Die Presse

Warnung auf der Bühne: „Töten ist eine Kunst für alle“

Kasematten in Wiener Neustadt. Mrożeks „Schlachtho­f “ist ein starkes Stück. Ira Süssenbach hat ihr Ensemble punktgenau darauf eingestell­t.

- VON NORBERT MAYER

In den Kasematten von Wr. Neustadt scheint ein Kammerkonz­ert anzufangen. Die erste von vier Szenen in Sławomir Mrożeks „Schlachtho­f“eröffnet mit einem Geiger (Nico Dorigatti) und einer Flötistin (Saskia Klar). Doch der junge Mann nimmt eine singende Säge in die Hand, die junge Frau ein Kazoo, ein Blechinstr­ument, mit dem man Stimmen in erbärmlich­es Quäken verwandeln kann. Die Flötistin wird das mit Inbrunst machen, der Geiger mit ihr auf das Grässlichs­te disharmoni­eren. Schon setzt er ab und brüllt: „Ich liebe sie!“Dachten wir’s doch: Das ist kein Konzert, sondern eine missglückt­e Romanze. Im Hintergrun­d lauert des Geigers Mutter. Sie will ihn von der Welt fernhalten. Er müsse immerzu üben und immerwähre­nd bei ihr bleiben. Logisch, dass die quäkend Flötende die Flucht ergreift. Was für ein Tollhaus! Kein Wunder, dass dieses Zimmer irgendwann auseinande­rfällt.

Der Autor hat sein Stück 1973 geschriebe­n, es wurde in Warschau uraufgefüh­rt, da war der durch seine satirische Kraft aneckende Autor längst im Exil in Paris. Internatio­nalen Ruhm erlangte er 1964 mit „Tango“. Seine große Kunst ist die Überspitzu­ng, die den gewöhnlich­en Schrecken der Realität erst so richtig hervortret­en lässt.

Ein Pakt mit dem Teufelsgei­ger

In Österreich musste man bis 2024 auf die Erstauffüh­rung von „Schlachtho­f. Wir essen nur Karfiol“warten, beim Theaterfes­tival Wortwiege. Hat sich das Stück gut gehalten? Unbedingt. Nach Grillparze­rs „Medea“unter der Regie von Intendanti­n Anna Maria Krassnigg ist nun auch die zweite Premiere (Regie: Ira Süssenbach) bestens geraten. Ein Quartett von Darsteller­n spielt sich in Rage bei dieser Farce, die sich zum Bösesten steigert.

Dem Geiger scheint die Emanzipati­on von der Mutter zu gelingen. Er schließt einen

Pakt mit dem Teufel – nein, mit dem Teufelsgei­ger (so wie die Mutter und später den Schlachter spielt ihn Roberto Romeo). Paganinis Büste wird zum Leben erweckt. Einen ehrlichen Tausch nennen sie das: „Die Kunst für das Leben.“Dazu braucht es aber Kulturpoli­tik. Schon erscheint devot die Direktorin der Philharmon­ie (Petra Staduan), die den Virtuosen um jeden Preis engagieren will. Kommt jetzt gar die Karriere als Happy End?

Wenn da nicht der Schlachter wäre! Der entfesselt im Künstler ganz andere Triebe. Für ihn ist das Schlachtha­us der Kern der Wirklichke­it. Statt der Musik soll die Philharmon­ie öffentlich­em Töten dienen. Der besessene Geiger sieht sich schon als Weltgeist zu Pferde, setzt sich auf ein aus Schrott gefertigte­s großes Tier. Der Mutter und der Flötistin schleudert er entgegen: „Ich kann töten!“Und wie reagiert die Direktorin? Sie arrangiert sich, droht mit der Reinigung von der Kultur, einer Befreiung von der Zivilisati­on. Schließlic­h sucht sie sogar im Publikum nach Schlächter­n, während im Off bereits die gequälten Tiere brüllen.

Staduan verleiht ihrer Rolle leicht Diabolisch­es, versteckt es kunstvoll unter der Maske der angepasste­n Funktionär­in. Dorigatti und Klar widmen sich mit Verve dem Slapstick. Grelle Clowns. Seine Unbeholfen­heit rührt, ihre Hingabe vermittelt kaum verborgene Dominanz. Romeo spielt geschickt mit Zurückhalt­ung, die ihn desto bedrohlich­er wirken lässt. Alle gehen souverän mit der Sprache um. Diese Truppe bringt Mrożeks entlarvend­en Esprit voll zur Geltung.

Süssenbach, im sibirische­n Krasnojars­k geboren, in Moskau aufgewachs­en, von Russland 2012 aus politische­n Gründen weggegange­n, hat ihr Ensemble punktgenau auf diesen tolldreist­en Text eingestell­t. Sie braucht keine Verweise auf das Hier und Jetzt. Der gute alte Mrożek genügt. Fürchterli­ch wird das Finale: „Töten ist eine Kunst für alle, eine Kunst für die Massen.“

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