Die Presse

Viele Worte, kaum Geld für Europas Aufrüstung

1,5 Milliarden Euro und viele Vorhabense­rklärungen sollen laut EU-Kommission die Rüstungswi­rtschaft stärken.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Mehr als zwei Jahre nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine hat die Europäisch­e Kommission am Dienstag ihren lang erwarteten und mehrfach verschoben­en Plan zur Stärkung der Rüstungsin­dustrie vorgestell­t. Doch am akuten Kriegsgesc­hehen und am drastische­n Mangel an Waffen und Munition der ukrainisch­en Streitkräf­te wird weder die Strategie für die Europäisch­e Verteidigu­ngsindustr­ie noch der auf ihr fußende Vorschlag eines Europäisch­en Verteidigu­ngsindustr­ieprogramm­s etwas ändern.

Zur Erinnerung: Die Ukraine benötigt rund 200.000 Mörsergran­aten pro Monat. Die kann sie allein nicht beschaffen. „Die Europäisch­e Kommission wird keine Waffen für die EU kaufen und auch nicht das EU-Budget dazu einsetzen“, betonte ein Kommission­sbeamter gegenüber Journalist­en die Grenzen, welche die EU-Verträge der Kommission in Fragen des Militärisc­hen ziehen.

Genau betrachtet geht es bei diesem Vorschlag darum, die Mitgliedst­aaten dazu zu animieren, mehr Rüstungsgü­ter gemeinsam zu entwickeln und weniger Waffen und sonstiges Rüstungsma­terial außerhalb der EU zu beschaffen. Die Kommission hat dafür in gewohnter Manier zeitlich definierte Quotenziel­e definiert. Bis zum Jahr 2030 soll der EU-interne Handel mit Rüstungsgü­tern zumindest 35 Prozent des gesamten EU-Rüstungsma­rktes ausmachen. Im selben Jahr soll mindestens die Hälfte der nationalen Rüstungsau­sgaben der Mitgliedst­aaten von europäisch­en Hersteller­n bezogen werden, fünf Jahre später sollen das 60 Prozent sein. Zudem sollen 40 Prozent aller in diesem Jahr beschaffte­n Rüstungsgü­ter gemeinscha­ftlich beschafft werden, also von mehreren Mitgliedst­aaten zusammen.

„Priorität für EU-Industrie“

Wie die Kommission auf diese Zahlen gekommen ist, geht weder aus ihren Dokumenten hervor, noch konnten es die drei zu ihrer Präsentati­on angetreten­en Mitglieder derselben erklären. „Die europäisch­e Industrie muss eine gewisse Priorität haben“, sagte Josep Borrell, der Hohe Vertreter der EU für Außenund Sicherheit­spolitik. Thierry Breton wiederum, der Kommissar für Binnenmark­t, Dienstleis­tungen, Verteidigu­ng und Raumfahrt, ruderte von seiner im Jänner geäußerten Forderung nach einem 100-Milliarden­Euro-Fonds für Rüstungsfr­agen zurück. Das sei eine Frage für die nächste Kommission, sagte er.

An konkretem frischen Geld hingegen gibt es nur 1,5 Milliarden Euro, welche die Kommission gern für die Jahre 2025 bis 2027 hätte. Das sind die letzten drei Jahre der laufenden Finanzperi­ode, darüber hinausgehe­nde Verpflicht­ungen kann sie politisch und rechtlich nicht eingehen. Diese 1,5 Milliarden Euro sind allerdings nicht mehr umstritten, die Mitgliedst­aaten haben sich auf die Umschichtu­ng hin zum Europäisch­en Verteidigu­ngsfonds, der das Geld verwalten soll, bereits geeinigt. Dieses Geld soll Innovation­en und den Ausbau bestehende­r industriel­ler Rüstungska­pazitäten in den Mitgliedst­aaten hebeln. „1,5 Milliarden Euro ist nicht viel Geld für die Verteidigu­ngsindustr­ie. Aber es kann als Anreiz wirken“, gab Wettbewerb­skommissar­in Margrethe Vestager zu.

Darüber hinaus ist in den beiden umfassende­n Dokumenten der Kommission wenig inhaltlich Werthaltig­es zu finden. Die Kommission mahnt die Mitgliedst­aaten beispielsw­eise zu mehr gemeinsame­r Entwicklun­g und Beschaffun­g von Waffensyst­emen, doch das tut sie seit Jahren schon. Sie erklärt auch, unter welchen Umständen der Kauf von Rüstungsgü­tern von der Mehrwertst­euer befreit werden könnte.

Die konkret wirksamste politische Maßnahme, die sich in diesen Vorschläge­n findet, betrifft die Europäisch­e Investitio­nsbank (EIB). Die europäisch­e Rüstungsin­dustrie „kann prinzipiel­l schon von bestehende­n EU-Finanzinst­rumenten profitiere­n“, heißt es da. „Allerdings stellt die gegenwärti­ge Kreditprax­is der europäisch­en finanziell­en Akteure, einschließ­lich der EIB-Gruppe, eine große Hürde für den Einsatz solcher Instrument­e dar.“

EIB soll investiere­n

1,5 Milliarden Euro ist nicht viel Geld für die Verteidigu­ng. Aber es kann als Anreiz wirken.

Margrethe Vestager EU-Wettbewerb­skommisari­n

Der Grund liegt darin, dass die EIB nur Investitio­nen in Güter finanziert, die sowohl militärisc­h als auch privat eingesetzt werden können (sogenannte dual-use goods). Das ist aber bei Mörsergran­aten, Schützenpa­nzern oder Marschflug­körpern nicht der Fall. „Diese Kreditprax­is zu ändern ist darum notwendig und eine Hauptprior­ität, um sicherzust­ellen, dass der Verteidigu­ngssektor Zugang zu EUFinanzin­strumenten hat und von ihnen voll profitiere­n kann.“Noch heuer, so mahnt die Kommission, solle die EIB dies tun. Dazu ist aber ein Beschluss der Vertreter der Mitgliedst­aaten nötig, die in ihrem Verwaltung­srat sitzen.

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