Der „Informationskrieg“rund um den Taurus
Kanzler Scholz will den Marschflugkörper weiter nicht liefern. Im Kreml wird ein Abhörskandal ausgeschlachtet.
Ein lang geplanter Termin sei das gewesen. Das sagte Alexander Graf Lambsdorff am Montagvormittag in Moskau. Der 57-Jährige dient seit vergangenem Jahr als deutscher Botschafter in Russland.
Vor dem russischen Außenministerium bedrängten ihn Journalisten. Warum er Russland angreifen wolle, wurde der Deutsche gefragt. Es hieß, er sei einbestellt worden, um zu erklären, warum deutsche Offiziere in einem abgehörten Gespräch darüber reden, wie deutsche Marschflugkörper die Kertsch-Brücke auf der Krim zerstören könnten. Die ohnehin schlechte Beziehung zwischen den beiden Ländern senkt sich auf einen weiteren Tiefpunkt.
1 Welche Signale schickte der Kreml der deutschen Regierung zuletzt?
Da ist etwa der Fall des russischen Auftragsmörders, der im Berliner Tiergarten einen Tschetschenen hingerichtet hat und dafür in einem deutschen Gefängnis sitzt. In einem Interview mit dem US-Amerikaner Tucker Carlson sprach Wladimir Putin auch über ihn.
Es soll Verhandlungen gegeben haben, den Auftragsmörder freizulassen, wenn dafür Alexej Nawalny freikommt. Die deutsche Regierung soll bereit gewesen sein, von ihrem Prinzip abzurücken, keine Gefangenen zu tauschen, sagen Aktivisten aus dem Umfeld Nawalnys. Bevor es dazu kam, starb der Oppositionelle in russischer Haft. Die Meldung platzte genau in die Münchner Sicherheitskonferenz, das wichtigste Treffen militärischer Eliten auf deutschem Boden.
Nur wenige Tage später wurde die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Besuch in Kiew von einer russischen Drohne verfolgt. Nun das abgehörte Gespräch. Es war bereits am 19. Februar aufgenommen worden. Russische Journalisten veröffentlichten es elf Tage später – just an jenem Tag, an dem Alexej Nawalny in Moskau begraben wurde.
2 Welche Konsequenzen können die abgehörten Taurus-Gespräche haben?
„Deutschland bereitet sich auf einen Krieg mit Russland vor“, schrieb nun der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew auf dem Nachrichtendienst Telegram. Der deutsche Verteidigungsminister, Boris Pistorius, sagte am Sonntag, Putin führe einen „Informationskrieg“gegen Deutschland.
Wie es zu dem Abhörfall kam, müsse untersucht werden, bevor er Konsequenzen ziehen könne, sagte Pistorius. Einer der vier Offiziere ist für einen wichtigen Nato-Posten vorgesehen, ein Rücktritt würde Russland in die Karten spielen. In dem abgehörten Gespräch wurden Szenarien durchgespielt: Was könnten die Ukrainer mit dem deutschen Marschflugkörper Taurus anstellen? Brauchen sie deutsche Hilfe, um Ziele richtig zu orten und einzuprogrammieren?
Die Antwort: Kommt darauf an. Für einen Angriff auf die KertschBrücke müssten die Ukrainer entweder deutsche Hilfe bekommen oder länger als mit einem zehn bis zwölf Wochen dauernden Basistraining ausgebildet werden, so die Offiziere. Sie rechnen mit acht Monaten. Die Zielkoordinaten könnten aber auch von Deutschland oder Polen aus programmiert oder sogar mit dem Auto in die Ukraine gebracht werden. Auch über eine mögliche Stückzahl wurde gesprochen, um die 50. Die Offiziere zweifeln aber, dass der deutsche Kanzler, Olaf Scholz, eines dieser Szenarien erlauben würde.
3 Wieso beeinflusst die Taurus-Debatte die Briten und Franzosen?
Der Taurus muss an Kampfjets montiert werden – dabei, schlugen die deutschen Offiziere vor, könnten den Ukrainern die Briten helfen. Die seien mit Soldaten im Land. Auch der deutsche Kanzler hatte vergangene Woche darauf hingewiesen, Briten und Franzosen würden beim Verschießen von Marschflugkörpern helfen. Abseits von Indiskretionen reiben sich auch die militärischen Kulturen aneinander: Die deutsche Regierung führt öffentlich Buch, welche Waffen sie in die Ukraine geliefert hat.
Paris monierte bereits, nicht jede militärische Lieferung öffentlich besprechen zu wollen. Großbritannien bildete im vergangenen Jahrzehnt die ukrainische Armee aus, ohne allzu viel darüber zu reden. Abgesehen davon ist die Bundeswehr als Parlamentsarmee organisiert: Wann und wo sie eingesetzt wird, kann der Bundestag entscheidend mitbestimmen.
4 Ändert Kanzler Scholz nach dem Abhörskandal seinen Taurus-Kurs?
Die Opposition fordert nun einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss wegen des Abhörskandals. CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter sagt, er gehe von weiteren abgehörten Gesprächen aus, die von russischer Seite veröffentlicht werden, um die deutsche Debatte zu beeinflussen.
Olaf Scholz beklagte am Montag die „merkwürdige Debatte über einzelne Waffensysteme“. Sollte Deutschland den Taurus liefern, könne es „gewissermaßen zu einer Kriegsbeteiligung kommen“, so der Sozialdemokrat. Eine Meinung, die er nach dem Abhörskandal und den Ausführungen seiner Offiziere nicht änderte. „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das“, sagte er.