Schlecht altern als Beschuldigter: Wenn Strafverfahren ewig dauern
Überlange Verfahren gelten zwar seit Jahren als Achillesferse der Strafjustiz. Reformen werden aber verschlafen. Dabei liegt bereits manche Idee vor.
Oft ist die Strafjustiz auf Zack. So wie im Verfahren gegen Ex-Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin, die von ihrer Ex-Geschäftspartnerin Sabine Beinschab belastet wurde. Eine Anklage folgte rasch, das Hauptverfahren ging flott über die Bühne. Karmasin wurde Ende Mai 2023 – nicht rechtskräftig – verurteilt. Heute, Mittwoch, verhandelt der Oberste Gerichtshof über die Rechtsmittel gegen das Urteil. Auch zwei Korruptionsverfahren gegen HeinzChristian Strache wurden zügig abgewickelt und endeten mit rechtskräftigen Freisprüchen für den Ex-Vizekanzler.
Bei anderen Verfahren glänzt die Justiz nicht mit Schnelligkeit. Die Vorwürfe in der Causa Buwog wurden im Herbst 2009 bekannt, mehr als 14 Jahre später läuft das Verfahren nach erstinstanzlichen Urteilen immer noch. Bei den Vorwürfen rund um einen Postenschacher bei den Casinos Austria gibt es nach mehr als viereinhalb Jahren Ermittlungen weder eine Einstellung noch eine Anklage. Chorherr, Eurofighter, Meinl, Libro-Pleite und GAK-Prozess: Die Liste an langen Verfahren lässt sich um zig Beispiele ergänzen. Und wenn schon das Verfahren wegen einer falschen Beweisaussage gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz mehrere Jahre dauert: Wie lang erst wird sich die Inseratenaffäre ziehen?
Dass die langen Verfahren rechtsstaatlich problematisch sind, darüber sind sich Juristen und Politiker einig. Auch Justizministerin Alma Zadić erklärte im Sommer 2020, man wolle „bei großen Wirtschaftsund Korruptionsverfahren effizienter werden“. Daher werde man ab dem Herbst 2020 bisherige Verfahren evaluieren. Eine Studie zu „staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Großverfahren“wurde auch gestartet. Sie wurde vom Justizministerium mehr als dreieinhalb Jahre nach der Ankündigung von Zadić aber bisher nicht vorgelegt. Eine Evaluierung, die klären soll, warum sich Verfahren über Jahre ziehen, steckt selbst seit Jahren fest. Ihren Worten ließ Zadić also wieder einmal keine Taten folgen.
Ebenso wenige Ideen wie Zadić lieferte bisher die ÖVP. Die ist zwar sehr gut darin, sich über die langen Ermittlungen und Verfahren zu beschweren. Was man aber verbessern könnte, dazu schweigt sie. Ein weiterer Beweis dafür, wie schlecht es um die juristische Expertise in der Volkspartei mittlerweile bestellt ist.
Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Strafrechtler haben hingegen bereits Vorschläge ins Spiel gebracht. Es könnte etwa überlegt werden, wie personell oft ausgedünnte Behörden besser mit den riesigen Datenmengen umgehen sollen, die bei Ermittlungen sichergestellt werden. Dazu wäre es wichtig, hier von Beginn an mit Fokus auf den Anfangsverdacht und die möglichen Straftatbestände zu ermitteln.
Strafrechtler und Anwälte kritisieren aber, dass Staatsanwälte nicht nur in Österreich dazu neigen, „vor sich hin zu ermitteln“und nach Zufallsfunden zu suchen. „Es wird der Laptop oder das Handy des Beschuldigten sichergestellt und dann gehofft, dass man dort einen weiteren Verdacht findet“, sagt Strafrechtler Robert Kert. Viele Anklagen würden später „umfangreiche Geschichten erzählen, ohne Fokus auf das Delikt“. Das lässt sich nicht von der Hand weisen, auch angesichts von Anklagen, die zum Teil Hunderte Seiten lang sind.
Vertreter der Staatsanwälte hingegen machen personelle Engpässe und überbordende Berichtspflichten für Verzögerungen verantwortlich. Dass etwa bei berichtspflichtigen Vorhaben in der Weisungskette mitunter ein Dutzend Juristen beteiligt ist, trägt auch nicht gerade zu schnelleren Verfahren bei. Ebenso können sich gerade bei international verästelten Fällen Rechtshilfeersuchen über viele Monate, wenn nicht sogar Jahre ziehen.
Über diese und andere Punkte könnte für Reformen und interne Änderungen diskutiert werden, um den Rechtstaat zu stärken – ohne Untergriffe auf die Justiz, aber auch ohne Beamte, die jede Kritik als persönlichen Angriff werten. Vermutlich aber werden erst ein paar weitere Verurteilungen Österreichs wegen überlanger Verfahren durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zum Umdenken führen. Denn auch die überfällige Reform der Handysicherstellungen musste erst durch den Verfassungsgerichtshof angestoßen werden.