Ein zahnloses EU-Gesetz gegen neue Sklaverei
Die Einfuhr von Produkten aus Zwangsarbeit wird verboten. Wie das wirksam vollzogen wird, ist aber offen.
Im November 2021 schlugen serbische Menschenrechtler Alarm. In der Reifenfabrik des staatsnahen chinesischen Reifenherstellers Linglong in der Freihandelszone Zrenjanin hausten rund 500 vietnamesische Zwangsarbeiter unter menschenunwürdigen Bedingungen. Die Manager des Unternehmers nahmen ihnen die Reisepässe weg, die Arbeitsverträge entsprachen weder hinsichtlich der Löhne noch der Arbeitsund Freizeit dem serbischen Arbeitsrecht. Sklavenartige Arbeitsverhältnisse mitten in Europa: Diese Nachricht schlug Wellen bis nach Brüssel und Straßburg. Das Europaparlament verurteilte diese Zustände nur einen Monat später in einer Entschließung und forderte die serbische Regierung zu einer Untersuchung und dazu auf, „der EU die Ergebnisse ihrer Ermittlungen bereitzustellen und die Täter zur Verantwortung zu ziehen“.
Überforderte Behörden
Passiert ist in den mehr als drei Jahren seither nichts. Im Gegenteil. Die Union eröffnete kurz nach den Enthüllungen ein weiteres Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit Serbien, nämlich jenes über die „Grüne Agenda und nachhaltige Konnektivität“.
Diese Causa illustriert die Probleme, die die Europäische Union damit hat, ihre menschenrechtlichen Normen in Drittstaaten umzusetzen. Ein neues Gesetz soll dafür sorgen, dass sich die Ausbeutung von Zwangsarbeitern künftig nicht mehr lohnt. Diese Verordnung sieht ein Verbot für die Einfuhr von Produkten in den EU-Binnenmarkt vor, bei deren Herstellung Arbeiten oder Dienstleistungen erfolgt sind, „die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“. Solche Waren soll der Importeur auf eigene Kosten vernichten müssen.
In der Nacht auf Dienstag rangen die Verhandler des Europaparlaments und des belgischen Ratsvorsitzes um die Letztfassung des Gesetzes. Doch schon vor dem Beginn dieser Sitzung waren zwei wesentliche Schwachstellen des zu erwartenden Kompromisses ersichtlich.
Erstens wird die Beweislast dafür, dass in einer Fabrik oder auf einem Feld außerhalb der EU Zwangsarbeiter ausgebeutet werden und die daraus gewonnenen Waren oder Lebensmittel für den EU-Markt bestimmt sind, bei nationalen Behörden der Mitgliedstaaten liegen. Diese müssen in vielen Mitgliedstaaten überhaupt erst bestimmt werden, haben also keine einschlägige Erfahrung mit solchen Ermittlungen.
Zudem droht die praktische Unmöglichkeit des korrekten Vollzugs dieser Norm. Der Vorschlag der Kommission sieht zwar einen risikobasierten Zugang vor. Das heißt, dass der Schwerpunkt der behördlichen Überwachung auf
Produkten, Unternehmen und Orten liegt, wo die Risiken für Zwangsarbeit am größten sind und die Wirkung eines Importverbots am stärksten. Doch in einer globalisierten Wirtschaft lassen sich Produktionsstätten und Zulieferer rasch ändern. Es ist fraglich, wie die europäischen Behörden bei diesem Katz-und-Maus-Spiel mithalten können.
Die Europaabgeordneten hatten eine Beweislastumkehr vorgeschlagen. Sprich: Ein Importeur, der Waren aus einer einschlägig für Zwangsarbeit bekannten Region in die EU einführen will, soll beweisen müssen, dass dies in seinem konkreten Fall nicht so ist. Die USA wenden diesen Zugang bei ihrem Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsarbeit der chinesischen muslimischen Minderheit der Uiguren an. Doch die Kommission wollte schon in ihrem Gesetzesvorschlag nichts davon wissen. Und auch der Rat, der sich Ende Jänner auf seine Verhandlungsposition geeinigt hat, will die Importeure nicht in die Pflicht nehmen.
Die zweite Schwachstelle des zu erwartenden Gesetzes besteht in dem Mangel von finanziellen und sonstigen Hilfestellungen für die betroffenen Zwangsarbeiter. Die ist allerdings oft entscheidend dafür, dass sie sich überhaupt trauen, sich an die Behörden zu wenden. Ob das Gesetz also tatsächlich gegen die moderne Sklaverei wirken wird, ist fraglich.