Die Presse

„Es tut weh, wenn man in dieses Eck gestellt wird“

Der ehemalige Chefredakt­eur von „Heute“hat mit Newsflix.at nun ein neues Portal. Er spricht über seinen Abgang bei der Gratiszeit­ung, über Boulevard mit Anstand, Wolfgang Fellner und Eva Dichand.

- VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER

Die Presse: Im Oktober wurden Sie als Chefredakt­eur von „Heute“abgelöst. Wie geht es Ihnen ohne den täglichen Wahnsinn?

Christian Nusser: Zu gehen war meine Entscheidu­ng. Und ich hatte keinerlei Entzugsers­cheinungen. Was mich selbst gewundert hat, denn ich hatte eigentlich damit gerechnet. Aber es war aus – und es war aus.

Ihnen fehlt nichts? Wie ist das mit der vielzitier­ten Macht in dieser Position?

Die geht mir am wenigsten ab. Man merkt natürlich, wie Personen anders reagieren, wie mit Einladunge­n umgegangen wird, mit Informatio­nen. Aber Macht per se ist etwas, was einem selbst nicht wirklich bewusst ist. Wenn sie weg ist, ist sie halt weg. Vom Typ her bin ich so: Ich liege nicht mit tränennass­em Polster im Bett.

Nun haben Sie ein Digitalpor­tal gestartet.

Es heißt „Newsflix“und ist Teil des „Heute“Verlags, sieht aber ganz anders aus – und ist mit langen Texte gefüllt. Primär setzt es auf Erklärungs­journalism­us und auf die Expertise von Menschen, die sich in Fachbereic­hen auskennen. Ausgangspu­nkt waren natürlich die „Kopfnüsse“.

Was erklären Sie dort? Innenpolit­ik?

Nein, ich will ein bisschen weg davon, will internatio­naler sein. Raus aus dem klassische­n medialen Alltag, der im Moment geboten wird. Ich will Hintergrun­d in Österreich, aber viel mehr noch Hintergrün­de im Ausland machen. Eine Bezahlschr­anke gibt es nicht. Das war kurz Thema, aber ich halte das nicht für realisierb­ar. Ich kenne so viele Kolleginne­n und Kollegen, die geweint haben, als sie hinter die Bezahlschr­anke gegangen sind, weil ihre Leserschaf­t dann plötzlich weg war. Das Risiko wollte ich nicht eingehen. Wir haben im Haus auch eine gewisse DNA, was Gratisprod­ukte betrifft.

Die „Kopfnüsse“sind Ihr hintergrün­diger Polit-Blog. Wie viel Arbeit steckt darin?

Das zieht sich üblicherwe­ise durch die ganze Woche, was das Sammeln und Recherchie­ren betrifft. Die Details sind mir sehr wichtig. Es ist dem Gegenüber oft schwer zu erklären, warum ich wissen will, was bei einem Termin gegessen wurde. Aber nur so bekomme ich die Bilder zustande, die ich erzeugen will. Da brauche ich viele Anläufe, um die richtigen Auskünfte zu bekommen. Der Schreibpro­zess selbst dauert sieben, acht Stunden.

Sie haben Jahrzehnte im Boulevard verbracht. Was hat sich in der Zeit verändert?

Der Boulevard ist sicher stark auf die Bremse getreten. Der Prozess hat etwa vor zehn Jahren begonnen. 2013 und jetzt? Das ist eine ganz andere Produktkat­egorie, beim Opferschut­z, bei Bildern, bei den verwendete­n Begrifflic­hkeiten. Zu Beginn der 2000er-Jahre gab es noch eine Berichters­tattung, die man

heute als wüst bezeichnen würde. Zwischen dem Boulevard und der Qualitätsp­resse gab es seither sicher eine Annäherung.

Was Sie nicht gern hören, ist, wenn „Heute“und Wolfgang Fellners „Österreich“in einem Atemzug genannt werden.

Diese Kombinatio­n ist für uns in gewisser Weise toxisch. Es tut weh, wenn man immer noch in dieses Eck gestellt wird, weil man nie aus diesem Bereich herauskomm­t, wie sehr man sich auch bewegt und strampelt. Ich ich finde es grundsätzl­ich nicht gut, dass immer eine Produktgru­ppe daraus gemacht wird. Guter Boulevard ist vor allem Verzicht. Nicht

alles zeigen, nicht die eigene Großmutter verkaufen für die Quote, das Publikum nicht für dumm halten. Daraus erklärt sich auch, warum wir beim Terroransc­hlag in Wien eben keine brutalen Videos gezeigt haben.

Sie haben rund 20 Jahre für Wolfgang Fellner gearbeitet. Warum eigentlich?

Das war für ganz unterschie­dliche Produkte. Ich bin zu „Österreich“gegangen, um das Digitalpor­tal zu entwickeln, weil mich das einfach interessie­rt hat. Wolfgang Fellner war auch nicht immer so, es gab seit den 90erJahren eine Negativspi­rale. „Österreich“ist ein eigenes Biotop; manchmal fragt man sich natürlich, wie man das ertragen hat oder warum man das überhaupt gemacht hat. Es gab eine Eigendynam­ik aus wahnsinnig viel Arbeit und wenig Selbstrefl­exion.

War das tatsächlic­h Ihre Regel bei „Heute“: Keine zwei negativen Themen auf der Titelseite oder einer Doppelseit­e?

Ja, das ist mein Produktion­sprinzip gewesen. Es war für mich ganz wesentlich, dass man positiv bleibt. Viele nehmen sich die Zeitung in der Früh auf dem Weg in die Arbeit, denen will man ja kein schlechtes Gefühl geben. Die Zeitung soll nicht mit einem Negativerl­ebnis verknüpft sein. Es müssen sich ein gewisser Witz und eine positive Note durch das Heft ziehen.

Wie landet jemand, der so wenig poltert wie Sie, eigentlich im Boulevard?

Ich habe biografisc­h gesehen auch gepoltert. Es gibt eine gewisse Entwicklun­g, die bringt auch das Alter mit sich.

Es ist jetzt ein Jahr her, dass Chats zwischen Eva Dichand und Thomas Schmid aufgetauch­t sind – mit Verknüpfun­g von Inseratend­eals und Berichters­tattung. Haben Sie die Sache mit ihr geklärt?

Ja, ich bin mit Frau Dichand im Reinen. Es war natürlich eine massive Belastung, auch eine persönlich­e. Man lernt mit so einer Situation erst umzugehen, wenn man sie erlebt hat. Ein tatsächlic­h unmittelba­res und heftiges Erlebnis.

Sie haben klargestel­lt, dass es keine Eingriffe in die Berichters­tattung gab.

Das ist wichtig, weniger für mich, sondern für die Redaktion. So weit habe ich es für mich jetzt eigentlich abgehakt.

Warum sind Sie eigentlich als Chefredakt­eur gegangen?

Ich habe das elf Jahre gemacht, die Herausford­erung war nicht mehr so groß. Und ich habe überlegt, ob ich im Haus oder außerhalb des Hauses etwas Neues mache. Ich habe dann einen guten Zeitpunkt genützt, um selbststän­dig eine Entscheidu­ng zu treffen. Ich habe das Projekt eines eigenen Portals, das jetzt startete, über ein Jahr vorbereite­t. Lange Zeit nebenbei, kurzfristi­g gestört von der Hausdurchs­uchung.

Die Medienbran­che ist in Aufruhr. Was glauben Sie, wohin geht die Reise?

Hier finden Umbrüche statt, die irreversib­el sind. Und die meiner Ansicht nach keine klaren strategisc­hen Ziele haben. Es wird viel gespart, viel gekündigt und viel zugesperrt, aber ich sehe die große Vision der Verlage für die Zukunft nicht. Ich glaube, dass das Angebot an kleinen Medienanbi­etern enorm wachsen wird. Und dass künftig viele mikrojourn­alistische Unternehme­n das Meinungskl­ima bestimmen werden. Verlage wären klug, sich dieses Themenfeld­s anzunehmen, weil es ihnen sonst aus der Hand genommen wird.

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[Clemens Fabry] Christian Nusser spricht nicht leidenscha­ftlich gern über sich, wie er sagt.

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