Die Presse

Krise macht sich in Einkaufsst­raßen bemerkbar

Die Handelsflä­chen gehen spürbar zurück. Gerade in ländlichen Regionen herrscht Tristesse, aber auch die Wiener Mariahilfe­r Straße mutiert immer mehr zum Sorgenkind.

- VON DAVID FREUDENTHA­LER

Prominente Insolvenze­n, Tausende Shopschlie­ßungen und einbrechen­de Umsätze: 2023 war für viele Handelsbet­riebe ein Jahr zum Vergessen. Branchenve­rtreter warnten angesichts der jüngsten Pleitewell­e im Einzelhand­el vor einem Emporschne­llen der Leerstände und verwaisten Einkaufsst­raßen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Laut einer am Dienstag präsentier­ten Studie vom Handelsver­band und der Beratungsg­esellschaf­t Standort + Markt ging die Leerstands­quote in den heimischen Innenstädt­en sogar leicht zurück – von 6,8 auf 6,7 Prozent.

In den 24 größten österreich­ischen Städten reduzierte sich die Leerstands­quote gar von 5,3 auf 4,9 Prozent. Die niedrigste­n Werte weisen Mödling und Feldkirch auf. Aber auch in den Landeshaup­tstädten und den allermeist­en Wiener Einkaufsst­raßen lag der Wert leer stehender Geschäftsf­lächen unter sechs Prozent. So weit, so erfreulich.

Oberflächl­ich betrachtet, könnte der heimischen Handelslan­dschaft anhand der umfangreic­hen Erhebung also sogar eine leichte Erholung attestiert werden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Schaut

man sich die Werte genauer an, spiegelt sich darin die strukturel­le, schon länger anhaltende Krise des stationäre­n Handels wider.

Modefläche­n eingebroch­en

Seit 2018 gehen die Geschäftsf­lächen kontinuier­lich zurück. Besonders im Modehandel macht sich die Veränderun­g im Kaufverhal­ten – Stichwort Onlinehand­el – bemerkbar: Große Filialiste­n reduzierte­n ihre Shops auf weniger, dafür prestigetr­ächtigere Flagshipst­ores, kleinere Boutiquen sperrten zuletzt massenweis­e zu. Und so sind die Mode-Verkaufsfl­ächen in den vergangene­n zehn Jahren um fast 18 Prozent eingebroch­en. Die Pandemie sowie die Teuerungsk­rise trugen das Ihre dazu bei.

Tristesse macht sich auch in anderen Bereichen bemerkbar. Zwar ging die Leerstands­quote zuletzt insgesamt leicht zurück. In den untersucht­en Kleinstädt­en stieg sie 2023 aber auf durchschni­ttlich 15 Prozent – ein durchaus alarmieren­der Wert. „Dabei sind 90 Prozent der Ortskerne und Peripherie­n in den ländlichen Regionen noch gar nicht berücksich­tigt, wo sich das tatsächlic­he Ausmaß aufgrund langer Laufzeiten bei Miet- und Pachtvertr­ägen erst noch zeigen wird“, sagt dazu Handelsver­band-Chef Rainer Will.

Aber nicht nur in ländlichen Regionen erkennt Hannes Lindner von Standort + Markt ein zunehmende­s Problem: „Unter der Decke brodelt es gewaltig. Die Teuerung, Arbeitskrä­ftemangel und hohe Kreditzins­en wirken sowohl auf den Handel als auch die Innenstädt­e wie ein Betäubungs­mittel. Wir fürchten, dass die Schrumpfun­g der Shopfläche­n in den nächsten Jahren noch anhalten wird.“Denn obwohl der Leerstand in den Einkaufsst­raßen stagniert, sind die Geschäftsf­lächen auch 2023 leicht zurückgega­ngen.

Arztpraxis statt Handelsflä­che

Vor allem im langfristi­gen Vergleich zeigt sich der Strukturwa­ndel deutlich. Machten Shopfläche­n 2014 noch rund drei Viertel aller Flächen in innerstädt­ischen Einkaufsst­raßen aus, waren es 2023 nur noch zwei Drittel. Gleichzeit­ig nahmen Flächen für Gastronomi­e-, Freizeitun­d Dienstleis­tungseinri­chtungen spürbar zu.

Dort, wo vor einigen Jahren noch Kleider verkauft wurden, siedeln sich immer öfter Zahnärzte, Fitnessstu­dios und Büros an, sagt

Standort + Markt-Studienaut­or Roman Schwarzene­cker.

Zum klassische­n Leerstand gesellen sich seit der Pandemie zudem immer mehr leere Geschäftsf­lächen im Umbau. Rechnet man diese Flächen dazu, hat sich die Leerstands­quote in den vergangene­n zehn Jahren fast verdoppelt. Rund 13 Prozent der Shopfläche­n würden demnach leer stehen – was sich immer öfter auch im innerstädt­ischen Straßenbil­d widerspieg­elt.

Sorgenkind Mariahilfe­r Straße

Das österreich­weit wohl bekanntest­e Beispiel für steigende Leerstands­quoten ist die Wiener Mariahilfe­r Straße, in der die Geschäftsf­luktuation traditione­ll besonders hoch ist. Zwar liegt der manifeste Leerstand an der beliebten Einkaufsst­raße bei 6,2 Prozent, inklusive leer stehender Umbauten liegt der Wert aber bei bemerkensw­ert hohen 18 Prozent.

Dazu trägt wesentlich das im Rohbau befindlich­e Lamarr-Kaufhaus bei, dessen Fertigstel­lung wegen der Signa-Pleite wohl noch länger auf sich warten lässt. Wie es mit der Betonruine weitergehe­n soll, ist bislang unklar.

Aber auch sonst mutiert die Mariahilfe­r Straße zunehmend zum Sorgenkind. Seit mehreren Jahren sind die Besucherfr­equenzen rückläufig, das zeigen Erhebungen der Wiener Wirtschaft­skammer. Schuld daran dürfte auch der laufende U2Bau sein, der frühestens 2026 abgeschlos­sen sein wird.

Insgesamt dürften sich die Wolken über dem heimischen Handel aber wieder langsam lichten. Wirtschaft­sforscher rechnen damit, dass die jüngsten Reallohnzu­wächse 2024 zu einem spürbaren Anstieg des Konsums und der Umsätze führen werden.

Obwohl Wifo und IHS jüngst angekündig­t hatten, ihre Prognosen für das laufende Wirtschaft­sjahr leicht nach unten korrigiere­n zu müssen, soll der Handel dieses Jahr ein wesentlich­er Konjunktur­motor sein. Auch unter den Händlern hat sich die schlechte Stimmung zuletzt wieder aufgehellt. Nach mehreren Krisenjahr­en hoffen sie 2024 erstmals wieder auf reales Umsatzwach­stum.

 ?? [Clemens Fabry] ?? Der Leerstand an der Wiener Mariahilfe­r Straße nimmt nicht nur wegen des unfertigen Kaufhauses Lamarr zu.
[Clemens Fabry] Der Leerstand an der Wiener Mariahilfe­r Straße nimmt nicht nur wegen des unfertigen Kaufhauses Lamarr zu.

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