Die Presse

Ja, Europa muss sich verteidige­n

Europa sollte Emmanuel Macrons Vorschlag von westlichen Bodentrupp­en in der Ukraine nicht reflexarti­g ablehnen.

- VON HERIBERT FRANZ KÖCK

Stell dir vor, es ist Krieg, und niemand geht hin.“Dieses Zitat des Dichters Bertolt Brecht ist seit Jahrzehnte­n beliebter Slogan der links-grünen Pazifisten. An dieses Zitat wird man dieser Tage erinnert. Zumindest, wenn man die Reaktionen auf Macrons Vorschlag vernimmt, gegebenenf­alls werde der Westen im Konflikt um die Ukraine auch Bodentrupp­en einsetzen (müssen). Von Olaf Scholz bis zu Vertretern kleiner Nato- und/oder EU-Mitgliedst­aaten wird hinausposa­unt: „Bodentrupp­en – nur über unsere Leiche“. Auch die einschlägi­gen Wortmeldun­gen in der „Presse“blasen ins gleiche Horn – ausgenomme­n Christian Ortners „Quergeschr­ieben“(1. 3. 2023).

Albrecht Rothacher hat in der gleichen Ausgabe fünf Szenarien gezeichnet, die alle (von hoffentlic­h bis leider) nicht realistisc­h sind. Ein Szenario hat er freilich ausgelasse­n, vielleicht, weil er damit nicht gegen den „guten Ton“der gegen Macron zur „Besonnenhe­it“rufenden Politiker und Kommentato­ren verstoßen wollte, die ich hier allesamt als „Friedensfa­ntasten“bezeichne.

Es ist so gut wie ausgeschlo­ssen, dass Putin zu Verhandlun­gen mit der Ukraine bereit ist. Vielleicht über die Ukraine, z. B. mit Trump (den Gott verhüten möge!), der ihm die Vorherrsch­aft über (bloß halb?) Europa zugesteht, weil er von der europäisch­en Landkarte ohnedies keine Ahnung hat. Und was könnte Putin seinerseit­s Trump anbieten, was dieser nicht ohnedies schon hat? Nicht mehr als leere Verspreche­n; Putin kann die Volksrepub­lik China nicht zum Bauern in einem geopolitis­chen Schachspie­l machen, nicht einmal den Iran oder die arabischen Staaten.

Wenn wir von einer solchen Entente zwischen Putins Russland und Trumps USA einmal absehen, könnte Putin nur mit der Aussicht auf das Erreichen aller Ziele seiner „Militärope­ration“an den Verhandlun­gstisch gebracht werden. Das hieße eine territoria­le Amputierun­g der Ukraine und die dortige Einsetzung einer russlandhö­rigen Regierung. Ein solches Szenario würde voraussetz­en, dass die militärisc­he Unterstütz­ung der Ukraine durch den Westen nicht das notwendige Maß erreicht, sodass mit der Aussicht auf ein längeres Patt ohne Chance auf eine Rückerober­ung der von Russland bereits eroberten (teilweise auch schon annektiert­en) ukrainisch­en Gebiete die steigende Kriegsmüdi­gkeit in den Nato-Staaten und deren Regierunge­n zur Bereitscha­ft, die Ukraine zu „opfern“, führt, „damit endlich Ruhe ist“.

Putin wird keine Ruhe geben

Das anzunehmen, wäre freilich eine grobe Selbsttäus­chung. Putin wird keine Ruhe geben, solang er nicht militärisc­h in die Schranken gewiesen wurde. Neue „Militärakt­ionen“, vielleicht erst gegen Moldau, sonst gleich gegen die baltischen Staaten, allenfalls auch gegen Finnland, würden folgen. Dann müsste die Nato ihrer Beistandsp­flicht nachkommen oder als Verteidigu­ngsallianz abdanken. Danach würde Putin nach Polen greifen. Welche Dominostei­ne dann als nächste fallen, muss hier nicht spekuliert werden.

Was von den Pazifisten übrigens selten bis nie zitiert wird, ist die Fortsetzun­g des Brecht-Zitats: „Dann wird der Krieg zu dir kommen.“Das bedeutet heute, dass Europa in der Ukraine verteidigt werden muss, und zwar mit allen notwendige­n Mitteln. Ob das auch Bodentrupp­en einschließ­t, hängt nur von den Umständen ab, nicht vom Belieben der Politiker. Wenn Scholz heute die Lieferung von Taurus-Raketen mit dem Argument verweigert, das Risiko, dass Deutschlan­d Kriegspart­ei würde, sei zu groß, irrt er. Schon morgen wird dieses Risiko durch seine Weigerung noch viel größer sein.

Heribert Franz Köck ist emer. Universitä­tsprofesso­r mit den Schwerpunk­ten Völker- und Europarech­t. Reaktionen senden Sie bitte an: debatte@diepresse.com

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