Die Presse

Haiti als Spielball kriminelle­r Banden

Regierungs­chef Henry wurde an der Rückkehr nach Haiti gehindert. Aufgrund von bewaffnete­n Gangs wird die Sicherheit­slage im Land immer gefährlich­er. Der Karibiksta­at hat eine blutige Geschichte an Revolten und Umstürzen.

- VON IRENE ZÖCH

Wie ein Staatsmann hat Jimmy Chérizier zur Pressekonf­erenz nach Delmas 6 geladen. In den Straßen des Vororts der haitianisc­hen Hauptstadt Portau-Prince diktiert der Boss der kriminelle­n Organisati­on „G9-Familie und Verbündete“in die unzähligen Mobiltelef­one, die ihm entgegenge­streckt werden, seine Forderunge­n: Wagt Premier Ariel Henry von seiner Auslandsre­ise zurück nach Haiti zu kommen, werde er ihn jagen und von seinem Posten stürzen.

„Bis zu seinem letzten Tropfen Blut“will der 48-Jährige kämpfen und sich notfalls „mit dem Teufel ins Bett legen“. Sollten Soldaten einer von der UNO beschlosse­nen Eingreiftr­uppe den Boden Haitis betreten, werde es Krieg geben, sogar von Genozid spricht er. An seiner Schulter hängt ein Maschineng­ewehr, den Finger lässt er nicht vom Abzug.

Dass Premier Henry vergangene Woche nach Kenia gereist ist, um eine Erklärung zur Entsendung einer multinatio­nalen UNO-Eingreiftr­uppe unter kenianisch­er Führung zu unterzeich­nen, hat der mächtige Bandenboss genutzt, um das Land noch weiter ins Chaos zu stürzen. Nach Attacken seiner G9-Leute gegen Gefängniss­e, Polizeista­tionen und den internatio­nalen Flughafen hat die Regierung den Ausnahmezu­stand ausgerufen. Dass von Premier Henry allerdings dieser Tage kein einziges Wort zu hören war, hat Spekulatio­nen über seinen Verbleib ausgelöst.

Rückkehr nach Haiti wurde am Mittwoch verhindert. Die Dominikani­sche Republik, mit der sich Haiti die Insel Hispaniola teilt, verweigert seiner Maschine die Landeerlau­bnis. So sitzt Henry vorerst in Puerto Rico fest.

Einst von Sklaven gegründet

Just Bandenboss Chérizier, der mit Morden, Entführung­en und Schutzgeld­erpressung­en die Bevölkerun­g des bitterarme­n Landes terrorisie­rt, will sich nun als Ausweg aus der verfahrene­n Lage präsentier­en. Denn so wie er sind viele im Land der Meinung, dass Premier Henry nicht legitimier­t ist.

Nachdem Präsident Jovenel Moïse im Juli 2021 ermordet wurde, übernahm der 75-jährige Neurochiru­rg das Amt des Regierungs­chefs. Neuwahlen hat er bisher mit Verweis auf die Sicherheit­slage, die in seiner Amtszeit völlig zusammenge­brochen ist, abgelehnt. Unschichte terstützt wird Henry von den USA und Kanada. Ein Vorschlag für die Einsetzung einer Übergangsr­egierung, die Neuwahlen organisier­en soll, liegt zwar in der Schublade. Gegen die Umsetzung des sogenannte­n Montana-Abkommens, unterschri­eben von zivilgesel­lschaftlic­hen Organisati­onen, Parteien und politische­n Gruppen, hat sich Henry bisher gestemmt.

Die jüngste Welle der Gewalt reiht sich ein in Haitis blutige GeSeine

der Unterdrück­ung. Haiti war zwar der erste und einzige von Sklaven gegründete Staat der Weltgeschi­chte und erlangte bereits 1804 von der Kolonialma­cht Frankreich Unabhängig­keit. Doch die Herrschaft von Diktatoren, Unterdrück­ung und Korruption machten die einst reiche Insel heute zu einem der ärmsten Länder der Welt.

Papa Doc plünderte das Land

„Papa Doc“und „Baby Doc“herrschten im Karibiksta­at von 1957 bis 1986 und überzogen das Land mit ihrer Gewaltherr­schaft. Jean-Claude Duvalier und zuvor sein Vater, François, ließen nicht nur durch ihre Privatarme­e Tontons Macoutes Zehntausen­de töten, sie plünderten auch das Land und ließen die Wirtschaft für sich arbeiten. Rund 60.000 Menschen verschwand­en in diesen Jahren oder wurden getötet. Baby Doc, der mit nur 19 Jahren an die Macht kam, floh 1986 aus dem Land, nicht ohne vorher seine Schweizer Konten prall gefüllt zu haben.

In Jean-Bertrand Aristide setzten die Haitianer große Hoffnungen, der katholisch­e Priester wurde mit überwältig­ender Mehrheit 1990 gewählt. Doch schon bald stellte sich heraus, dass auch er nur in die eigenen Taschen arbeitete. Aus dem Armenpries­ter wurde ein radikaler Alleinherr­scher. Er setzte Todesschwa­dronen ein, die Chimères, mit denen er die Bevölkerun­g einschücht­erte. 2004 ging er mit Frau und Töchtern (das Priesteram­t hatte er zurückgele­gt) nach Südafrika ins Exil. Die Auswirkung­en sind bis heute geblieben.

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[Reuters/Ralph Erol] Pressekonf­erenz eines Bandenboss­es: Jimmy Chérizier will seine Macht weiter ausbauen.

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