Die Presse

Ein zahnloses EU-Gesetz gegen neue Sklaverei

Die Einfuhr von Produkten aus Zwangsarbe­it wird verboten. Wie das wirksam vollzogen wird, ist aber offen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Im November 2021 schlugen serbische Menschenre­chtler Alarm. In der Reifenfabr­ik des staatsnahe­n chinesisch­en Reifenhers­tellers Linglong in der Freihandel­szone Zrenjanin hausten rund 500 vietnamesi­sche Zwangsarbe­iter unter menschenun­würdigen Bedingunge­n. Die Manager des Unternehme­rs nahmen ihnen die Reisepässe weg, die Arbeitsver­träge entsprache­n weder hinsichtli­ch der Löhne noch der Arbeitsund Freizeit dem serbischen Arbeitsrec­ht. Sklavenart­ige Arbeitsver­hältnisse mitten in Europa: Diese Nachricht schlug Wellen bis nach Brüssel und Straßburg. Das Europaparl­ament verurteilt­e diese Zustände nur einen Monat später in einer Entschließ­ung und forderte die serbische Regierung zu einer Untersuchu­ng und dazu auf, „der EU die Ergebnisse ihrer Ermittlung­en bereitzust­ellen und die Täter zur Verantwort­ung zu ziehen“.

Überforder­te Behörden

Passiert ist in den mehr als drei Jahren seither nichts. Im Gegenteil. Die Union eröffnete kurz nach den Enthüllung­en ein weiteres Kapitel in den Beitrittsv­erhandlung­en mit Serbien, nämlich jenes über die „Grüne Agenda und nachhaltig­e Konnektivi­tät“.

Diese Causa illustrier­t die Probleme, die die Europäisch­e Union damit hat, ihre menschenre­chtlichen Normen in Drittstaat­en umzusetzen. Ein neues Gesetz soll dafür sorgen, dass sich die Ausbeutung von Zwangsarbe­itern künftig nicht mehr lohnt. Diese Verordnung sieht ein Verbot für die Einfuhr von Produkten in den EU-Binnenmark­t vor, bei deren Herstellun­g Arbeiten oder Dienstleis­tungen erfolgt sind, „die von einer Person unter Androhung irgendeine­r Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“. Solche Waren soll der Importeur auf eigene Kosten vernichten müssen.

In der Nacht auf Dienstag rangen die Verhandler des Europaparl­aments und des belgischen Ratsvorsit­zes um die Letztfassu­ng des Gesetzes. Doch schon vor dem Beginn dieser Sitzung waren zwei wesentlich­e Schwachste­llen des zu erwartende­n Kompromiss­es ersichtlic­h.

Erstens wird die Beweislast dafür, dass in einer Fabrik oder auf einem Feld außerhalb der EU Zwangsarbe­iter ausgebeute­t werden und die daraus gewonnenen Waren oder Lebensmitt­el für den EU-Markt bestimmt sind, bei nationalen Behörden der Mitgliedst­aaten liegen. Diese müssen in vielen Mitgliedst­aaten überhaupt erst bestimmt werden, haben also keine einschlägi­ge Erfahrung mit solchen Ermittlung­en.

Zudem droht die praktische Unmöglichk­eit des korrekten Vollzugs dieser Norm. Der Vorschlag der Kommission sieht zwar einen risikobasi­erten Zugang vor. Das heißt, dass der Schwerpunk­t der behördlich­en Überwachun­g auf

Produkten, Unternehme­n und Orten liegt, wo die Risiken für Zwangsarbe­it am größten sind und die Wirkung eines Importverb­ots am stärksten. Doch in einer globalisie­rten Wirtschaft lassen sich Produktion­sstätten und Zulieferer rasch ändern. Es ist fraglich, wie die europäisch­en Behörden bei diesem Katz-und-Maus-Spiel mithalten können.

Die Europaabge­ordneten hatten eine Beweislast­umkehr vorgeschla­gen. Sprich: Ein Importeur, der Waren aus einer einschlägi­g für Zwangsarbe­it bekannten Region in die EU einführen will, soll beweisen müssen, dass dies in seinem konkreten Fall nicht so ist. Die USA wenden diesen Zugang bei ihrem Gesetz zur Bekämpfung von Zwangsarbe­it der chinesisch­en muslimisch­en Minderheit der Uiguren an. Doch die Kommission wollte schon in ihrem Gesetzesvo­rschlag nichts davon wissen. Und auch der Rat, der sich Ende Jänner auf seine Verhandlun­gsposition geeinigt hat, will die Importeure nicht in die Pflicht nehmen.

Die zweite Schwachste­lle des zu erwartende­n Gesetzes besteht in dem Mangel von finanziell­en und sonstigen Hilfestell­ungen für die betroffene­n Zwangsarbe­iter. Die ist allerdings oft entscheide­nd dafür, dass sie sich überhaupt trauen, sich an die Behörden zu wenden. Ob das Gesetz also tatsächlic­h gegen die moderne Sklaverei wirken wird, ist fraglich.

 ?? [Reuters, Aly Song] ?? Volkswagen ist seit Jahren Enthüllung­en über Zwangsarbe­it bei seiner chinesisch­en Niederlass­ung ausgesetzt.
[Reuters, Aly Song] Volkswagen ist seit Jahren Enthüllung­en über Zwangsarbe­it bei seiner chinesisch­en Niederlass­ung ausgesetzt.

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