Netanjahu im Out: Gantz sucht die Nähe zu Biden
Die USA machen sich die Risse im israelischen Kriegskabinett zunutze. Spitzenvertreter machten dem Ex-Armeechef in Washington die Dringlichkeit für eine Feuerpause und den Schutz der Zivilisten deutlich.
Benjamin Netanjahu war ganz und gar nicht einverstanden mit dem Washington-Trip von Benny Gantz, seinem Kollegen und zugleich Konkurrenten im Kriegskabinett, der in Umfragen weit vor ihm rangiert. Der ehemalige Armeechef und Verteidigungsminister sollte keine Sonderbehandlung durch Israels Botschaft in der US-Hauptstadt bekommen, so das Aviso des israelischen Premiers an seine Diplomaten.
Für Netanjahu war die Tür im Weißen Haus stets offen, ganz besonders unter Donald Trump. Bis Joe Biden nach dem Amtsantritt von Netanjahus rechts-religiöser Koalition vor 14 Monaten ihn demonstrativ nicht in seinen Amtssitz einlud. Stattdessen traf er den israelischen Premier am Rande der UN-Sitzungswoche in New York.
Die Justizreform, der Bau von Siedlungen im Westjordanland und zuletzt die massive israelische Angriffswelle im Gazastreifen fanden immer deutlicher den Missfallen des Präsidenten – nach einem zwischenzeitlichen Solidaritätsbesuch Bidens in Tel Aviv im Oktober. Zuletzt kursierten sogar Gerüchte, wonach Biden nicht einmal mehr Netanjahus Telefonate entgegennehmen würde. Das ließ der Premier dementieren. Doch er erinnerte Gantz: „Es gibt nur einen Premierminister.“
Streitfrage Geiselliste
Die Biden-Regierung setzt offenbar auf Gantz als moderate Stimme im israelischen Machtzentrum. Der 64-Jährige bezeichnete einen Geiseldeal samt einer sechswöchigen Feuerpause während des Ramadan als Priorität. Netanjahu versucht dagegen, ein Abkommen zu verschleppen. Zur jüngsten Verhandlungsrunde nach Kairo schickte er zunächst keine Delegation aus Israel. Netanjahu pocht auf die Herausgabe einer Liste aller israelischen Geiseln, die noch in der Gewalt der Terroristen sind.
Die Hamas hat zuletzt die Namen von drei toten israelischen Geiseln veröffentlicht. Ein Offizieller der Extremisten behauptete jüngst gegenüber westlichen Medien, die Hamas habe nicht den Überblick im Detail, welche Geiseln in der Hand welcher Gruppe seien und wo genau sie sich aufhalten. Überdies sei der Kontakt zu dem Hamas-Führer Yahya Sinwar, der sich mutmaßlich in einem unterirdischen Versteck verschanzt hält, abgerissen. Israel geht davon aus, dass weniger als 100 Geiseln von insgesamt 136 noch am Leben sind.
Die Verhandlungen ziehen sich hin, und die Deadline für einen Deal bis zu Beginn des muslimischen Fastenmonats läuft in der Nacht von Sonntag auf Montag aus. Die Biden-Regierung mahnte Benny Gantz noch einmal, wie dringlich ein Abkommen mit der Hamas sei. In Washington traf der Ex-General hochrangige Mitglieder des außen- und sicherheitspolitischen Biden-Teams, allen voran Vizepräsidentin Kamala Harris, Außenminister Antony Blinken, Sicherheitsberater Jake Sullivan und Sonderbotschafter Brett McGurk.
Wie ein roter Faden zog sich bei den Gesprächen die Forderung durch nach einem maximalen Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung sowie größtmöglichen Hilfslieferungen. Seit dem Wochenende begannen die USA selbst, Lebensmittel und Medikamente über dem schmalen Küstenstreifen abzuwerfen. Kamala Harris drängte auf sofortige Waffenruhe.
Drohung der Rechtsextremen
Die USA haben den Druck auf Israel verstärkt. In Jerusalem drohten indessen rechtsextreme Kräfte wie Itamar Ben-Gvir, der Minister für nationale Sicherheit, neuerlich mit einem Abbruch der Gespräche über einen Geiseldeal. All das – darunter die Idee einer neuen Okkupation des Gazastreifens – betrachten die USA als lästige Störmanöver für die Verhandlungen. Vor seiner Rückkehr nach Israel wollte Gantz, der mit Ben-Gvir und Finanzminister Smotrich zuweilen zusammenkracht, derweil noch einen Zwischenstopp in London bei Außenminister David Cameron einlegen.