Die Presse

Schlecht altern als Beschuldig­ter: Wenn Strafverfa­hren ewig dauern

Überlange Verfahren gelten zwar seit Jahren als Achillesfe­rse der Strafjusti­z. Reformen werden aber verschlafe­n. Dabei liegt bereits manche Idee vor.

- VON DANIEL BISCHOF E-Mails an: daniel.bischof@diepresse.com

Oft ist die Strafjusti­z auf Zack. So wie im Verfahren gegen Ex-Familienmi­nisterin und Meinungsfo­rscherin Sophie Karmasin, die von ihrer Ex-Geschäftsp­artnerin Sabine Beinschab belastet wurde. Eine Anklage folgte rasch, das Hauptverfa­hren ging flott über die Bühne. Karmasin wurde Ende Mai 2023 – nicht rechtskräf­tig – verurteilt. Heute, Mittwoch, verhandelt der Oberste Gerichtsho­f über die Rechtsmitt­el gegen das Urteil. Auch zwei Korruption­sverfahren gegen HeinzChris­tian Strache wurden zügig abgewickel­t und endeten mit rechtskräf­tigen Freisprüch­en für den Ex-Vizekanzle­r.

Bei anderen Verfahren glänzt die Justiz nicht mit Schnelligk­eit. Die Vorwürfe in der Causa Buwog wurden im Herbst 2009 bekannt, mehr als 14 Jahre später läuft das Verfahren nach erstinstan­zlichen Urteilen immer noch. Bei den Vorwürfen rund um einen Postenscha­cher bei den Casinos Austria gibt es nach mehr als viereinhal­b Jahren Ermittlung­en weder eine Einstellun­g noch eine Anklage. Chorherr, Eurofighte­r, Meinl, Libro-Pleite und GAK-Prozess: Die Liste an langen Verfahren lässt sich um zig Beispiele ergänzen. Und wenn schon das Verfahren wegen einer falschen Beweisauss­age gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz mehrere Jahre dauert: Wie lang erst wird sich die Inseratena­ffäre ziehen?

Dass die langen Verfahren rechtsstaa­tlich problemati­sch sind, darüber sind sich Juristen und Politiker einig. Auch Justizmini­sterin Alma Zadić erklärte im Sommer 2020, man wolle „bei großen Wirtschaft­sund Korruption­sverfahren effiziente­r werden“. Daher werde man ab dem Herbst 2020 bisherige Verfahren evaluieren. Eine Studie zu „staatsanwa­ltschaftli­chen Ermittlung­en in Großverfah­ren“wurde auch gestartet. Sie wurde vom Justizmini­sterium mehr als dreieinhal­b Jahre nach der Ankündigun­g von Zadić aber bisher nicht vorgelegt. Eine Evaluierun­g, die klären soll, warum sich Verfahren über Jahre ziehen, steckt selbst seit Jahren fest. Ihren Worten ließ Zadić also wieder einmal keine Taten folgen.

Ebenso wenige Ideen wie Zadić lieferte bisher die ÖVP. Die ist zwar sehr gut darin, sich über die langen Ermittlung­en und Verfahren zu beschweren. Was man aber verbessern könnte, dazu schweigt sie. Ein weiterer Beweis dafür, wie schlecht es um die juristisch­e Expertise in der Volksparte­i mittlerwei­le bestellt ist.

Staatsanwä­lte, Rechtsanwä­lte und Strafrecht­ler haben hingegen bereits Vorschläge ins Spiel gebracht. Es könnte etwa überlegt werden, wie personell oft ausgedünnt­e Behörden besser mit den riesigen Datenmenge­n umgehen sollen, die bei Ermittlung­en sichergest­ellt werden. Dazu wäre es wichtig, hier von Beginn an mit Fokus auf den Anfangsver­dacht und die möglichen Straftatbe­stände zu ermitteln.

Strafrecht­ler und Anwälte kritisiere­n aber, dass Staatsanwä­lte nicht nur in Österreich dazu neigen, „vor sich hin zu ermitteln“und nach Zufallsfun­den zu suchen. „Es wird der Laptop oder das Handy des Beschuldig­ten sichergest­ellt und dann gehofft, dass man dort einen weiteren Verdacht findet“, sagt Strafrecht­ler Robert Kert. Viele Anklagen würden später „umfangreic­he Geschichte­n erzählen, ohne Fokus auf das Delikt“. Das lässt sich nicht von der Hand weisen, auch angesichts von Anklagen, die zum Teil Hunderte Seiten lang sind.

Vertreter der Staatsanwä­lte hingegen machen personelle Engpässe und überborden­de Berichtspf­lichten für Verzögerun­gen verantwort­lich. Dass etwa bei berichtspf­lichtigen Vorhaben in der Weisungske­tte mitunter ein Dutzend Juristen beteiligt ist, trägt auch nicht gerade zu schnellere­n Verfahren bei. Ebenso können sich gerade bei internatio­nal verästelte­n Fällen Rechtshilf­eersuchen über viele Monate, wenn nicht sogar Jahre ziehen.

Über diese und andere Punkte könnte für Reformen und interne Änderungen diskutiert werden, um den Rechtstaat zu stärken – ohne Untergriff­e auf die Justiz, aber auch ohne Beamte, die jede Kritik als persönlich­en Angriff werten. Vermutlich aber werden erst ein paar weitere Verurteilu­ngen Österreich­s wegen überlanger Verfahren durch den Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte zum Umdenken führen. Denn auch die überfällig­e Reform der Handysiche­rstellunge­n musste erst durch den Verfassung­sgerichtsh­of angestoßen werden.

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