Die Genese eines gigantischen Stornos
Der steirische Leiterplattenhersteller AMS Osram verlor in der Vorwoche einen Großauftrag von Apple. Wie konnte es so weit kommen?
Wien. Apple war im vergangenen Jahr erstmals der größte Smartphonehersteller der Welt. 17 Jahre nach der Markteinführung des iPhones schätzen nicht nur die Kunden, was Steve Jobs einst erschaffen hat, auch eine ganze Zulieferindustrie lebt davon. Doch die Liaison auf Firmenebene hat auch Schattenseiten. Denn als kleineres Unternehmen ist man den Managemententscheidungen aus dem Silicon Valley auf Gedeih und Verderb ausgeliefert – wie man etwa in der Vorwoche beim deutsch-österreichischen Sensorik- und Lichtkonzern AMS Osram gesehen hat.
Da musste das Unternehmen aus dem steirischen Premstätten bekannt geben, dass ihm sein bisher einziger Kunde für seine neue Micro-LED-Technologie abgesprungen ist. AMS Osram nennt zwar die Namen seiner Auftraggeber nicht, doch schnell war klar, dass es sich hier nur um Apple handeln kann. „Der Schock sitzt immer noch tief, wir wurden davon ebenso überrascht wie Sie“, sagte Vorstandschef Aldo Kamper im Gespräch mit Analysten.
AMS Osram war offenbar überzeugt davon, in Apple einen Partner gefunden zu haben, mit dem man die Micro-LED-Technologie großflächig auf den Markt bringen kann, und hat in Erwartung dessen ein Werk errichtet. Noch bevor die Technologie reif war, aber auch rechtzeitig genug, um im Falle einer Massenproduktion entsprechend gewappnet zu sein.
Teuer und komplex
Das mag mitunter ungewöhnlich erscheinen. „Aber wenn sich eine Entwicklungspartnerschaft mit Apple anbietet, wird es wahrscheinlich wenige Firmen geben, die ablehnen“, sagt Erste-GroupAnalyst Daniel Lion. „Denn sobald man ins Ökosystem des US-Konzerns rutscht, hat man einen riesigen Hebel.“Bei Smartphones mit Endkundenpreisen von über 600 Dollar liefert Apple schließlich über zwei Drittel aller global verkauften Geräte aus. Nun dürfte es Analysten zufolge aber so gewesen sein, dass ein Zulieferer von Apple, der Teil der Micro-LED-Wertschöpfungskette war, es nicht geschafft haben dürfte, den Herstellungsprozess ausreichend zu optimieren, sodass sich Skaleneffekte, also sinkende Produktionskosten, ergeben. Möglicherweise habe Apple deshalb die Reißleine gezogen. Und vielleicht glaubt Apple derzeit auch nicht daran, die noch neue und teure Micro-LED-Technologie verkaufen zu können.
Normalerweise lautet das Ziel, so Vontobel-Analyst Mark Diethelm, dass die Kosten einer derartigen Fabrik jährlich als Umsatz wieder herauskommen. „Das Problem ist, dass es bei Micro-LEDs einen Pionier braucht, der loslegt, um das gesamte Ökosystem in Gang zu bringen“, sagt Diethelm. Ursprünglich wäre der Start der Micro-LEDProduktion bei AMS Osram schon für 2023 geplant gewesen, hat sich jedoch immer wieder verzögert. Am Tag bevor Apple seinen Auftrag an AMS Osram storniert hat, gab es im Übrigen auch die Einstellung seines E-Autos bekannt.
Micro-LEDs sind so klein, dass man die Sensoren direkt im Display platzieren kann. Ihr Ener
gieverbrauch ist um die Hälfte geringer, das Display deutlich besser. Samsung hat auf der Elektronikmesse CES zu Jahresbeginn ein transparentes Micro-LED-Display präsentiert. Für Displays in der Größe einer Apple Watch ist die Fertigung allerdings noch einmal deutlich komplexer.
Fabrik ohne Inhalt
AMS Osram hat eigens für seine Micro-LED-Technologie eine Fabrik im malaysischen Kulim hochgezogen und inklusive Forschung 1,3 Mrd. Euro investiert. Jetzt scheint das Werk überflüssig, einen anderen Kunden habe man nämlich nicht. Was nun dazu führt, dass vermutlich zwischen 600 und 900 Mio. Euro abgeschrieben werden. Das entspricht in etwa der erst kürzlich durchgeführten Kapitalerhöhung (von 800 Mio. Euro).
Apple selbst hat in Summe drei Mrd. Euro in die Entwicklung von Micro-LEDs gesteckt, bei einem Quartalsgewinn von zuletzt 33,9 Mrd. Dollar aber ein praktisch zu vernachlässigender Betrag.
Laut Analyst Lion wird die Stornierung des Auftrags nun auch dazu führen, dass die Micro-LEDTechnologie für die nächsten zwölf bis 24 Monate ausgebremst wird.
Ob AMS Osram nun Pönalzahlungen von Apple erhält, darüber lässt sich nur spekulieren. Man kommentiere Vertragsbedingungen nicht, heißt es von AMS Osram zur „Presse“. Doch laut Lion ist es durchaus möglich, dass Kompensationszahlungen über bereits bestehende Programme fließen werden. Möglicherweise werde das Unternehmen auch für künftige Aufträge besser bezahlt – als Entschädigung sozusagen. Laut Lion dürfte AMS Osram von Apple einen Auftrag für den Umgebungslichtsensor des iPhone zurückgewonnen haben, der ab der zweiten Jahreshälfte im iPhone 16 eingebaut wird.
Apple macht laut Lion derzeit zehn Prozent des Gesamtumsatzes von AMS Osram aus, der sich 2023 auf rund 3,6 Mrd. Euro belief. Und auch wenn Micro-LEDS bis zum Jahr 2026 ohnehin nur 200 Mio. Euro zum AMS-Umsatz beigetragen hätten, scheint es, als ob die Aktionäre genug hätten.
Am Tag der Stornobekanntgabe stürzte die Aktie um über 40 Prozent ab, auf Einjahressicht ist die Aktie 65 Prozent im Minus. Seit der Übernahme von Osram im Jahr 2019 gab es nämlich nur bedingt gute Nachrichten.