Zeitenwende für die Online-Giganten
Heute ist der Stichtag für die ganz großen Player auf dem digitalen Markt, von Alphabet bis Microsoft: Als „Gatekeeper“müssen sie die Umsetzung neuer Fairness-Regeln belegen. Profitieren sollten Kunden und Mitbewerber.
Es war ein Paukenschlag im jahrelangen Streit zwischen Apple und Spotify: Wie am Montag bekannt wurde, verhängte die EUKommission eine Milliardenstrafe gegen Apple. Der Grund: Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bei MusikstreamingDiensten („Die Presse“berichtete).
Zwar können Nutzer von iPhones und iPads auch Apps von Drittanbietern über den Apple Store herunterladen. An den Abos, die auf diesem Weg abgeschlossen werden, verdient Apple aber kräftig mit. Und Apple erlaubte es Drittanbietern bislang nicht, ihre Kunden auf günstigere Bestellmöglichkeiten außerhalb des App Stores hinzuweisen. Das sei missbräuchlich, konstatierte die EU-Kommission. 1,8 Mrd. Euro Geldbuße soll Apple nun dafür zahlen.
Das letzte Wort dürfte darüber noch nicht gesprochen sein, Apple wird die Sache wohl vors EU-Gericht bringen. Bemerkenswert ist der Fall dennoch. Zum einen wegen der Strafhöhe, die laut EUKommission vor allem die nicht monetären Schäden abgelten und von weiteren Verstößen abschrecken soll. Und zum anderen wegen des Zeitpunkts – ganz knapp bevor für sogenannte Gatekeeper, auch für Apple, ohnehin eine neue Zeitrechnung beginnt.
Stichtag für Offenlegung
Gemeint sind damit große digitale Plattformen mit systemischer Bedeutung innerhalb des Binnenmarkts, die Kerndienstleistungen wie Suchmaschinen, App-Stores oder Messenger-Dienste anbieten und bestimmte Schwellenwerte erreichen. Mit Ablauf des 7. März müssen die Gatekeeper vollinhaltlich die Regeln des Digital Markets Act (DMA) befolgt haben. Spätestens heute, Donnerstag, müssen sie gegenüber der EU-Kommission in einem Compliance-Bericht offenlegen, wie sie diese Verpflichtungen umgesetzt haben.
Um welche Pflichten geht es da konkret? Vor allem dürfen Gatekeeper ihre eigenen Produkte und Dienstleistungen nicht gegenüber jenen anderer Anbieter, die ebenfalls über die Plattform vertrieben werden, bevorzugen. Sie müssen dafür sorgen, dass ihre Dienste mit solchen kleinerer Mitbewerber kompatibel sind, und dürfen Kunden auch nicht von der Nutzung alternativer Angebote abhalten.
Bei Verstößen drohen Geldbußen bis zu zehn Prozent des weltweiten Jahresumsatzes, bzw. bis zu 20 Prozent in Wiederholungsfällen. Bei „systematischer“Nichteinhaltung der Regeln können zudem auf Grundlage von Marktuntersuchungen „strukturelle Abhilfemaßnahmen“vorgesehen werden, bis hin zur Veräußerung von Unternehmensstandorten.
Aber nicht nur das: „Es ist ein Paradigmenwechsel“, sagt die Generaldirektorin
der österreichischen Bundeswettbewerbsbehörde, Natalie Harsdorf-Borsch, zur „Presse“. Auch von den Abläufen her ändert sich Grundlegendes. Während im klassischen Wettbewerbsrecht die Behörden – auf europäischer Ebene die EU-Kommission – in aufwendigen Beweisverfahren jeweils im Einzelfall allfällige Verstöße nachweisen müssen, gelten jetzt für die großen Plattformen neue formalistische Spielregeln. Sie müssen von sich aus belegen, dass sie sich an die Regeln halten.
Preise könnten sinken
Betroffen sind fürs Erste freilich nur sechs Unternehmen, die bislang von der EU-Kommission als Gatekeeper bestimmt wurden: Alphabet, Amazon, Apple, ByteDance, Meta und Microsoft. Und auch bei diesen fallen nicht alle Dienste darunter, sondern nur jene, mit denen sie über einen Zeitraum von drei Jahren die Schwellenwerte erreicht haben. Der Messenger von Apple ist beispielsweise – im Gegensatz zu WhatsApp – vorerst nicht erfasst. Der Kreis der Gatekeeper dürfte sich freilich schon bald erweitern: So haben Anfang März Booking.com und X der Kommission gemeldet, dass auch ihre Dienste inzwischen die kritische Größe erreichen.
Und wer sollte künftig von den neuen Spielregeln profitieren? Vor allem die Verbraucherinnen und Verbraucher, die auf mehr Auswahl und teils wohl auch auf günstigere Preise hoffen dürfen, und ebenso der Mitbewerb. Aber auch für kleine innovative Firmen könnten sich neue Geschäftsmodelle ergeben. „Die Verschärfungen für Gatekeeper eröffnen große Chancen für andere Unternehmen“, sagt Harsdorf-Borsch. Nicht allen sei das schon im vollen Ausmaß bewusst.
Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht spannend wird indes der internationale Vergleich. Mit dem neuen Regulativ ist die EU global Vorreiter, „die ganze Welt schaut da jetzt auf Europa“, sagt die Juristin. Gleichzeitig laufen in den USA weiterhin große Verfahren nach den alten kartellrechtlichen Spielregeln ab – aktuell etwa gegen Google.
Neue Streitthemen
Wird es derartige Mega-Streitfälle in Europa künftig nicht mehr geben? Weil die Großen jetzt ohnehin ihre Compliance laufend nachweisen müssen? „Darüber, was compliant ist, wird man sich nicht immer einig sein“, relativiert HarsdorfBorsch. Auch das werde dann vor den EU-Gerichten ausgetragen werden müssen. „Und die neuen Regeln lösen auch nicht alle Fragen“, allein schon deshalb, weil es für Plattformen und Dienste unterhalb der Größengrenze bei den bisherigen wettbewerbsrechtlichen Instrumenten bleibt.
Für den Vollzug der neuen Regeln zuständig ist die Wettbewerbsbehörde bei der EU-Kommission, die nationalen Behörden haben dabei eine unterstützende Funktion. Die BWB ist im „Advisory Committee“vertreten, und HarsdorfBorsch wurde für zwei Jahre in die „High Level Group“gewählt, in der neben den nationalen Wettbewerbshütern auch Datenschutzund Regulierungsbehörden sowie Verbraucherschützer sitzen.
Untersuchungen gegen Gatekeeper könnten zwar – zur Unterstützung der Europäischen Kommission – bereits jetzt auch auf nationaler Ebene durch Wettbewerbsbehörden durchgeführt werden. Aber dazu braucht es noch innerstaatliche Umsetzungsregeln. „Die nationalen Kompetenzen dafür müssen erst geschaffen werden“, sagt Harsdorf-Borsch.
Bis auf Weiteres ist daher ausschließlich Brüssel dafür zuständig. Verdachtsfälle auf Verstöße sollten dennoch nicht nur dort angezeigt, sondern auch den nationalen Stellen gemeldet werden, rät die Behördenleiterin.
Für Unternehmen eröffnen sich große Chancen.
Natalie Harsdorf-Borsch Generaldirektorin BWB