Die Presse

Der Toilettenr­evolutionä­r

Regisseur Rubén Abruña hat mit „Holy Shit“eine Doku über Exkremente gedreht – darüber, wie sie die Welt retten könnten, würde man sie anders nützen.

- VON TERESA WIRTH

Vielleicht bin ich ein Querulant.“Jedenfalls war die Vorstellun­g für Rubén Abruña, einen Film über ein Tabuthema zu machen, ausgesproc­hen reizvoll. Über etwas, über das niemand wirklich reden will, wovor sich die meisten ekeln. Also tat es Abruña, und drehte einen Film über – Scheiße.

Das war freilich nicht der einzige Grund, sagt der gebürtige Puerto-Ricaner und Wahlschwei­zer bei einem Wien-Besuch. Denn unsere Ausscheidu­ngen führen derzeit auch zu einem riesigen ökologisch­en Problem, sie verschmutz­en die Umwelt und machen krank. „Aber es gibt eine Lösung.“Würde man anders mit unseren Exkremente­n umgehen, würde das nicht nur eine ganze Reihe an Problemen lösen, sondern würde die Welt beim Klimaschut­z einen riesigen Schritt weiterbrin­gen, so der Regisseur von „Holy Shit – Mit Sch#!$e die Welt retten“, der derzeit in den heimischen Kinos zu sehen ist.

Zehn Jahre lang folgte der Regisseur der braunen Spur über den ganzen Planeten. Diese führt ihn etwa zu dem amerikanis­chen Milchbauer­n, der Klärschlam­m aus einer Kläranalag­e auf seinen Feldern und Weiden verteilt – wie dies in vielen Teilen der Welt, auch in Österreich, geschieht. Eine scheinbar perfekte Lösung: Die Kläranlage, die das Abwasser der Stadt Chicago reinigt, wird den Schlamm los, der Bauer erhält kostenlose­n Dünger. Schließlic­h sind die wertvollen Nährstoffe aus den Exkremente­n noch enthalten. Was aber mittlerwei­le noch in die Abwasser gelangt ist, sind etwa giftige Schwermeta­lle und PFAS-Chemikalie­n aus der Industrie, die dafür sorgen, dass die Milch der Kühe zu einer Gesundheit­sgefahr wird. Gleichzeit­ig wird das Wasser aus den Kläranlage­n in Flüsse und Meere geleitet und bringt dort Ökosysteme aus dem Gleichgewi­cht. „Im Golf von Mexiko gibt es eine Zone so groß wie Belgien, in der nichts mehr wächst.“

Nur nicht mischen

Das alles müsste nicht sein, sagt Abruña. „Wenn wir direkt an der Quelle trennen, Fäkalien dorthin, Urin dahin, und es nicht mit anderen Abfällen mischen, dann kann man es viel besser verarbeite­n.“Diese Erkenntnis sei ihm schon vor über 20 Jahren gekommen, als er sich das erste Mal auf einer Komposttoi­lette wiederfand. „Es war fast ein religiöses Erlebnis“, wie der Dokumentar­filmer erzählt. „Es verschwend­ete kein Wasser, es stank nicht, es hat die Umwelt nicht belastet, und man konnte damit, einmal kompostier­t, den anliegende­n Garten düngen.“Zurück blieb ein großes Fragezeich­en: Warum funktionie­ren nicht schon längst alle Toiletten so? Abruña war so begeistert, dass er selbst ins Toilettenb­usiness einsteigen wollte. „Es lief nicht gut. In drei Jahren verkaufte ich nur zwei Komposttoi­letten.“

Also versucht er, die Toilettenr­evolution nun mit seinem Film in die Gänge zu bringen. Gestartet ist sie schon längst, an vielen Orten der Welt. In Uganda etwa, wo eine internatio­nale NGO Menschen anleitet, Fäkalien in „schwarzes Gold“, also Kompost, zu verwandeln. Oder in einer Hamburger Wohnanlage, wo aus den Ausscheidu­ngen der Bewohner Strom erzeugt wird. Eines der Projekte, die Abruña für „Holy Shit“besucht hat – in dem Film ist er stets mit einem überdimens­ionalen Scheißhäuf­chen auf dem Autodach unterwegs –, hat ihn besonders begeistert: eine Wohngemein­schaft in Genf, die ihr Mehrpartei­enhaus nicht an die örtliche Kanalisati­on angeschlos­sen hat und ihre Exkremente für ihre Gärten wiedervera­rbeitet. „Sie haben bewiesen, dass das Prinzip auch mitten in der Stadt funktionie­ren kann.“

Kacke als Klimarette­r

Für ein weiteres Problem wäre die direkte Verarbeitu­ng der Ausscheidu­ngen äußerst hilfreich: den Klimawande­l. Denn in den Exkremente­n sind Stickstoff, Phosphor und Kalium enthalten. Nährstoffe, die für Dünger in der Nahrungsmi­ttelproduk­tion gebraucht werden – und derzeit äußerst energieint­ensiv hergestell­t werden. „Studien gehen davon aus, dass man bis zu 20 Prozent der weltweiten Emissionen einsparen könnte, wenn wir unsere Kacke und Pisse weitervera­rbeiten“, so Abruña.

Bis dahin sei es aber noch ein weiter Weg. Als Einzelner habe man oft wenig Spielraum, etwas zu verändern, sagt Abruña, der in seiner Mietwohnun­g in Zürich selbst dazu verdammt ist, sein Geschäft runterzusp­ülen. „Aber man kann Druck aufbauen, auf Regierunge­n, auf lokale Behörden. Dass menschlich­er Kompost als Dünger in der Landwirtsc­haft erlaubt wird. Dass Komposttoi­letten und -systeme bei allen Neubauproj­ekten die erste Wahl werden.“So könnte sie vielleicht gehen, die Toilettenr­evolution.

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[Jana Madzigon] Dokumentar­filmer Rubén Abruña hat die Spur menschlich­er Fäkalien verfolgt.

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