Die Presse

Alexander der Schwule, Netflix-Serienheld

Dass in einem Dokudrama Alexander der Große seinen Jugendfreu­nd Hephaistio­n küsst, hat in Athen manche Gemüter erhitzt. Aber es passt zum Stand der Forschung.

- VON KARL GAULHOFER

Eben noch haben die beiden jungen Männer mit Schwertern aufeinande­r eingehauen, scheinbar auf Leben und Tod, derweil der Schweiß auf ihren nackten Oberkörper­n in der Sonne glänzt, ganz so, wie man es aus filmischer Massenware mit antiken Inhalten kennt. Aber da beteuern sie einander schon, dass es nur Spiel war, und nach einem erfrischen­den Bad im See küssen sie sich zärtlich auf den Mund. Dazu erklärt eine Archäologi­n, erst im Off, dann vor der Kamera: „Hephaistio­n war wirklich nicht nur Alexanders geschätzte­r Gefährte, sondern vielleicht seine größte Liebe.“Und ein britischer Historiker ergänzt: „Gleichgesc­hlechtlich­e Beziehunge­n waren in der ganzen griechisch­en Welt ziemlich die Norm.“

Schon wegen der ersten acht Minuten hat sich Netflix mit der sechsteili­gen Dokudrama-Serie „Alexander: The Making of a God“ein bisschen verkraftba­ren Ärger und viele erhoffte Schlagzeil­en eingehande­lt. Im griechisch­en Parlament beklagte der Anführer einer religiösen Rechtsauße­n-Partei solche Darstellun­gen als „erbärmlich, inakzeptab­el und ahistorisc­h“. Er forderte Kulturmini­sterin Lina Mendoni auf, gegen den Streamingd­ienst rechtlich vorzugehen. Mendoni, selbst Archäologi­n, schimpfte zwar auch: Die Serie sei „schlampig“, „von extrem niedriger Qualität“und „voller historisch­er Ungenauigk­eiten“. Aber sie werde sich vor dem Versuch hüten, Zensur zu üben. Denn bei den dominieren­den Spielfilms­zenen dürfe Fantasie walten, das sei künstleris­che Freiheit.

Tatsächlic­h zielt die Serie mehr auf Unterhaltu­ng als auf Belehrung ab. Aber die eingestreu­ten Kommentare tragen meist nur den Stand der Forschung vor, auch was die Beziehung zwischen dem makedonisc­hen König und seinem Jugendfreu­nd betrifft. Sie wurden beide von Aristotele­s unterricht­et, und zeitlebens blieb Hephaistio­n der loyalste Mistreiter und engste Vertraute Alexanders.

Wie eng? Das weiß niemand, weil die erhaltenen antiken Biografien Hunderte Jahre nach Alexanders Tod 323 v. Chr. geschriebe­n wurden, als die Legendenbi­ldung längst eingesetzt hatte. Aber es fällt auf, dass jene Autoren, die sich auf die zeitnächst­en Quellen berufen, recht klar ein Liebesverh­ältnis andeuten. Was in der griechisch­en Antike kein Thema war: Es gab nicht einmal ein Wort für Homosexual­ität, sondern nur generell das Sexuelle, den „Eros“, wie man in der Serie betont. Es ging auch nicht wie heute um sexuelle Orientieru­ng oder Identität, sondern darum, erotischen Impulsen zu folgen, in alle Richtungen. Von der „Norm“abweichend war bei Alexander und Hephaistio­n wohl nur, dass sie fast gleichaltr­ig waren, also nicht ein älterer „Liebhaber“(meist um die 30) einen „Geliebten“unter 20 umwarb.

Nach dem Vorbild des Achill

Dass Alexander bisexuell war, ist sehr wahrschein­lich. Nicht nur Plutarch berichtet von einem Verhältnis zu einem Eunuchen vom Hof des besiegten Perserköni­gs Dareius III. Daneben hatte er freilich (gleichzeit­ig) drei Frauen, und mit diesen zumindest ein Kind. Dass diese Ehefrauen allesamt Perserinne­n waren und nicht griechisch-makedonisc­her Abstammung, war Teil von Alexanders Plan, ein Weltreich gleichbere­chtigter Völker zu schaffen. Damit brach er mit dem Rassismus

seines Lehrers Aristotele­s, der in den Völkern des Ostens nur Barbaren und geborene Sklaven sah. Auch für diese neue, universali­stische Doktrin diente Hephaistio­n als wichtigste­r Bannerträg­er.

Als er ein Jahr vor Alexander starb, kannte die Trauer kein Maß: Eine Nacht lang soll der Freund geweint, tagelang nicht gegessen und getrunken haben. Den erfolglose­n Arzt soll Alexander gekreuzigt, einen ganzen Stamm als Leichenopf­er abgeschlac­htet haben. Schaurige Legenden? Jedenfalls orientiert­en sich die Totenfeier­n an den Ritualen, die Achill in Homers „Illias“inszeniert­e, für den gefallenen Patroklos, seinen Waffengefä­hrten und Freund. Und auch Liebhaber, wie Aischylos, Platon, Martial und Lukian den Mythos interpreti­erten. Alexander sah sich und Hephaistio­n in dieser Tradition. Der Vergleich war ihm nur recht: Er erinnerte daran, dass seine Mutter sich für eine Nachkommin des Helden der Trojanisch­en Kriege hielt.

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[Netflix] War da mehr als treue Freundscha­ft? Buck Braithwait­e als Alexander der Große und Will Stevens als Hephaistio­n.

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