Viele Worte, kaum Geld für Europas Aufrüstung
1,5 Milliarden Euro und viele Vorhabenserklärungen sollen laut EU-Kommission die Rüstungswirtschaft stärken.
Mehr als zwei Jahre nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine hat die Europäische Kommission am Dienstag ihren lang erwarteten und mehrfach verschobenen Plan zur Stärkung der Rüstungsindustrie vorgestellt. Doch am akuten Kriegsgeschehen und am drastischen Mangel an Waffen und Munition der ukrainischen Streitkräfte wird weder die Strategie für die Europäische Verteidigungsindustrie noch der auf ihr fußende Vorschlag eines Europäischen Verteidigungsindustrieprogramms etwas ändern.
Zur Erinnerung: Die Ukraine benötigt rund 200.000 Mörsergranaten pro Monat. Die kann sie allein nicht beschaffen. „Die Europäische Kommission wird keine Waffen für die EU kaufen und auch nicht das EU-Budget dazu einsetzen“, betonte ein Kommissionsbeamter gegenüber Journalisten die Grenzen, welche die EU-Verträge der Kommission in Fragen des Militärischen ziehen.
Genau betrachtet geht es bei diesem Vorschlag darum, die Mitgliedstaaten dazu zu animieren, mehr Rüstungsgüter gemeinsam zu entwickeln und weniger Waffen und sonstiges Rüstungsmaterial außerhalb der EU zu beschaffen. Die Kommission hat dafür in gewohnter Manier zeitlich definierte Quotenziele definiert. Bis zum Jahr 2030 soll der EU-interne Handel mit Rüstungsgütern zumindest 35 Prozent des gesamten EU-Rüstungsmarktes ausmachen. Im selben Jahr soll mindestens die Hälfte der nationalen Rüstungsausgaben der Mitgliedstaaten von europäischen Herstellern bezogen werden, fünf Jahre später sollen das 60 Prozent sein. Zudem sollen 40 Prozent aller in diesem Jahr beschafften Rüstungsgüter gemeinschaftlich beschafft werden, also von mehreren Mitgliedstaaten zusammen.
„Priorität für EU-Industrie“
Wie die Kommission auf diese Zahlen gekommen ist, geht weder aus ihren Dokumenten hervor, noch konnten es die drei zu ihrer Präsentation angetretenen Mitglieder derselben erklären. „Die europäische Industrie muss eine gewisse Priorität haben“, sagte Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außenund Sicherheitspolitik. Thierry Breton wiederum, der Kommissar für Binnenmarkt, Dienstleistungen, Verteidigung und Raumfahrt, ruderte von seiner im Jänner geäußerten Forderung nach einem 100-MilliardenEuro-Fonds für Rüstungsfragen zurück. Das sei eine Frage für die nächste Kommission, sagte er.
An konkretem frischen Geld hingegen gibt es nur 1,5 Milliarden Euro, welche die Kommission gern für die Jahre 2025 bis 2027 hätte. Das sind die letzten drei Jahre der laufenden Finanzperiode, darüber hinausgehende Verpflichtungen kann sie politisch und rechtlich nicht eingehen. Diese 1,5 Milliarden Euro sind allerdings nicht mehr umstritten, die Mitgliedstaaten haben sich auf die Umschichtung hin zum Europäischen Verteidigungsfonds, der das Geld verwalten soll, bereits geeinigt. Dieses Geld soll Innovationen und den Ausbau bestehender industrieller Rüstungskapazitäten in den Mitgliedstaaten hebeln. „1,5 Milliarden Euro ist nicht viel Geld für die Verteidigungsindustrie. Aber es kann als Anreiz wirken“, gab Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zu.
Darüber hinaus ist in den beiden umfassenden Dokumenten der Kommission wenig inhaltlich Werthaltiges zu finden. Die Kommission mahnt die Mitgliedstaaten beispielsweise zu mehr gemeinsamer Entwicklung und Beschaffung von Waffensystemen, doch das tut sie seit Jahren schon. Sie erklärt auch, unter welchen Umständen der Kauf von Rüstungsgütern von der Mehrwertsteuer befreit werden könnte.
Die konkret wirksamste politische Maßnahme, die sich in diesen Vorschlägen findet, betrifft die Europäische Investitionsbank (EIB). Die europäische Rüstungsindustrie „kann prinzipiell schon von bestehenden EU-Finanzinstrumenten profitieren“, heißt es da. „Allerdings stellt die gegenwärtige Kreditpraxis der europäischen finanziellen Akteure, einschließlich der EIB-Gruppe, eine große Hürde für den Einsatz solcher Instrumente dar.“
EIB soll investieren
1,5 Milliarden Euro ist nicht viel Geld für die Verteidigung. Aber es kann als Anreiz wirken.
Margrethe Vestager EU-Wettbewerbskommisarin
Der Grund liegt darin, dass die EIB nur Investitionen in Güter finanziert, die sowohl militärisch als auch privat eingesetzt werden können (sogenannte dual-use goods). Das ist aber bei Mörsergranaten, Schützenpanzern oder Marschflugkörpern nicht der Fall. „Diese Kreditpraxis zu ändern ist darum notwendig und eine Hauptpriorität, um sicherzustellen, dass der Verteidigungssektor Zugang zu EUFinanzinstrumenten hat und von ihnen voll profitieren kann.“Noch heuer, so mahnt die Kommission, solle die EIB dies tun. Dazu ist aber ein Beschluss der Vertreter der Mitgliedstaaten nötig, die in ihrem Verwaltungsrat sitzen.