Die Presse

Wien Energie: Die offenen Fragen

Vor wenigen Tagen wurde der Rohbericht des Rechnungsh­ofs zur Causa Wien Energie bekannt. Die Details des Berichts werfen neue, durchaus unangenehm­e Fragen auf.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Der Rechnungsh­of hat in einem Rohbericht zur Wien-EnergieAff­äre vor wenigen Tagen heftige Kritik geübt. „Die Presse“hat sich jetzt den Rohbericht auch in den kleinen Details angesehen. Und die eröffnen einige Fragen.

Zur Erinnerung: Im Sommer 2022 schlittert­e die städtische Wien Energie, nach einer Explosion der Gaspreise durch den russischen Angriffskr­ieg auf die Ukraine, beinahe in die Insolvenz. Bürgermeis­ter Michael Ludwig hatte den Energiever­sorger mit städtische­n Garantien in Milliarden­höhe gerettet, wobei die Öffentlich­keit nicht über die Probleme informiert worden war. Als der Gaspreis am „Black Friday“nochmals explodiert­e, reichten selbst die Sicherheit­sleistunge­n der Stadt Wien nicht mehr aus – die Affäre flog auf und der Bund musste kurzfristi­g Milliarden Euro an Haftungen übernehmen, die allerdings nicht schlagend wurden.

Die Notkompete­nz

Bürgermeis­ter Ludwig hatte (im Namen der Stadt) am 15. Juli 700 Millionen Euro an Haftungen für die Wien Energie per Notkompete­nz übernommen. Diese besagt, dass der Bürgermeis­ter bei Gefahr in Verzug eine Entscheidu­ng treffen kann, für die eigentlich der Gemeindera­t oder Stadtsenat zuständig ist. Als das bekannt wurde, hatten der Bürgermeis­ter, die SPÖ und die zuständige­n Beamten (auch) im Untersuchu­ngsausschu­ss zur Wien Energie argumentie­rt, dass diese Vorgangswe­ise alternativ­los gewesen sei – es sei Gefahr im Verzug gewesen sei, man habe innerhalb von Stunden entscheide­n müssen, wurde sinngemäß argumentie­rt. Der Rechnungsh­of sieht das allerdings anders.

Nach Ansicht des RH handelt es sich beim ersten Ziehen der Notkompete­nz nicht um einen Notfall, sondern um den Aufbau einer „vorsorglic­hen Liquidität­sreserve“(Quasi-Schutzschi­rm). Am Tag, als die Notkompete­nz gezogen wurde, habe es weder einen Liquidität­sengpass noch fällige Sicherheit­sleistunge­n an unmittelba­r folgenden Handelstag­en gegeben. Damit steht im Raum, dass der Bürgermeis­ter die Notkompete­nz zu Unrecht gezogen hat – selbst wenn der RH zugibt, dass ein Aufbau an Liquidität­sreserven für die Wien Energie sinnvoll und notwendig war. Es eröffnet sich die Frage, warum weder die Öffentlich­keit noch der Stadtsenat informiert worden waren, obwohl (laut RH) keine Gefahr im Verzug war. Denn damit hatte die SPÖ begründet, dass niemand von der Notkompete­nz informiert worden war.

Das Risikomana­gement

Fragen eröffnen auch die Risikostra­tegie und das Geschäftsm­odell der Wien Energie. Das Unternehme­n verfolgte laut RH zwar eine „risikoaver­se Risikostra­tegie“, was für einen kommunalen Energiever­sorger grundsätzl­ich positiv ist. Allerdings ist die Aussage der Wien Energie, dass ihr Handeln an der Energiebör­se „alternativ­los“und der „Black Friday“absolut nicht vorhersehb­ar war, hinterfrag­enswert. Immerhin hatte die Wien Energie (als Reaktion auf die Turbulenze­n) ab 2023 ein Frühwarnsy­stem eingeführt. Dazu kommt, dass der RH festhält: Vom Jänner bis November 2022 sei auf Sitzungen des Risikokomi­tees verzichtet worden, das sei kritisch zu bewerten.

Keine Reaktion

Eine weitere Frage, die sich die Wien Energie gefallen lassen muss: Wieso veranlasst­en selbst Preissteig­erungen an den Energiemär­kten, eine zunehmende Preisvolat­ilität und der russische Angriffskr­ieg das energiewir­tschaftlic­he Risikomana­gement zu keiner Reaktion?

Warnzeiche­n ignoriert

Eine zentrale Frage: Warum wurde nicht reagiert, obwohl es bereits vor dem „Black Friday“Hinweise auf sich abzeichnen­de Probleme gab? Als dazu der Liquidität­sbedarf der Wien Energie zu steigen begann, hat das ebenfalls zu keiner Reaktion geführt. Das Unternehme­n benötigte immer mehr Geld aus dem sogenannte­n Cash Pool des Mutterkonz­erns (Wiener Stadtwerke), es wurden nur die Limits immer weiter nach oben gesetzt.

Die Aufsichtsr­äte

Aufsichtsr­äte haben die Aufgabe, die Geschäftsf­ührung zu kontrollie­ren. Bei der Wien Energie hat das nicht funktionie­rt, weil die Aufsichtsr­äte ihrer Funktion „nicht umfassend“nachgekomm­en sind, deren Verhalten wird als „kritisch“bezeichnet. Hier stellt sich die Frage, warum nicht externe Experten in den Aufsichtsr­äten sitzen, sondern Beschäftig­te der Stadt Wien, die oft in einem gegenseiti­gen Abhängigke­itsverhält­nis stehen.

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