„In Belarus erwartet mich der Foltertod“
Wegen angeblicher Steuervergehen wird der Regimekritiker Andrej Gnjot von der belarussischen Justiz gesucht. Aufgrund eines Interpol-Haftbefehls wurde er in Serbien verhaftet. Ihm droht die Auslieferung nach Minsk.
Der belarussische Dissident, Andrej Gnjot, lebt im thailändischen Exil. Im Oktober flog er nach Serbien, weil er ein Werbevideo produzieren wollte. Doch nun droht Gnjot nun aus einem EU-Anwärterstaat die Ausweisung nach Belarus, und somit in die berüchtigten Straflager des Autokraten Alexander Lukaschenko; der 42Jährige wird wegen angeblicher Steuervergehen per Interpol-Haftbefehl gesucht.
„In Belarus erwartet mich der Foltertod“, warnte der seit über vier Monaten verhaftete Gnjot bei seiner Anhörung vor dem Belgrader Berufungsgericht die Richter vor der drohenden Auslieferung: „Mein Leben liegt in Ihren Händen.“Und es stellt sich die Frage: Wird Interpol von autoritären Regimes zur politischen Verfolgung von Dissidenten, Oppositionellen und politischen Gegnern im Exil missbraucht? Die Stärkung der internationalen Zusammenarbeit bei der Fahndung nach kriminellen Straftätern ist das Ziel der Polizeiorganisation. Gleichzeitig hat sich Interpol mit Sitz in Lyon zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet.
Rund 1000 Fahndungsgesuche werden von Interpol pro Jahr zurückgewiesen – ein Zehntel aller Anträge, die von den Mitgliedstaaten eingereicht werden. Doch die kontroverse Inhaftierung und drohende Auslieferung von Gnjot wirft erneut die Frage nach der Effizienz der internen Kontrollmechanismen und der Mitverantwortung von Interpol bei der Verfolgung politischer Gegner unter dem Deckmantel vermeintlicher Wirtschaftsstraftaten aus.
Offiziell ist Gnjot der Steuerhinterziehung in Höhe von rund 300.000 Euro angeklagt. Er soll sich in den Jahren 2012 bis 2018 schuldig gemacht haben. Interpol hätte stutzig machen können, dass das Gesetz, das der Anklage zugrunde liegt, erst 2019 verabschiedet wurde. Darüber hinaus wurde der Mitbegründer der Freien Sportlerorganisation Belarus (SOS By) erst im September 2023 von Minsk zur Fahndung ausgeschrieben. Verlassen hatte Gnjot Belarus jedoch schon im Juni 2021, nach der niedergeschlagenen Protestwelle gegen die verfälschte Präsidentschaftswahl 2020, und wegen Hinweisen auf seine drohende Verhaftung.
Enge Bande mit Minsk
Laut Darstellung seiner Verteidigung hatte Gnjot mit zwei der vier Firmen, die in der Anklage genannt werden, geschäftlich überhaupt nichts zu tun. Der von der Anklage aufgeführte Hauptbelastungszeuge sei zudem 2016 verstorben.
Doch obwohl die Anklage auf zweifelhaften Grundlagen fußt und die Verteidigung bereits die Tilgung seines Interpol-Dossiers beantragt hat, könnte Gnjot schon bald ausgeliefert werden. Ein Grund: Der russophile EU-Beitrittskandidat Serbien pflegt politisch enge Bande mit dem Regime in Minsk.
Anfang Jänner hat Serbiens Hoher Gerichtshof dem Auslieferungsgesuch in erster Instanz stattgegeben. In seiner Zelle wartet Gnjot nun auf das Urteil der Berufungskammer. Wenn er von dem EU-Anwärter ausgeliefert werde, drohe ihm dasselbe Schicksal wie dem kürzlich in Haft verstorbenen russischen Dissidenten Alexej Nawalny, fürchtet Gnjot: „Ich werde genauso wie er eliminiert.“