Gaza und das Phantom eines Palästina-Staats
Die Zwei-Staaten-Lösung, die jetzt wieder aufgewärmt wird, bietet keine Lösung für die Sicherheit Israels.
Free Palestine“, liest man auf Transparenten, die bei propalästinensischen Kundgebungen, die eigentlich antiisraelische sind, herumgetragen werden. Was kann damit gemeint sein? Einen Staat Palästina, der zu befreien wäre, gibt es nur als Wille und Vorstellung, aber nicht in der Wirklichkeit. Daran ändert auch nichts, dass sich dieser Phantomstaat der Anerkennung von 138 Staaten der Welt erfreut, auch wenn man einige davon als Failed States bezeichnen muss. Staaten entstehen nicht dadurch, dass sie von noch so vielen anderen anerkannt werden. Auch der Segen der UNO macht noch keinen Staat. Erst aus der effektiven Kontrolle über ein Territorium erwachsen Souveränität und Unabhängigkeit nach außen.
Also kann mit dem Palästina, von dem die Demonstranten und Unterzeichner von Aufrufen reden, nur jenes sehr kleine Land im Nahen Osten gemeint sein, das zuletzt ein von Großbritannien geführtes UNO-Mandatsgebiet war, das aber 1948 beendet wurde. Seither gibt es dort den Staat Israel und das von ihm seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 okkupierte, von Arabern bewohnte Westjordanland und den Gaza-Streifen.
Diese beiden Landstriche waren davor – daran muss man wieder einmal erinnern – nicht etwa selbstverwaltete Staaten, sondern seit 1948 von Jordanien bzw. Ägypten besetzt. Dieses ganze Palästina „befreien” zu wollen kann nur bedeuten, den jüdischen Staat und die Juden, die ihn bewohnen, zu beseitigen. Alle, die auf Bühnen von Filmfestspielen und anderen Kunstveranstaltungen mit dem sogenannten Palästinensertuch posieren wie mit einer priesterlichen
Stola (ein deutscher Kommentator) und vom angeblichen Genozid im Gaza-Streifen reden, müssen wissen, dass sie damit einem wirklichen Genozid das Wort reden.
Aber mit solchen politischen Realitäten gibt sich die Pro-Palästina-Rhetorik nicht ab. In der westlichen Öffentlichkeit (in der arabischen ohnehin) besetzen die Palästinenser die Rolle der Opfer schlechthin. Weder die Uiguren in China noch die Syrer, weder die Armenier, noch die Rohingyas in Burma noch irgendeine andere oft schlimmer drangsalierte Völkerschaft auf der Welt hat es zu diesem Nimbus gebracht. Die Palästinenser sind Opfer des israelischen „Siedlerkolonialismus”, wie es neuerdings heißt, Opfer der USA natürlich auch. Dass sie Opfer des Desinteresses der arabischen Staaten sein könnten, die sie seit Jahrzehnten zu einem Flüchtlingsvolk machen, wird nicht in Betracht gezogen. Schon gar nicht dürfen sie die Opfer von Terrororganisationen wie der Hamas sein.
„Vergesst den Palästinenserstaat“, schrieb ich vor ein paar Jahren. Das war nicht als Provokation gemeint, hat mir aber empörte Kritik eingebracht, denn es widersprach der allgemeinen Auffassung, nach der dieser Staat sofort gebildet werden müsse und Israel allein daran schuld sei, dass es ihn noch nicht gibt. In Wirklichkeit haben die politischen Vertreter der Palästinenser, allen voran Jassir Arafat, immer wieder Gelegenheiten, bei denen sie den Staat hätten haben können, vorübergehen lassen.
2000 letzte Chance verpasst
Die letzte und spektakulärste Chance waren zwei Wochen lange Verhandlungen mit US-Präsident Bill Clinton in Camp David im Jahr 2000. Im Grunde wollten sich die Palästinenser nie damit abfinden, dass dieser Staat nicht „vom Fluss (gemeint der Jordan) bis zum Meer“reichen würde, wie die Parole der Hamas lautet, die von jugendlichen Demonstranten vorwiegend auf US-amerikanischen Universitäten eifrig skandiert wird. Unterdessen sind in Israel Parteien und Personen an der Regierung, die denselben Totalanspruch auf das Land erheben.
Dass jetzt nach dem 7. Oktober 2023 ein Palästinenserstaat neben Israel, also die viel beschworene Zwei-Staaten-Lösung, immer noch und schon wieder der Ausweg aus der Krise sein soll, gehört zu den Irrationalitäten der internationalen Politik. Vom UN-Generalsekretär über alle europäischen Politiker bis zu jüdischen Großkommentatoren in US-amerikanischen Zeitungen wiederholen alle die hergebrachte Formel, ohne sagen zu können, wie man sich das vorzustellen habe. „Now“– müsse dieser Staat geschaffen werden, schreibt Thomas Friedman in der „New York Times“plakativ.
Niemand kann Israels …
Niemand weiß, wie der Krieg in Gaza ausgehen wird, und vor allem, ob es Israel überhaupt gelingen kann, die Hamas auszulöschen, was das erklärte Ziel der Invasion ist. In einem großen Bericht aus dem Gaza-Streifen schreibt das „Wall Street Journal” vom anhaltenden Widerstandswillen der Hamas trotz verheerender Verluste. Sie könnte aus dem Schutt von Gaza heil hervorgehen und sich zum Sieger erklären, weil sie der überlegenen Militärmaschine Israels widerstanden habe, und den Anspruch auf die Führung der Palästinenser erheben.
Und wer, vom UN-Generalsekretär über alle europäischen Politiker bis zu Thomas Friedman, würde dann sagen können, man dürfe nicht dieser Hamas die Verantwortung für einen Palästinenserstaat überlassen? Und wer könnte und wollte die Hamas daran hindern, diesen Staat umgehend aufzurüsten? Ihr Ziel, Israel zu zerstören („Vom Fluss bis zum Meer”) hat sie nicht aufgegeben. Wie sie mit Israelis verfahren würde, wenn sie deren habhaft würde, hat sie am 7. Oktober gezeigt. Aber selbst für den Fall, dass die Hamas als politische Kraft verschwunden wäre, würde niemand der erwiesenermaßen korrupten und unfähigen Fatah in Ramallah einen solchen Staat anvertrauen wollen. Die umgehende Anerkennung eines Staats Palästina, die jetzt manche empfehlen, wäre daher nicht einmal als gut gemeinte Geste sinnvoll.
Alle Vorstellungen von einer Zwei-Staaten-Lösung scheitern daran, dass niemand für die Sicherheit Israels garantieren kann und wird außer Israel selbst. Es ist rührend unrealistisch, wenn Friedman unverdrossen auf den Kronprinzen von Saudiarabien setzt und israelische Intellektuelle wie der Dichter Joshua Sobol von einer „nahöstlichen Gemeinde“träumen und treuherzig meinen, man sollte „darauf achten, dass nicht wieder eine Terrororganisation entsteht“. Es wird keine „internationale Koalition aus den USA, der Europäischen Union und den arabischen Staaten” geben, die „die Verantwortung für den Gaza-Streifen übernimmt”, wie es sich Sobol wünscht.
… Sicherheit garantieren
Diese Allianz wird es nicht geben. Israel hat allein die Verantwortung für das gesamte Territorium, das es kontrolliert. Dass es die militärische Kontrolle darüber halten kann, ist eine Überlebensfrage für den Staat als eine Heimstätte für Juden, die keine andere haben. Demgegenüber und angesichts der gigantischen Aufgabe des Wiederaufbaus von Gaza ist die innere staatsrechtliche Organisation momentan jedenfalls sekundär. Dafür sind verschiedene Modelle denkbar von einer Föderalisierung bis zur weitgehenden Autonomie aller von Arabern bewohnten Gebiete einschließlich der, die jetzt zum Staat Israel gehören. Nur so viel ist klar: Alles das und die Befriedung zwischen Juden und arabischer Bevölkerung sind von Benjamin Netanjahu und seiner Regierung nicht zu erwarten.