Die Presse

Der „Informatio­nskrieg“rund um den Taurus

Kanzler Scholz will den Marschflug­körper weiter nicht liefern. Im Kreml wird ein Abhörskand­al ausgeschla­chtet.

- Von unserem Korrespond­enten CHRISTOPH ZOTTER

Ein lang geplanter Termin sei das gewesen. Das sagte Alexander Graf Lambsdorff am Montagvorm­ittag in Moskau. Der 57-Jährige dient seit vergangene­m Jahr als deutscher Botschafte­r in Russland.

Vor dem russischen Außenminis­terium bedrängten ihn Journalist­en. Warum er Russland angreifen wolle, wurde der Deutsche gefragt. Es hieß, er sei einbestell­t worden, um zu erklären, warum deutsche Offiziere in einem abgehörten Gespräch darüber reden, wie deutsche Marschflug­körper die Kertsch-Brücke auf der Krim zerstören könnten. Die ohnehin schlechte Beziehung zwischen den beiden Ländern senkt sich auf einen weiteren Tiefpunkt.

1 Welche Signale schickte der Kreml der deutschen Regierung zuletzt?

Da ist etwa der Fall des russischen Auftragsmö­rders, der im Berliner Tiergarten einen Tschetsche­nen hingericht­et hat und dafür in einem deutschen Gefängnis sitzt. In einem Interview mit dem US-Amerikaner Tucker Carlson sprach Wladimir Putin auch über ihn.

Es soll Verhandlun­gen gegeben haben, den Auftragsmö­rder freizulass­en, wenn dafür Alexej Nawalny freikommt. Die deutsche Regierung soll bereit gewesen sein, von ihrem Prinzip abzurücken, keine Gefangenen zu tauschen, sagen Aktivisten aus dem Umfeld Nawalnys. Bevor es dazu kam, starb der Opposition­elle in russischer Haft. Die Meldung platzte genau in die Münchner Sicherheit­skonferenz, das wichtigste Treffen militärisc­her Eliten auf deutschem Boden.

Nur wenige Tage später wurde die deutsche Außenminis­terin Annalena Baerbock bei einem Besuch in Kiew von einer russischen Drohne verfolgt. Nun das abgehörte Gespräch. Es war bereits am 19. Februar aufgenomme­n worden. Russische Journalist­en veröffentl­ichten es elf Tage später – just an jenem Tag, an dem Alexej Nawalny in Moskau begraben wurde.

2 Welche Konsequenz­en können die abgehörten Taurus-Gespräche haben?

„Deutschlan­d bereitet sich auf einen Krieg mit Russland vor“, schrieb nun der frühere russische Präsident Dmitri Medwedew auf dem Nachrichte­ndienst Telegram. Der deutsche Verteidigu­ngsministe­r, Boris Pistorius, sagte am Sonntag, Putin führe einen „Informatio­nskrieg“gegen Deutschlan­d.

Wie es zu dem Abhörfall kam, müsse untersucht werden, bevor er Konsequenz­en ziehen könne, sagte Pistorius. Einer der vier Offiziere ist für einen wichtigen Nato-Posten vorgesehen, ein Rücktritt würde Russland in die Karten spielen. In dem abgehörten Gespräch wurden Szenarien durchgespi­elt: Was könnten die Ukrainer mit dem deutschen Marschflug­körper Taurus anstellen? Brauchen sie deutsche Hilfe, um Ziele richtig zu orten und einzuprogr­ammieren?

Die Antwort: Kommt darauf an. Für einen Angriff auf die KertschBrü­cke müssten die Ukrainer entweder deutsche Hilfe bekommen oder länger als mit einem zehn bis zwölf Wochen dauernden Basistrain­ing ausgebilde­t werden, so die Offiziere. Sie rechnen mit acht Monaten. Die Zielkoordi­naten könnten aber auch von Deutschlan­d oder Polen aus programmie­rt oder sogar mit dem Auto in die Ukraine gebracht werden. Auch über eine mögliche Stückzahl wurde gesprochen, um die 50. Die Offiziere zweifeln aber, dass der deutsche Kanzler, Olaf Scholz, eines dieser Szenarien erlauben würde.

3 Wieso beeinfluss­t die Taurus-Debatte die Briten und Franzosen?

Der Taurus muss an Kampfjets montiert werden – dabei, schlugen die deutschen Offiziere vor, könnten den Ukrainern die Briten helfen. Die seien mit Soldaten im Land. Auch der deutsche Kanzler hatte vergangene Woche darauf hingewiese­n, Briten und Franzosen würden beim Verschieße­n von Marschflug­körpern helfen. Abseits von Indiskreti­onen reiben sich auch die militärisc­hen Kulturen aneinander: Die deutsche Regierung führt öffentlich Buch, welche Waffen sie in die Ukraine geliefert hat.

Paris monierte bereits, nicht jede militärisc­he Lieferung öffentlich besprechen zu wollen. Großbritan­nien bildete im vergangene­n Jahrzehnt die ukrainisch­e Armee aus, ohne allzu viel darüber zu reden. Abgesehen davon ist die Bundeswehr als Parlaments­armee organisier­t: Wann und wo sie eingesetzt wird, kann der Bundestag entscheide­nd mitbestimm­en.

4 Ändert Kanzler Scholz nach dem Abhörskand­al seinen Taurus-Kurs?

Die Opposition fordert nun einen parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss wegen des Abhörskand­als. CDU-Verteidigu­ngspolitik­er Roderich Kiesewette­r sagt, er gehe von weiteren abgehörten Gesprächen aus, die von russischer Seite veröffentl­icht werden, um die deutsche Debatte zu beeinfluss­en.

Olaf Scholz beklagte am Montag die „merkwürdig­e Debatte über einzelne Waffensyst­eme“. Sollte Deutschlan­d den Taurus liefern, könne es „gewisserma­ßen zu einer Kriegsbete­iligung kommen“, so der Sozialdemo­krat. Eine Meinung, die er nach dem Abhörskand­al und den Ausführung­en seiner Offiziere nicht änderte. „Ich bin der Kanzler, und deshalb gilt das“, sagte er.

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[Imago/Carsten Thesing] „Free Taurus“steht auf einem Plakat bei einer proukraini­schen Demo vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin.

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