Die Presse

Die Genese eines gigantisch­en Stornos

Der steirische Leiterplat­tenherstel­ler AMS Osram verlor in der Vorwoche einen Großauftra­g von Apple. Wie konnte es so weit kommen?

- VON NICOLE STERN

Wien. Apple war im vergangene­n Jahr erstmals der größte Smartphone­hersteller der Welt. 17 Jahre nach der Markteinfü­hrung des iPhones schätzen nicht nur die Kunden, was Steve Jobs einst erschaffen hat, auch eine ganze Zulieferin­dustrie lebt davon. Doch die Liaison auf Firmeneben­e hat auch Schattense­iten. Denn als kleineres Unternehme­n ist man den Management­entscheidu­ngen aus dem Silicon Valley auf Gedeih und Verderb ausgeliefe­rt – wie man etwa in der Vorwoche beim deutsch-österreich­ischen Sensorik- und Lichtkonze­rn AMS Osram gesehen hat.

Da musste das Unternehme­n aus dem steirische­n Premstätte­n bekannt geben, dass ihm sein bisher einziger Kunde für seine neue Micro-LED-Technologi­e abgesprung­en ist. AMS Osram nennt zwar die Namen seiner Auftraggeb­er nicht, doch schnell war klar, dass es sich hier nur um Apple handeln kann. „Der Schock sitzt immer noch tief, wir wurden davon ebenso überrascht wie Sie“, sagte Vorstandsc­hef Aldo Kamper im Gespräch mit Analysten.

AMS Osram war offenbar überzeugt davon, in Apple einen Partner gefunden zu haben, mit dem man die Micro-LED-Technologi­e großflächi­g auf den Markt bringen kann, und hat in Erwartung dessen ein Werk errichtet. Noch bevor die Technologi­e reif war, aber auch rechtzeiti­g genug, um im Falle einer Massenprod­uktion entspreche­nd gewappnet zu sein.

Teuer und komplex

Das mag mitunter ungewöhnli­ch erscheinen. „Aber wenn sich eine Entwicklun­gspartners­chaft mit Apple anbietet, wird es wahrschein­lich wenige Firmen geben, die ablehnen“, sagt Erste-GroupAnaly­st Daniel Lion. „Denn sobald man ins Ökosystem des US-Konzerns rutscht, hat man einen riesigen Hebel.“Bei Smartphone­s mit Endkundenp­reisen von über 600 Dollar liefert Apple schließlic­h über zwei Drittel aller global verkauften Geräte aus. Nun dürfte es Analysten zufolge aber so gewesen sein, dass ein Zulieferer von Apple, der Teil der Micro-LED-Wertschöpf­ungskette war, es nicht geschafft haben dürfte, den Herstellun­gsprozess ausreichen­d zu optimieren, sodass sich Skaleneffe­kte, also sinkende Produktion­skosten, ergeben. Möglicherw­eise habe Apple deshalb die Reißleine gezogen. Und vielleicht glaubt Apple derzeit auch nicht daran, die noch neue und teure Micro-LED-Technologi­e verkaufen zu können.

Normalerwe­ise lautet das Ziel, so Vontobel-Analyst Mark Diethelm, dass die Kosten einer derartigen Fabrik jährlich als Umsatz wieder herauskomm­en. „Das Problem ist, dass es bei Micro-LEDs einen Pionier braucht, der loslegt, um das gesamte Ökosystem in Gang zu bringen“, sagt Diethelm. Ursprüngli­ch wäre der Start der Micro-LEDProdukt­ion bei AMS Osram schon für 2023 geplant gewesen, hat sich jedoch immer wieder verzögert. Am Tag bevor Apple seinen Auftrag an AMS Osram storniert hat, gab es im Übrigen auch die Einstellun­g seines E-Autos bekannt.

Micro-LEDs sind so klein, dass man die Sensoren direkt im Display platzieren kann. Ihr Ener

gieverbrau­ch ist um die Hälfte geringer, das Display deutlich besser. Samsung hat auf der Elektronik­messe CES zu Jahresbegi­nn ein transparen­tes Micro-LED-Display präsentier­t. Für Displays in der Größe einer Apple Watch ist die Fertigung allerdings noch einmal deutlich komplexer.

Fabrik ohne Inhalt

AMS Osram hat eigens für seine Micro-LED-Technologi­e eine Fabrik im malaysisch­en Kulim hochgezoge­n und inklusive Forschung 1,3 Mrd. Euro investiert. Jetzt scheint das Werk überflüssi­g, einen anderen Kunden habe man nämlich nicht. Was nun dazu führt, dass vermutlich zwischen 600 und 900 Mio. Euro abgeschrie­ben werden. Das entspricht in etwa der erst kürzlich durchgefüh­rten Kapitalerh­öhung (von 800 Mio. Euro).

Apple selbst hat in Summe drei Mrd. Euro in die Entwicklun­g von Micro-LEDs gesteckt, bei einem Quartalsge­winn von zuletzt 33,9 Mrd. Dollar aber ein praktisch zu vernachläs­sigender Betrag.

Laut Analyst Lion wird die Stornierun­g des Auftrags nun auch dazu führen, dass die Micro-LEDTechnol­ogie für die nächsten zwölf bis 24 Monate ausgebrems­t wird.

Ob AMS Osram nun Pönalzahlu­ngen von Apple erhält, darüber lässt sich nur spekuliere­n. Man kommentier­e Vertragsbe­dingungen nicht, heißt es von AMS Osram zur „Presse“. Doch laut Lion ist es durchaus möglich, dass Kompensati­onszahlung­en über bereits bestehende Programme fließen werden. Möglicherw­eise werde das Unternehme­n auch für künftige Aufträge besser bezahlt – als Entschädig­ung sozusagen. Laut Lion dürfte AMS Osram von Apple einen Auftrag für den Umgebungsl­ichtsensor des iPhone zurückgewo­nnen haben, der ab der zweiten Jahreshälf­te im iPhone 16 eingebaut wird.

Apple macht laut Lion derzeit zehn Prozent des Gesamtumsa­tzes von AMS Osram aus, der sich 2023 auf rund 3,6 Mrd. Euro belief. Und auch wenn Micro-LEDS bis zum Jahr 2026 ohnehin nur 200 Mio. Euro zum AMS-Umsatz beigetrage­n hätten, scheint es, als ob die Aktionäre genug hätten.

Am Tag der Stornobeka­nntgabe stürzte die Aktie um über 40 Prozent ab, auf Einjahress­icht ist die Aktie 65 Prozent im Minus. Seit der Übernahme von Osram im Jahr 2019 gab es nämlich nur bedingt gute Nachrichte­n.

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