Krise macht sich in Einkaufsstraßen bemerkbar
Die Handelsflächen gehen spürbar zurück. Gerade in ländlichen Regionen herrscht Tristesse, aber auch die Wiener Mariahilfer Straße mutiert immer mehr zum Sorgenkind.
Prominente Insolvenzen, Tausende Shopschließungen und einbrechende Umsätze: 2023 war für viele Handelsbetriebe ein Jahr zum Vergessen. Branchenvertreter warnten angesichts der jüngsten Pleitewelle im Einzelhandel vor einem Emporschnellen der Leerstände und verwaisten Einkaufsstraßen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Laut einer am Dienstag präsentierten Studie vom Handelsverband und der Beratungsgesellschaft Standort + Markt ging die Leerstandsquote in den heimischen Innenstädten sogar leicht zurück – von 6,8 auf 6,7 Prozent.
In den 24 größten österreichischen Städten reduzierte sich die Leerstandsquote gar von 5,3 auf 4,9 Prozent. Die niedrigsten Werte weisen Mödling und Feldkirch auf. Aber auch in den Landeshauptstädten und den allermeisten Wiener Einkaufsstraßen lag der Wert leer stehender Geschäftsflächen unter sechs Prozent. So weit, so erfreulich.
Oberflächlich betrachtet, könnte der heimischen Handelslandschaft anhand der umfangreichen Erhebung also sogar eine leichte Erholung attestiert werden. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Schaut
man sich die Werte genauer an, spiegelt sich darin die strukturelle, schon länger anhaltende Krise des stationären Handels wider.
Modeflächen eingebrochen
Seit 2018 gehen die Geschäftsflächen kontinuierlich zurück. Besonders im Modehandel macht sich die Veränderung im Kaufverhalten – Stichwort Onlinehandel – bemerkbar: Große Filialisten reduzierten ihre Shops auf weniger, dafür prestigeträchtigere Flagshipstores, kleinere Boutiquen sperrten zuletzt massenweise zu. Und so sind die Mode-Verkaufsflächen in den vergangenen zehn Jahren um fast 18 Prozent eingebrochen. Die Pandemie sowie die Teuerungskrise trugen das Ihre dazu bei.
Tristesse macht sich auch in anderen Bereichen bemerkbar. Zwar ging die Leerstandsquote zuletzt insgesamt leicht zurück. In den untersuchten Kleinstädten stieg sie 2023 aber auf durchschnittlich 15 Prozent – ein durchaus alarmierender Wert. „Dabei sind 90 Prozent der Ortskerne und Peripherien in den ländlichen Regionen noch gar nicht berücksichtigt, wo sich das tatsächliche Ausmaß aufgrund langer Laufzeiten bei Miet- und Pachtverträgen erst noch zeigen wird“, sagt dazu Handelsverband-Chef Rainer Will.
Aber nicht nur in ländlichen Regionen erkennt Hannes Lindner von Standort + Markt ein zunehmendes Problem: „Unter der Decke brodelt es gewaltig. Die Teuerung, Arbeitskräftemangel und hohe Kreditzinsen wirken sowohl auf den Handel als auch die Innenstädte wie ein Betäubungsmittel. Wir fürchten, dass die Schrumpfung der Shopflächen in den nächsten Jahren noch anhalten wird.“Denn obwohl der Leerstand in den Einkaufsstraßen stagniert, sind die Geschäftsflächen auch 2023 leicht zurückgegangen.
Arztpraxis statt Handelsfläche
Vor allem im langfristigen Vergleich zeigt sich der Strukturwandel deutlich. Machten Shopflächen 2014 noch rund drei Viertel aller Flächen in innerstädtischen Einkaufsstraßen aus, waren es 2023 nur noch zwei Drittel. Gleichzeitig nahmen Flächen für Gastronomie-, Freizeitund Dienstleistungseinrichtungen spürbar zu.
Dort, wo vor einigen Jahren noch Kleider verkauft wurden, siedeln sich immer öfter Zahnärzte, Fitnessstudios und Büros an, sagt
Standort + Markt-Studienautor Roman Schwarzenecker.
Zum klassischen Leerstand gesellen sich seit der Pandemie zudem immer mehr leere Geschäftsflächen im Umbau. Rechnet man diese Flächen dazu, hat sich die Leerstandsquote in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Rund 13 Prozent der Shopflächen würden demnach leer stehen – was sich immer öfter auch im innerstädtischen Straßenbild widerspiegelt.
Sorgenkind Mariahilfer Straße
Das österreichweit wohl bekannteste Beispiel für steigende Leerstandsquoten ist die Wiener Mariahilfer Straße, in der die Geschäftsfluktuation traditionell besonders hoch ist. Zwar liegt der manifeste Leerstand an der beliebten Einkaufsstraße bei 6,2 Prozent, inklusive leer stehender Umbauten liegt der Wert aber bei bemerkenswert hohen 18 Prozent.
Dazu trägt wesentlich das im Rohbau befindliche Lamarr-Kaufhaus bei, dessen Fertigstellung wegen der Signa-Pleite wohl noch länger auf sich warten lässt. Wie es mit der Betonruine weitergehen soll, ist bislang unklar.
Aber auch sonst mutiert die Mariahilfer Straße zunehmend zum Sorgenkind. Seit mehreren Jahren sind die Besucherfrequenzen rückläufig, das zeigen Erhebungen der Wiener Wirtschaftskammer. Schuld daran dürfte auch der laufende U2Bau sein, der frühestens 2026 abgeschlossen sein wird.
Insgesamt dürften sich die Wolken über dem heimischen Handel aber wieder langsam lichten. Wirtschaftsforscher rechnen damit, dass die jüngsten Reallohnzuwächse 2024 zu einem spürbaren Anstieg des Konsums und der Umsätze führen werden.
Obwohl Wifo und IHS jüngst angekündigt hatten, ihre Prognosen für das laufende Wirtschaftsjahr leicht nach unten korrigieren zu müssen, soll der Handel dieses Jahr ein wesentlicher Konjunkturmotor sein. Auch unter den Händlern hat sich die schlechte Stimmung zuletzt wieder aufgehellt. Nach mehreren Krisenjahren hoffen sie 2024 erstmals wieder auf reales Umsatzwachstum.