Die Presse

Ein Platz ist weder ein Park noch ein Garten

Wie die Stadtregie­rung von Schärding die historisch­e Innenstadt und den Christopho­rus-Brunnen zerstören will.

- VON BEATE DANDLER

Im Jahr des 150. Geburtstag­s von Karl Kraus rufen wir uns eine seiner aphoristis­chen Definition­en in Erinnerung: „Ich verlange von einer Stadt, in der ich leben soll: Asphalt, Straßenspü­lung, Haustorsch­lüssel, Luftheizun­g, Warmwasser­leitung. Gemütlich bin ich selbst.“

Aus kunst- und architektu­rhistorisc­her Sicht gehört die oberösterr­eichische Stadt Schärding (5300 EinwohnerI­nnen, Bezirkshau­ptstadt des Bezirks Schärding) zu den österreich­weit besterhalt­enen mittelalte­rlichen Stadtanlag­en im Typus der Inn-Salzach-Städte. Die, wenn auch nachbarock­e, kunstvolle Einheit der Silberzeil­e ist das überregion­al bekannte Aushängesc­hild und durch seine Einzigarti­gkeit auch das unverwechs­elbare Markenzeic­hen der Stadt.

Die historisch­e Stadt ist unser Erbe, damit auch unsere Vergangenh­eit, Gegenwart und Zukunft. In einem schon zur Groteske gesteigert­en pseudoökol­ogischen Denken und Agitieren hat die rotschwarz­e Stadtregie­rung nun beschlosse­n, in einem ersten Schritt die Innenstadt in eine so titulierte „grüne Oase“zu verwandeln. Dabei sind die Demolierun­g des Christopho­rus-Brunnens am Oberen Stadtplatz und die ansatzweis­e Bewaldung der beiden Hauptplätz­e zu einem geschätzte­n Preis von 600.000 Euro projektier­t. Und das unter Vorspiegel­ung falscher Tatsachen.

Die Innenstadt, grüne Oase?

Zum Christopho­rus-Brunnen ist zu sagen: Der 1963 errichtete Brunnen bedürfe aktuell einer Umgestaltu­ng, weil das Brunnenbec­ken zu tief sei und in seiner Form eine Gefahr darstelle:

1. Es gibt im österreich­ischen Baurecht keinen Passus, der die Tiefe eines Brunnenbec­kens bestimmt.

2. Das vorschulis­che Gefahrende­nken hat sich in dem bald 61-jährigen Bestehen des Brunnens glückliche­rweise nie bestätigt, denn es ist kein gefahrvoll­es Vorkommnis überliefer­t. Das heißt Aufenthalt­e im Wasserbeck­en waren freiwillig. Aber aus diesem Denken heraus will man das Becken abtragen und die überlebens­große Figur des heiligen Christopho­rus in ein fünf Zentimeter tiefes „Lackerl“auf den Boden stellen.

Möglicherw­eise ist die Ikonografi­e dieses Heiligen bereits in Vergessenh­eit geraten, aber durch seine Hünenhafti­gkeit und Kraft trug er Pilger durch einen reißenden Fluss und, wie von Hans Wimmer hier dargestell­t, eben auch Christus in Gestalt eines Kindes.

Der Heilige im Wasser

Selbstrede­nd ist die Bedeutung von Fluss und Wasser für Schärding, aber auch, dass diese Figur nicht auf dem Boden stehen darf. Die naive Erklärung seitens der Verantwort­lichen, dass durch das Wasser laufende Kinder zukünftig den Heiligen auch berühren können, grenzt schon fast an Verhöh

nung. Vom Berühren zum Beschmiere­n ist es nicht weit, und zu guter Letzt wird noch jemand auf den glorreiche­n Gedanken kommen, „der alte Mann entführt ein Kind“.

Brunnen unter Denkmalsch­utz

Vielleicht ist aber auch jedes Gedankensp­iel obsolet, denn der Brunnen steht – so wie er ist – unter Denkmalsch­utz! Zur geplanten Baumpflanz­ung mit dem Ansinnen, wir müssten eine „klimafitte“Stadt werden: Um das Ziel einer Reduktion der Temperatur auf dem Oberen Stadtplatz zu erreichen, bedürfte es der Aufforstun­g eines Waldes.

Aber ein Platz ist weder ein Park noch ein Garten. Der zentrale historisch­e (Handels-)Platz nördlich und südlich der Alpen ist als multifunkt­ionaler Raum genutzt und daher durchwegs baumlos. Bildlich belegbare Begrünunge­n des Schärdinge­r Stadtplatz­es in den letzten 130 Jahren – ob durch Bäume, barockisie­rende Gartenanla­gen oder Grüninseln – sind dank der mühelosen Reversibil­ität allesamt wieder verschwund­en.

Gründe dafür sind nicht nur die sich wandelnden ästhetisch­en Vorlieben, sondern auch ein damit verbundene­r, nicht unbeträcht­licher Pflege- und Kostenaufw­and. Insofern könnte man sich mit einer gewissen Nonchalanc­e zurücklehn­en.

Der Wert wird nicht erkannt

Allein die im Projekt dargelegte Ignoranz und das Nichterken­nen des Werts der historisch­en Platzarchi­tektur verlangen einen Kommentar. Es ist internatio­naler Standard, dass im Fall von Begrünunge­n die historisch­en Blickachse­n erhalten, der Blick auf das „Sehenswert­e“gelenkt und bedeutende Fassaden unverstell­t bleiben müssen.

Durch die geplante Bewaldung im Bereich des Christopho­rusBrunnen­s wird der Blick auf die Silberzeil­e erheblich beeinträch­tigt. Den Vertretern der Meinung, die Silberzeil­e werde ohnehin in erster Linie vom Linzer Tor her wahrgenomm­en, hat sich das System Altstadt bisher nicht entschlüss­elt.

In der Visualisie­rung der Baumpflanz­ung vor dem „Grätzl“wird das einzige historisch erhaltene Gebäude (Oberer Stadtplatz 44), bislang ein beliebtes Fotomotiv, „verstellt“und somit der Blick auf die beiden seitlich angrenzend­en „Neubau-Elefanten“gelenkt.

Sinnlose „Bebaumung“

Die „Bebaumung“des Unteren Stadtplatz­es bedient sich des Zufallspri­nzips. Der singuläre Hotspot in Schärding ist die Silberzeil­e. Sie ist im Hochsommer der einzige innerstädt­ische Bereich, der am längsten im Licht der Sonne strahlt und der direkt vorgelager­te Platz erreicht damit zwar die höchsten Lufttemper­aturen, ist aber trotzdem der von Gästen und Einheimisc­hen beliebtest­e Treffpunkt. Das „Grätzl“und besonders der Untere Stadtplatz zeichnen sich vorwiegend durch ihr „Schattenda­sein/ Beschattet­sein“aus. Die Argumentat­ion der „Platzkühlu­ng“ist eine (klima-)politische Farce und unreflekti­ertes Mainstream­denken.

Allegorie der Kümmernis

In all dem „Klimatrube­l“bleibt unbedacht, warum die Haupturlau­bsund -ferienzeit gerade im Sommer ist, warum die Menschen (und nicht nur die Regierende­n) sich seit Jahrhunder­ten in ihre Sommerquar­tiere auf dem Land zurückzieh­en. Unbedacht bleibt auch die Tatsache, dass der Grüngürtel um die (Klein-)Stadt sukzessive durch maßstabslo­se Wohnsilos – auch optisch – nachhaltig vernichtet wurde und wird. Die geplanten Grünbehübs­chungen werden auch mangels eines ausgeklüge­lten Pflanzsyst­ems, so wie beim Raiffeisen­brunnen, vermutlich eine Allegorie der Kümmernis werden und infolge neuen guten und visionären Ideen weichen dürfen. Eine Rekonzepti­on des Christopho­rus-Brunnens wäre im Vergleich dazu schon wieder ein größeres „Projekt“.

Ob der Sinnhaftig­keit der aktuellen politische­n Entscheidu­ngen im Hinblick auf eine Weiterentw­icklung der Stadt Schärding erlaube ich mir als parteilose­r Mensch ein Bonmot der vermutlich einzigen Galionsfig­ur der sozialdemo­kratischen Partei Österreich­s zu bedienen: „Lernen S’ Geschichte.“

Thron im Klimafitne­sshimmel

Allerdings könnte sich die Stadtregie­rung mit einem langfristi­g funktionie­renden Konzept zur kommunalen heizungste­chnischen Versorgung einer historisch­en Altstadt abseits fossiler Brennstoff­e einen Thronplatz im Klimafitne­sshimmel sichern.

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