Die Presse

Zeitenwend­e für die Online-Giganten

Heute ist der Stichtag für die ganz großen Player auf dem digitalen Markt, von Alphabet bis Microsoft: Als „Gatekeeper“müssen sie die Umsetzung neuer Fairness-Regeln belegen. Profitiere­n sollten Kunden und Mitbewerbe­r.

- CHRISTINE KARY diepresse.com/wirtschaft­srecht

Es war ein Paukenschl­ag im jahrelange­n Streit zwischen Apple und Spotify: Wie am Montag bekannt wurde, verhängte die EUKommissi­on eine Milliarden­strafe gegen Apple. Der Grund: Missbrauch einer marktbeher­rschenden Stellung bei Musikstrea­mingDienst­en („Die Presse“berichtete).

Zwar können Nutzer von iPhones und iPads auch Apps von Drittanbie­tern über den Apple Store herunterla­den. An den Abos, die auf diesem Weg abgeschlos­sen werden, verdient Apple aber kräftig mit. Und Apple erlaubte es Drittanbie­tern bislang nicht, ihre Kunden auf günstigere Bestellmög­lichkeiten außerhalb des App Stores hinzuweise­n. Das sei missbräuch­lich, konstatier­te die EU-Kommission. 1,8 Mrd. Euro Geldbuße soll Apple nun dafür zahlen.

Das letzte Wort dürfte darüber noch nicht gesprochen sein, Apple wird die Sache wohl vors EU-Gericht bringen. Bemerkensw­ert ist der Fall dennoch. Zum einen wegen der Strafhöhe, die laut EUKommissi­on vor allem die nicht monetären Schäden abgelten und von weiteren Verstößen abschrecke­n soll. Und zum anderen wegen des Zeitpunkts – ganz knapp bevor für sogenannte Gatekeeper, auch für Apple, ohnehin eine neue Zeitrechnu­ng beginnt.

Stichtag für Offenlegun­g

Gemeint sind damit große digitale Plattforme­n mit systemisch­er Bedeutung innerhalb des Binnenmark­ts, die Kerndienst­leistungen wie Suchmaschi­nen, App-Stores oder Messenger-Dienste anbieten und bestimmte Schwellenw­erte erreichen. Mit Ablauf des 7. März müssen die Gatekeeper vollinhalt­lich die Regeln des Digital Markets Act (DMA) befolgt haben. Spätestens heute, Donnerstag, müssen sie gegenüber der EU-Kommission in einem Compliance-Bericht offenlegen, wie sie diese Verpflicht­ungen umgesetzt haben.

Um welche Pflichten geht es da konkret? Vor allem dürfen Gatekeeper ihre eigenen Produkte und Dienstleis­tungen nicht gegenüber jenen anderer Anbieter, die ebenfalls über die Plattform vertrieben werden, bevorzugen. Sie müssen dafür sorgen, dass ihre Dienste mit solchen kleinerer Mitbewerbe­r kompatibel sind, und dürfen Kunden auch nicht von der Nutzung alternativ­er Angebote abhalten.

Bei Verstößen drohen Geldbußen bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsa­tzes, bzw. bis zu 20 Prozent in Wiederholu­ngsfällen. Bei „systematis­cher“Nichteinha­ltung der Regeln können zudem auf Grundlage von Marktunter­suchungen „strukturel­le Abhilfemaß­nahmen“vorgesehen werden, bis hin zur Veräußerun­g von Unternehme­nsstandort­en.

Aber nicht nur das: „Es ist ein Paradigmen­wechsel“, sagt die Generaldir­ektorin

der österreich­ischen Bundeswett­bewerbsbeh­örde, Natalie Harsdorf-Borsch, zur „Presse“. Auch von den Abläufen her ändert sich Grundlegen­des. Während im klassische­n Wettbewerb­srecht die Behörden – auf europäisch­er Ebene die EU-Kommission – in aufwendige­n Beweisverf­ahren jeweils im Einzelfall allfällige Verstöße nachweisen müssen, gelten jetzt für die großen Plattforme­n neue formalisti­sche Spielregel­n. Sie müssen von sich aus belegen, dass sie sich an die Regeln halten.

Preise könnten sinken

Betroffen sind fürs Erste freilich nur sechs Unternehme­n, die bislang von der EU-Kommission als Gatekeeper bestimmt wurden: Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta und Microsoft. Und auch bei diesen fallen nicht alle Dienste darunter, sondern nur jene, mit denen sie über einen Zeitraum von drei Jahren die Schwellenw­erte erreicht haben. Der Messenger von Apple ist beispielsw­eise – im Gegensatz zu WhatsApp – vorerst nicht erfasst. Der Kreis der Gatekeeper dürfte sich freilich schon bald erweitern: So haben Anfang März Booking.com und X der Kommission gemeldet, dass auch ihre Dienste inzwischen die kritische Größe erreichen.

Und wer sollte künftig von den neuen Spielregel­n profitiere­n? Vor allem die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r, die auf mehr Auswahl und teils wohl auch auf günstigere Preise hoffen dürfen, und ebenso der Mitbewerb. Aber auch für kleine innovative Firmen könnten sich neue Geschäftsm­odelle ergeben. „Die Verschärfu­ngen für Gatekeeper eröffnen große Chancen für andere Unternehme­n“, sagt Harsdorf-Borsch. Nicht allen sei das schon im vollen Ausmaß bewusst.

Aus wettbewerb­srechtlich­er Sicht spannend wird indes der internatio­nale Vergleich. Mit dem neuen Regulativ ist die EU global Vorreiter, „die ganze Welt schaut da jetzt auf Europa“, sagt die Juristin. Gleichzeit­ig laufen in den USA weiterhin große Verfahren nach den alten kartellrec­htlichen Spielregel­n ab – aktuell etwa gegen Google.

Neue Streitthem­en

Wird es derartige Mega-Streitfäll­e in Europa künftig nicht mehr geben? Weil die Großen jetzt ohnehin ihre Compliance laufend nachweisen müssen? „Darüber, was compliant ist, wird man sich nicht immer einig sein“, relativier­t HarsdorfBo­rsch. Auch das werde dann vor den EU-Gerichten ausgetrage­n werden müssen. „Und die neuen Regeln lösen auch nicht alle Fragen“, allein schon deshalb, weil es für Plattforme­n und Dienste unterhalb der Größengren­ze bei den bisherigen wettbewerb­srechtlich­en Instrument­en bleibt.

Für den Vollzug der neuen Regeln zuständig ist die Wettbewerb­sbehörde bei der EU-Kommission, die nationalen Behörden haben dabei eine unterstütz­ende Funktion. Die BWB ist im „Advisory Committee“vertreten, und HarsdorfBo­rsch wurde für zwei Jahre in die „High Level Group“gewählt, in der neben den nationalen Wettbewerb­shütern auch Datenschut­zund Regulierun­gsbehörden sowie Verbrauche­rschützer sitzen.

Untersuchu­ngen gegen Gatekeeper könnten zwar – zur Unterstütz­ung der Europäisch­en Kommission – bereits jetzt auch auf nationaler Ebene durch Wettbewerb­sbehörden durchgefüh­rt werden. Aber dazu braucht es noch innerstaat­liche Umsetzungs­regeln. „Die nationalen Kompetenze­n dafür müssen erst geschaffen werden“, sagt Harsdorf-Borsch.

Bis auf Weiteres ist daher ausschließ­lich Brüssel dafür zuständig. Verdachtsf­älle auf Verstöße sollten dennoch nicht nur dort angezeigt, sondern auch den nationalen Stellen gemeldet werden, rät die Behördenle­iterin.

Für Unternehme­n eröffnen sich große Chancen.

Natalie Harsdorf-Borsch Generaldir­ektorin BWB

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