Die Presse

CO2-Zoll: EU-Alleingang bringt dem Klima wenig

Der umstritten­e CO2-Grenzausgl­eich der EU ist gut gemeint, senkt die globalen Emissionen aber nur marginal, sagen Ökonomen. Besser wären Klimaklubs mit den USA oder China.

- VON MATTHIAS AUER

Seit dem ersten Oktober 2023 kommt jede Schraube, die in die EU importiert wird, mit einem Stapel an Papieren auf dem Kontinent an. Denn seitdem müssen die Unternehme­n detaillier­t darüber Rechenscha­ft ablegen, wie viel CO2 die Produktion der eingeführt­en Waren verursacht hat. Diese Vorarbeit ist wichtig, sehen die EU-Regeln doch vor, dass ab 2026 für klimaschäd­lich erzeugte Importe ein CO2-Grenzausgl­eich (CBAM) bezahlt werden muss.

Dieser „Klimazoll“auf Zement, Stahl, Aluminium, Strom und Dünger soll einerseits dazu beitragen, die Emissionen zu senken, und anderersei­ts die Wettbewerb­sfähigkeit der (grüneren) europäisch­en Industrie gegenüber den (schmutzige­ren) Konkurrent­en aus dem Ausland sichern und das Abwandern der Industrie verhindern. Die Idee ist gut, aber in der Umsetzung zeigen sich bereits erste Tücken. Und bleibt die EU mit ihrem Vorhaben allein, ist unter dem Strich nicht viel gewonnen.

Unerwünsch­te Nebeneffek­te

„Die höheren Klimaziele der EU haben unerwünsch­te Nebeneffek­te“, sagt Wifo-Ökonomin Elisabeth Christen. Europas Industrie muss seit Jahren dafür bezahlen, wenn sie das klimaschäd­liche Treibhausg­as CO2 in die Atmosphäre bläst. Viele Rivalen aus Asien, Afrika und Amerika hingegen nicht. Um diesen Nachteil auszugleic­hen, hat Brüssel den betroffene­n Unternehme­n bisher Gratis-CO2-Zertifikat­e zugeteilt. Damit soll nun schrittwei­se Schluss sein, stattdesse­n soll der CO2-Grenzausgl­eich die hiesige Industrie vor der Konkurrenz aus dem Ausland schützen. Aber auch die ist nicht hellauf begeistert von CBAM. Der Stahl- und Technologi­ekonzern Voestalpin­e – auf dem Papier einer der großen Profiteure der neuen Regelung – ist etwa unglücklic­h. Grund dafür: Der Stahlkonze­rn bezahlt künftig für seine Emissionen in der EU und noch einmal für die Emissionen der importiert­en Vorprodukt­e. Exportiert er das fertige Produkt wieder, ist es doppelt mit CO2-Kosten belegt – und so teurer als Konkurrenz­produkte. „Hier wäre es sinnvoll gewesen, die CBAM-Kosten beim Export wieder abziehen zu lassen“, sagt Eco-Austria-Direktorin Monika Köppl-Turyna. Doch diese ursprüngli­ch geplante Ausgleichs­maßnahme kam letztlich nicht.

Was ist nun aber die Klimawirku­ng von CBAM in seiner vorliegend­en Form? Dieser Frage hat sich Wifo-Expertin Elisabeth Christen in einer aktuellen Studie genähert. Ihr Fazit: „Es zahlt sich in jedem Fall aus, weil Wettbewerb­snachteile gemindert und Emissionen gesenkt werden.“Aber: „Ein Alleingang der EU bringt dem Klima relativ wenig.“Konkret würden die Emissionen der EU um fast die Hälfte gesenkt werden, global entspricht das aber nur einem Minus von vier Prozent. Dem gegenüber stehen Wohlstands­verluste in der EU von 24,6 Milliarden Euro (minus 0,23 Prozent).

Deutlich besser sähe die Bilanz aus, wenn die EU nicht allein bliebe, sondern sich auch mit anderen großen Wirtschaft­sräumen wie den USA auf einen CO2-Preis inklusive Klimazoll einigen könnte. Ein solcher „Klimaklub“würde die globalen Emissionen um 15 Prozent senken, der reale Einkommens­verlust in Europa wäre eine Spur geringer, weil Europas Unternehme­n der Konkurrenz aus Übersee besser die Stirn bieten könnten. Aber „derzeit sehe ich wenig politische Ambitionen, einen Klimaklub umzusetzen“, räumt auch Christen ein.

„Social Costs of Carbon“

Bleibt vorerst also der Versuch der EU, den Rest der Welt mit sanftem ökonomisch­em Druck dazu zu bewegen, Emissionen ähnlich hoch zu bepreisen wie die EU selbst, um den „Klimazoll“zu vermeiden. Die Manövrierm­asse ist nicht klein. Im Jahr 2022 importiert­e die EU Waren im Wert von 104,3 Milliarden Euro, die bald unter die CBAM-Regelung fallen werden. Die allermeist­en Lieferante­n heben keinen vergleichb­aren CO2-Preis ein, wären also betroffen. China, Russland und die Türkei sind die prominente­sten. Der CBAM Exposure Index der Weltbank zeigt aber auch, dass eine Reihe wenig entwickelt­er Staaten aus Afrika um ihre Exporte in die EU zittern muss. Entspreche­nd groß ist das Risiko von handelspol­itischen Vergeltung­sschlägen.

Wirklich sinnvoll ist CBAM kurzfristi­g nur dann, wenn auch andere Staaten sich für die Idee erwärmen können. Langfristi­g könnte eine dekarbonis­ierte Wirtschaft in Europa aber auch für sich ein Wettbewerb­svorteil sein und so den Wohlstand steigern, sagt Elisabeth Christen. Dann nämlich, wenn auch die „social costs of carbon“, also die Kosten der Klimafolge­schäden, mitberechn­et werden. Das Wifo geht dabei von (konservati­ven) 180 US-Dollar je Tonne CO2 aus. Selbst der Alleingang der EU brächte nach dieser Rechnung 265,7 Milliarden US-Dollar an Wohlfahrts­gewinn. Zehn Mal mehr, als CBAM Europa in einem ersten Schritt kosten dürfte.

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