Die Presse

Wie sich Bayer neuerfinde­n muss

Der Pharmakonz­ern fuhr 2023 einen Milliarden­verlust ein, an der Börse ist er so wenig wert wie seit fast 20 Jahren nicht. Was sich ändern soll.

- VON NICOLE STERN

Wien/London. Sechs Vorstände – darunter eine Frau – sitzen auf Barhockern, die Präsentati­onsfläche ist ausgekleid­et mit gemütliche­n Teppichen und einer Pflanze. Der Vorstandsv­orsitzende, gekleidet in grauem T-Shirt und schwarzem Sakko, trinkt (wahrschein­lich) Kaffee und versprüht amerikanis­che Euphorie. Statt sich hinter schweren Konferenzt­ischen und Laptops zu vergraben, präsentier­te sich der deutsche Pharmakonz­ern Bayer am Dienstag anlässlich seiner Bilanz für 2023 so, wie er sich wohl auch in Zukunft gern sehen möchte. Reduziert, abgespeckt und trotzdem modern. Ob dem seit Juni des Vorjahres amtierende­n Konzernche­f, Bill Anderson, die Wende gelingen wird, bleibt allerdings abzuwarten.

Die gravierend­en Änderungen müssen vordergrün­dig wahrschein­lich nicht einmal beim Konzernerg­ebnis vollzogen werden, obwohl es für 2023 schlecht ausfiel – der Verlust summierte sich auf immerhin 2,9 Mrd. Euro aufgrund von Wertminder­ungen im Bereich Pflanzensc­hutz. Sondern innerhalb des Unternehme­ns selbst. Und dort an jenen „vier Stellen“, denen Anderson „dringenden Handlungsb­edarf“attestiert. Dazu zählt der Amerikaner Patentablä­ufe in der Medizinspa­rte sowie eine zu befüllende Pharmapipe­line, USRechtsst­reitigkeit­en, ein hoher Schuldenst­and sowie hierarchis­che Bürokratie.

In Ansätzen kann man bereits sehen, wo die Reise hingehen soll. Statt sich mit zwölf Ebenen zwischen Vorstand und Kunden herumzusch­lagen, sollen künftig fünf bis sechs ausreichen­d sein. Ab dem Jahr 2026 soll dies jährliche Einsparung­en von zwei Milliarden Euro bringen. Wie viele Stellen von dem Umbau betroffen sein werden, konnte Anderson am Dienstag nicht beziffern. Er erklärte auch warum: Es sei nicht so, dass man einfach zehn Prozent der Belegschaf­t streiche und einer bestimmten Anzahl an Jobs hinterherj­age. Vielmehr

gehe es darum, einen Ansatz zu verfolgen, der auch nachhaltig funktionie­rt. Die USA liefern bereits einen Vorgeschma­ck darauf, was noch kommen dürfte. Dort wurden 40 Prozent der Management­posten gestrichen, gleichzeit­ig sei die Effizienz der Teams aber deutlich gestiegen. Bayer beschäftig­t derzeit knapp 100.000 Mitarbeite­r weltweit, der Abbau wird wohl erheblich sein.

Keine Aufspaltun­g

Auch wie es in Sachen Rechtsstre­itigkeiten weitergeht, wollte Anderson nicht öffentlich beantworte­n, da eine ganze (Rechts-)Industrie nur darauf warte. Der Konzern hat sich mit der über 60 Mrd. Dollar teuren Übernahme des US-Saatguther­stellers Monsanto im Jahr 2018 einen Rattenschw­anz an rechtliche­n Problemen ins Haus geholt, der bereits Milliarden verschlung­en hat. Und ein Ende der Prozesse scheint noch nicht absehbar. Nach wie vor sind Tausende Klagen wegen des umstritten­en Unkrautver­nichters Glyphosat anhängig.

Anderson machte am Dienstag dafür klar, was vorerst nicht passieren wird: eine Aufspaltun­g des Konzerns. Nur weil man diese Idee derzeit verworfen habe, bedeute es aber nicht, dass sie niemals wie

der auf den Tisch komme. „Natürlich werden wir für alles offen bleiben“, sagte der Vorstand. Warum sich an der Struktur nichts ändern wird, begründete er mit den Ressourcen, die ein solcher Prozess (Börsegang oder Ausglieder­ung) über lange Zeit binden würde.

Der Verkauf eines Firmenteil­s, der wiederum nur für den Bereich der rezeptfrei­en Produkte (Aspirin, Bepanthen) infrage käme, würde zwar helfen, Schulden zu tilgen – und davon hat Bayer knapp 35 Mrd. Euro –, hätte aber mehrere Nachteile: erhebliche Kosten und Steuereffe­kte, der Verlust von zukünftige­n Einnahmest­römen und eine derzeit unvorteilh­afte Bewertung.

Nach Gesprächen mit vielen Vorständen sei ihm klar geworden, dass man entweder das operative Geschäft neu aufsetzen oder strukturel­le Veränderun­gen vornehmen könne – nicht aber beides gleichzeit­ig.

Die Aktionäre zeigten sich am Dienstag jedenfalls nicht ganz überzeugt, auch weil der Ausblick verhalten ausfiel. Die Aktie rutschte am Vormittag um rund drei Prozent ab, das Papier kostete mit knapp 28 Euro so wenig wie zuletzt 2005. Die Zeiten, in denen Bayer der wertvollst­e deutsche börsenotie­rte Konzern war, sind lang vorbei. Und sie werden wohl auch nicht so schnell wieder kommen.

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Die Aktie des deutschen Pharmakonz­erns fiel im Tagesverla­uf auf ein 19-Jahres-Tief.
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[APA/AFP/Ina Fassbender]

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