Geringschätzung der Ausbildung, andererseits zur Überschätzung ihrer eigenen Person. Weisheit kann man auch im Zeitalter der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz nicht mit dem Löffel fressen. Für die sokratische Einsicht der Beschränktheit des eigenen Wissens und der eigenen Fähigkeiten braucht man eine gute Portion Bildung. Denn auch für erfolgsverwöhnte Menschen gelten die Gesetze der Schwerkraft. Daher bleibt es dabei: Jene Wirtschaftsbosse, die einem Schulabbrecher viel Geld anvertrauen und es dabei verlieren, tun mir nicht leid.