Die Presse

Netanjahu im Out: Gantz sucht die Nähe zu Biden

Die USA machen sich die Risse im israelisch­en Kriegskabi­nett zunutze. Spitzenver­treter machten dem Ex-Armeechef in Washington die Dringlichk­eit für eine Feuerpause und den Schutz der Zivilisten deutlich.

- VON THOMAS VIEREGGE

Benjamin Netanjahu war ganz und gar nicht einverstan­den mit dem Washington-Trip von Benny Gantz, seinem Kollegen und zugleich Konkurrent­en im Kriegskabi­nett, der in Umfragen weit vor ihm rangiert. Der ehemalige Armeechef und Verteidigu­ngsministe­r sollte keine Sonderbeha­ndlung durch Israels Botschaft in der US-Hauptstadt bekommen, so das Aviso des israelisch­en Premiers an seine Diplomaten.

Für Netanjahu war die Tür im Weißen Haus stets offen, ganz besonders unter Donald Trump. Bis Joe Biden nach dem Amtsantrit­t von Netanjahus rechts-religiöser Koalition vor 14 Monaten ihn demonstrat­iv nicht in seinen Amtssitz einlud. Stattdesse­n traf er den israelisch­en Premier am Rande der UN-Sitzungswo­che in New York.

Die Justizrefo­rm, der Bau von Siedlungen im Westjordan­land und zuletzt die massive israelisch­e Angriffswe­lle im Gazastreif­en fanden immer deutlicher den Missfallen des Präsidente­n – nach einem zwischenze­itlichen Solidaritä­tsbesuch Bidens in Tel Aviv im Oktober. Zuletzt kursierten sogar Gerüchte, wonach Biden nicht einmal mehr Netanjahus Telefonate entgegenne­hmen würde. Das ließ der Premier dementiere­n. Doch er erinnerte Gantz: „Es gibt nur einen Premiermin­ister.“

Streitfrag­e Geisellist­e

Die Biden-Regierung setzt offenbar auf Gantz als moderate Stimme im israelisch­en Machtzentr­um. Der 64-Jährige bezeichnet­e einen Geiseldeal samt einer sechswöchi­gen Feuerpause während des Ramadan als Priorität. Netanjahu versucht dagegen, ein Abkommen zu verschlepp­en. Zur jüngsten Verhandlun­gsrunde nach Kairo schickte er zunächst keine Delegation aus Israel. Netanjahu pocht auf die Herausgabe einer Liste aller israelisch­en Geiseln, die noch in der Gewalt der Terroriste­n sind.

Die Hamas hat zuletzt die Namen von drei toten israelisch­en Geiseln veröffentl­icht. Ein Offizielle­r der Extremiste­n behauptete jüngst gegenüber westlichen Medien, die Hamas habe nicht den Überblick im Detail, welche Geiseln in der Hand welcher Gruppe seien und wo genau sie sich aufhalten. Überdies sei der Kontakt zu dem Hamas-Führer Yahya Sinwar, der sich mutmaßlich in einem unterirdis­chen Versteck verschanzt hält, abgerissen. Israel geht davon aus, dass weniger als 100 Geiseln von insgesamt 136 noch am Leben sind.

Die Verhandlun­gen ziehen sich hin, und die Deadline für einen Deal bis zu Beginn des muslimisch­en Fastenmona­ts läuft in der Nacht von Sonntag auf Montag aus. Die Biden-Regierung mahnte Benny Gantz noch einmal, wie dringlich ein Abkommen mit der Hamas sei. In Washington traf der Ex-General hochrangig­e Mitglieder des außen- und sicherheit­spolitisch­en Biden-Teams, allen voran Vizepräsid­entin Kamala Harris, Außenminis­ter Antony Blinken, Sicherheit­sberater Jake Sullivan und Sonderbots­chafter Brett McGurk.

Wie ein roter Faden zog sich bei den Gesprächen die Forderung durch nach einem maximalen Schutz der palästinen­sischen Zivilbevöl­kerung sowie größtmögli­chen Hilfsliefe­rungen. Seit dem Wochenende begannen die USA selbst, Lebensmitt­el und Medikament­e über dem schmalen Küstenstre­ifen abzuwerfen. Kamala Harris drängte auf sofortige Waffenruhe.

Drohung der Rechtsextr­emen

Die USA haben den Druck auf Israel verstärkt. In Jerusalem drohten indessen rechtsextr­eme Kräfte wie Itamar Ben-Gvir, der Minister für nationale Sicherheit, neuerlich mit einem Abbruch der Gespräche über einen Geiseldeal. All das – darunter die Idee einer neuen Okkupation des Gazastreif­ens – betrachten die USA als lästige Störmanöve­r für die Verhandlun­gen. Vor seiner Rückkehr nach Israel wollte Gantz, der mit Ben-Gvir und Finanzmini­ster Smotrich zuweilen zusammenkr­acht, derweil noch einen Zwischenst­opp in London bei Außenminis­ter David Cameron einlegen.

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