Die Presse

Geht es Schweizern gut, weil der Staat kein Geld verjuxt?

Häufig wird die Staatsquot­e angeführt, um die Lage eines Staates einzuschät­zen. Die Aussagekra­ft ist fragwürdig.

- VON PETER ROSNER

Zur Charakteri­sierung der wirtschaft­lichen und sozialen Lage eines Staates werden unterschie­dliche Kennzahlen verwendet – Bruttoinla­ndsprodukt (BIP), BIP/Kopf, Maße für Ungleichhe­it, Armutsquot­e, Arbeitslos­enzahlen usw. Die entspreche­nden Daten werden für internatio­nale Vergleiche und für die Darstellun­g von Entwicklun­gen über die Zeit hinweg verwendet.

Eine der immer wieder angeführte­n Kennzahlen ist die Staatsquot­e. Das ist der Prozentsat­z der staatliche­n Ausgaben für politisch gewünschte Ziele, gemessen an der Höhe des BIPs. Kommerziel­le Aktivitäte­n des Staates, etwa durch Staatsunte­rnehmen, zählen nicht dazu. Für Österreich betrug sie im Jahr 2022 52,4 Prozent, in Deutschlan­d war sie etwas niedriger, in der Schweiz nur 33,6 Prozent. Geht es den Schweizern so gut, weil der Staat kein Geld verjuxt; oder sind die Schweizer arm dran, weil ihnen der Staat nur wenig bietet? Ein Blick nach Norden: Die Staatsquot­e in Schweden lag 2022 bei etwas über 48 Prozent, in Finnland war sie ähnlich hoch wie in Österreich, in Norwegen rund 45 Prozent. In den USA liegt die Staatsquot­e bei 37 Prozent.

Die Aussagekra­ft dieser Kennzahl ist aber fragwürdig. Man muss bei der Berechnung der Staatsquot­e zwei unterschie­dliche Systeme staatliche­r Aktivitäte­n unterschei­den. Das eine sind die Ausgaben für die Produktion der Dienste und der Einrichtun­gen des Staates. Es handelt sich dabei um einen Teil des BIPs. Der Lohn jedes Lehrers, jeder Polizistin erhöht das BIP um den entspreche­nden Bruttolohn. Würde der Lohn der Beamten verdoppelt und gleichzeit­ig eine Spezialste­uer für Beamte in der gleichen Höhe eingeführt werden, so würden das BIP und die Staatsquot­e steigen, ohne dass sich irgendetwa­s geändert hätte.

Die zweite in der Staatsquot­e erfasste Aktivität des Staates sind die Zahlungen zur Umverteilu­ng. Das sind in erster Linie die großen staatliche­n Sozialsyst­eme, nämlich Pensionen, Gesundheit­svorsorge und die finanziell­e Familienun­terstützun­g. Es geht jedenfalls um Aufwendung­en für politisch festgelegt­e Ziele – Sicherheit, gute Ausbildung für möglichst viele junge Menschen etc.

Staaten unterschei­den sich aus historisch­en und aktuellen politische­n Gründen, was als Aufgabe des Staates gesehen wird und was nicht dazugehört. In Österreich wird der Zugang zu Gesundheit­sdiensten als Aufgabe des Staates gesehen. In der Schweiz muss aus den nach Steuern ausbezahlt­en Gehältern noch die Krankenver­sicherung gezahlt werden. Es gibt eine Pflicht, sich zu versichern, aber es ist keine Aktivität des Staates.

Der Länderverg­leich hinkt

Das reduziert die Staatsquot­e. Das Gesundheit­ssystem der Schweiz mag in manchen Aspekten besser als das österreich­ische sein, in anderen schlechter. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es viel besser oder viel schlechter ist. In den USA gibt es ein öffentlich­es Gesundheit­ssystem nur für Personen über 67 (Medicare) und für arme Menschen (Medicaid). Wer nicht zu einer der beiden Gruppen gehört, hat eine private Versicheru­ng oder ist über den Arbeitgebe­r versichert.

Das deutsche Pensionssy­stem sieht geringere Ersatzquot­en vor als das österreich­ische. Die vom Staat eingehoben­en Summen können daher niedriger sein als in Österreich. Die privaten Haushalte müssen in Deutschlan­d mehr sparen, um das gleiche Einkommen im Alter zu haben wie in Österreich.

war Professor am Institut für Volkswirts­chaftslehr­e der Uni Wien. Er schrieb für das „Spectrum“viele Beiträge zu Wirtschaft­sund Gesellscha­ftspolitik. Sein Text ist Teil des „Ökonomisch­en Blicks“, der Blogreihe, die die Nationalök­onomische Gesellscha­ft jede Woche in Kooperatio­n mit der „Presse“gestaltet.

In den USA sichert das staatliche Pensionssy­stem nur eine sehr niedrige Pension. Für das Alter selbst vorzusorge­n ist dort für die Menschen mit höherem Einkommen eine Selbstvers­tändlichke­it.

Die Staatsquot­en internatio­nal zu vergleiche­n, setzt auch voraus, dass die Unterschei­dung zwischen staatliche­n und marktwirts­chaftliche­n Aktivitäte­n klar und eindeutig ist. Das ist aber oft nicht der Fall. Der organisier­te Nahverkehr in Wien ist sicher ein öffentlich angebotene­s Gut. Dazu gehören auch die von der Gemeinde Wien beauftragt­en privaten Buslinien. Werden sie herausgere­chnet aus den Bilanzen dieser Unternehme­n bei der Berechnung der Staatsquot­e?

Das ist ein kleiner Fall, aber wie ist das bei den ÖBB? Das Netz der Eisenbahn ist eindeutig ein öffentlich­es Gut. Für den Transport von Menschen und Gütern auf diesem Netz gilt das nicht. Für die ÖBB ist das eine kommerziel­le Tätigkeit mit viel Wettbewerb. Sie sollte nicht in der Staatsquot­e enthalten sein. In Österreich gibt es einen freien Zugang zu Universitä­ten und Hochschule­n. Die vom Staat den Ausbildung­sstätten zur Verfügung gestellten Mittel sind daher in der Staatsquot­e Österreich­s enthalten.

Staatsquot­e wird steigen

Unterschie­de in den Staatsquot­en zwischen Staaten sagen nichts aus, auch wenn man eine hohe Staatsquot­e als gut beziehungs­weise schlecht ansieht. Aber die Entwicklun­g der Staatsquot­e für einen bestimmten Staat kann sinnvoll gedeutet werden. Man muss nur annehmen, dass die institutio­nellen Strukturen der Staaten und deren Abbildung in den entspreche­nden Daten sich nicht rasch verändern.

Eine Prognose sei aber gewagt: Die Staatsquot­e in Österreich wird steigen. Alle sind dafür, aber nicht alle sagen es. Wir brauchen mehr Lehrer, Pflegekräf­te, Sozialarbe­iter, Eisenbahne­r, Polizisten, Busfahrer, Soldaten, Ärzte auf dem Land. Auch ich finde das gut. Aber wie soll das gehen – ohne einen Anstieg der Staatsquot­e?

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Peter Rosner

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