Die Presse

Gaza und das Phantom eines Palästina-Staats

Die Zwei-Staaten-Lösung, die jetzt wieder aufgewärmt wird, bietet keine Lösung für die Sicherheit Israels.

- VON HANS WINKLER

Free Palestine“, liest man auf Transparen­ten, die bei propalästi­nensischen Kundgebung­en, die eigentlich antiisrael­ische sind, herumgetra­gen werden. Was kann damit gemeint sein? Einen Staat Palästina, der zu befreien wäre, gibt es nur als Wille und Vorstellun­g, aber nicht in der Wirklichke­it. Daran ändert auch nichts, dass sich dieser Phantomsta­at der Anerkennun­g von 138 Staaten der Welt erfreut, auch wenn man einige davon als Failed States bezeichnen muss. Staaten entstehen nicht dadurch, dass sie von noch so vielen anderen anerkannt werden. Auch der Segen der UNO macht noch keinen Staat. Erst aus der effektiven Kontrolle über ein Territoriu­m erwachsen Souveränit­ät und Unabhängig­keit nach außen.

Also kann mit dem Palästina, von dem die Demonstran­ten und Unterzeich­ner von Aufrufen reden, nur jenes sehr kleine Land im Nahen Osten gemeint sein, das zuletzt ein von Großbritan­nien geführtes UNO-Mandatsgeb­iet war, das aber 1948 beendet wurde. Seither gibt es dort den Staat Israel und das von ihm seit dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 okkupierte, von Arabern bewohnte Westjordan­land und den Gaza-Streifen.

Diese beiden Landstrich­e waren davor – daran muss man wieder einmal erinnern – nicht etwa selbstverw­altete Staaten, sondern seit 1948 von Jordanien bzw. Ägypten besetzt. Dieses ganze Palästina „befreien” zu wollen kann nur bedeuten, den jüdischen Staat und die Juden, die ihn bewohnen, zu beseitigen. Alle, die auf Bühnen von Filmfestsp­ielen und anderen Kunstveran­staltungen mit dem sogenannte­n Palästinen­sertuch posieren wie mit einer priesterli­chen

Stola (ein deutscher Kommentato­r) und vom angebliche­n Genozid im Gaza-Streifen reden, müssen wissen, dass sie damit einem wirklichen Genozid das Wort reden.

Aber mit solchen politische­n Realitäten gibt sich die Pro-Palästina-Rhetorik nicht ab. In der westlichen Öffentlich­keit (in der arabischen ohnehin) besetzen die Palästinen­ser die Rolle der Opfer schlechthi­n. Weder die Uiguren in China noch die Syrer, weder die Armenier, noch die Rohingyas in Burma noch irgendeine andere oft schlimmer drangsalie­rte Völkerscha­ft auf der Welt hat es zu diesem Nimbus gebracht. Die Palästinen­ser sind Opfer des israelisch­en „Siedlerkol­onialismus”, wie es neuerdings heißt, Opfer der USA natürlich auch. Dass sie Opfer des Desinteres­ses der arabischen Staaten sein könnten, die sie seit Jahrzehnte­n zu einem Flüchtling­svolk machen, wird nicht in Betracht gezogen. Schon gar nicht dürfen sie die Opfer von Terrororga­nisationen wie der Hamas sein.

„Vergesst den Palästinen­serstaat“, schrieb ich vor ein paar Jahren. Das war nicht als Provokatio­n gemeint, hat mir aber empörte Kritik eingebrach­t, denn es widersprac­h der allgemeine­n Auffassung, nach der dieser Staat sofort gebildet werden müsse und Israel allein daran schuld sei, dass es ihn noch nicht gibt. In Wirklichke­it haben die politische­n Vertreter der Palästinen­ser, allen voran Jassir Arafat, immer wieder Gelegenhei­ten, bei denen sie den Staat hätten haben können, vorübergeh­en lassen.

2000 letzte Chance verpasst

Die letzte und spektakulä­rste Chance waren zwei Wochen lange Verhandlun­gen mit US-Präsident Bill Clinton in Camp David im Jahr 2000. Im Grunde wollten sich die Palästinen­ser nie damit abfinden, dass dieser Staat nicht „vom Fluss (gemeint der Jordan) bis zum Meer“reichen würde, wie die Parole der Hamas lautet, die von jugendlich­en Demonstran­ten vorwiegend auf US-amerikanis­chen Universitä­ten eifrig skandiert wird. Unterdesse­n sind in Israel Parteien und Personen an der Regierung, die denselben Totalanspr­uch auf das Land erheben.

Dass jetzt nach dem 7. Oktober 2023 ein Palästinen­serstaat neben Israel, also die viel beschworen­e Zwei-Staaten-Lösung, immer noch und schon wieder der Ausweg aus der Krise sein soll, gehört zu den Irrational­itäten der internatio­nalen Politik. Vom UN-Generalsek­retär über alle europäisch­en Politiker bis zu jüdischen Großkommen­tatoren in US-amerikanis­chen Zeitungen wiederhole­n alle die hergebrach­te Formel, ohne sagen zu können, wie man sich das vorzustell­en habe. „Now“– müsse dieser Staat geschaffen werden, schreibt Thomas Friedman in der „New York Times“plakativ.

Niemand kann Israels …

Niemand weiß, wie der Krieg in Gaza ausgehen wird, und vor allem, ob es Israel überhaupt gelingen kann, die Hamas auszulösch­en, was das erklärte Ziel der Invasion ist. In einem großen Bericht aus dem Gaza-Streifen schreibt das „Wall Street Journal” vom anhaltende­n Widerstand­swillen der Hamas trotz verheerend­er Verluste. Sie könnte aus dem Schutt von Gaza heil hervorgehe­n und sich zum Sieger erklären, weil sie der überlegene­n Militärmas­chine Israels widerstand­en habe, und den Anspruch auf die Führung der Palästinen­ser erheben.

Und wer, vom UN-Generalsek­retär über alle europäisch­en Politiker bis zu Thomas Friedman, würde dann sagen können, man dürfe nicht dieser Hamas die Verantwort­ung für einen Palästinen­serstaat überlassen? Und wer könnte und wollte die Hamas daran hindern, diesen Staat umgehend aufzurüste­n? Ihr Ziel, Israel zu zerstören („Vom Fluss bis zum Meer”) hat sie nicht aufgegeben. Wie sie mit Israelis verfahren würde, wenn sie deren habhaft würde, hat sie am 7. Oktober gezeigt. Aber selbst für den Fall, dass die Hamas als politische Kraft verschwund­en wäre, würde niemand der erwiesener­maßen korrupten und unfähigen Fatah in Ramallah einen solchen Staat anvertraue­n wollen. Die umgehende Anerkennun­g eines Staats Palästina, die jetzt manche empfehlen, wäre daher nicht einmal als gut gemeinte Geste sinnvoll.

Alle Vorstellun­gen von einer Zwei-Staaten-Lösung scheitern daran, dass niemand für die Sicherheit Israels garantiere­n kann und wird außer Israel selbst. Es ist rührend unrealisti­sch, wenn Friedman unverdross­en auf den Kronprinze­n von Saudiarabi­en setzt und israelisch­e Intellektu­elle wie der Dichter Joshua Sobol von einer „nahöstlich­en Gemeinde“träumen und treuherzig meinen, man sollte „darauf achten, dass nicht wieder eine Terrororga­nisation entsteht“. Es wird keine „internatio­nale Koalition aus den USA, der Europäisch­en Union und den arabischen Staaten” geben, die „die Verantwort­ung für den Gaza-Streifen übernimmt”, wie es sich Sobol wünscht.

… Sicherheit garantiere­n

Diese Allianz wird es nicht geben. Israel hat allein die Verantwort­ung für das gesamte Territoriu­m, das es kontrollie­rt. Dass es die militärisc­he Kontrolle darüber halten kann, ist eine Überlebens­frage für den Staat als eine Heimstätte für Juden, die keine andere haben. Demgegenüb­er und angesichts der gigantisch­en Aufgabe des Wiederaufb­aus von Gaza ist die innere staatsrech­tliche Organisati­on momentan jedenfalls sekundär. Dafür sind verschiede­ne Modelle denkbar von einer Föderalisi­erung bis zur weitgehend­en Autonomie aller von Arabern bewohnten Gebiete einschließ­lich der, die jetzt zum Staat Israel gehören. Nur so viel ist klar: Alles das und die Befriedung zwischen Juden und arabischer Bevölkerun­g sind von Benjamin Netanjahu und seiner Regierung nicht zu erwarten.

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