Josefstadt-Direktor: „Kickl soll gern zur Premiere kommen“
Theater in der Josefstadt. Herbert Föttingers letzte Inszenierung als Direktor gilt einem Stück über das Ende der Ersten Republik. Mit der „Presse“sprach er über Austrofaschismus und FPÖ, Publikumsschwund und die Zukunft des Theaters.
Die Presse: Sie sind noch bis 2026 Direktor. Jetzt hört man aber, dass „Leben und Sterben in Wien“Ihre letzte Inszenierung in Ihrer Direktionszeit sein soll. Stimmt das? Herbert Föttinger: Ja. Ich will den anderen Regisseuren und Regisseurinnen Platz geben, die mich begleitet haben. Sie sollen alle noch einmal inszenieren können. Da trete ich gern einen Schritt zurück.
Sie inszenieren also Thomas Arzts Stück über das 34er-Jahr.
Ja, wobei die Zeitspanne in diesem Stück größer ist. Es beginnt zur Zeit des Prozesses um Schattendorf und des Justizpalastbrands 1927, dann springt es auf 1933, das Jahr der Auflösung des Parlaments durch Dollfuß, dann zum Bürgerkrieg 1934 und zur Auflösung der Sozialdemokratie als Partei. Das Stück wirft einen genauen Blick darauf, wie es zum Austrofaschismus kommen konnte.
Es gibt Historiker, die gegen die Bezeichnung des Ständestaats als Faschismus sind. Soll man auf sie Rücksicht nehmen?
Nein. Man muss die Dinge beim Namen nennen. Die Christlichsozialen waren damals vom faschistischen System Mussolinis begeistert. Der Ständestaat war ein faschistisches Gebilde. Das wurde nach dem Zweiten Weltkrieg verdrängt : Man hat nur zu gern die Rolle als erstes Opfer Hitlers eingenommen, über die Zeit davor hat man nicht so gern gesprochen. Dann kam die große Koalition: Da war es opportun, die Auseinandersetzungen zwischen Christlichsozialen und Sozialdemokraten auszublenden.
Und jetzt, 90 Jahre nach 1934, soll man sie also wieder aufarbeiten?
Unbedingt. Auch im Theater. Mich hat dieses Kapitel der Geschichte immer sehr interessiert, genau weil es so ausgeblendet worden ist. Ich trage mich seit zehn Jahren mit dem Gedanken: Kann man nicht endlich ein Stück schreiben, das diese Zeit behandelt? Es gibt da nicht so viel. Horváth hat versucht, einen Roman darüber zu schreiben, aber der ist ein Fragment geblieben. Turrini hat in einer Episode seiner „Alpensaga“das Thema angeschnitten. Und es gab die „Staatsoperette“, den TV-Film von Franz Novotny. Der war damals, 1977, ein riesiger Skandal. Aber eine richtige literarische Aufarbeitung am Theater gab es bisher nicht.
Das Akademietheater hat letztes Jahr „Die Eingeborenen von Maria Blut“nach dem Roman von Maria Lazar gespielt.
Ja, gewiss. Aber was Thomas Arzt gemacht hat, ist eine genauere Betrachtung. Auch der Fragen: Wie kann es passieren, dass eine Demokratie aufgelöst wird? Wie fühlte sich das an, diese Zwischenkriegszeit, die ja geprägt war von Kämpfen zwischen Schutzbund und Heimwehr? Wo schon ab 1920 immer die Christlichsozialen mit Unterstützung der Deutschnationalen den Bundeskanzler gestellt haben. Wo die Sozialdemokraten nie an die Macht gekommen sind, außer in Wien, obwohl sie immer die stärkste Partei waren. Sie wollten halt, und das ist schon auch ihr Versäumnis, keine Koalition mit den Christlichsozialen eingehen.
Um eine solche Koalition in der Zweiten Republik zu ermöglichen, hat sich die These von der geteilten Schuld durchgesetzt.
Die nicht zutrifft: Das Parlament haben schon die Christlichsozialen aufgelöst.
Die Josefstadt galt lang als das bürgerliche Theater Wiens, auch im politischen Sinn. Das heißt auch: viele ÖVP-Anhänger im Publikum. Stößt man die vor den Kopf, wenn man sie so klar mit der Schuld ihrer Vorgängerpartei konfrontiert?
Ich schätze das Publikum des Theaters in der Josefstadt sehr. Es ist ein offenes, kluges Publikum, und insofern kann ich mir nicht vorstellen, dass sich jemand vor den Kopf gestoßen fühlt, wenn man einen historischen Stoff am Theater zeigt. Thomas Arzt hat sehr genau recherchiert, wir stellen niemanden an den Pranger, sondern versuchen mittels ei
ner literarischen Geschichte historische Aufarbeitung zu betreiben.
Aber ÖVP-Anhänger sind bei Ihnen willkommen, nehme ich an. FPÖler auch?
Selbstverständlich. Scharenweise! Ich würde mich freuen, schon weil ich glaube, dass humanistische Bildung, die das Theater nun mal auch betreibt, der FPÖ nicht schaden würde.
Sie würden also nicht, wie es die Berlinale mit AfD-Vertretern getan hat, FPÖ-Repräsentanten ausladen?
Nein! Die sollen nur hereinkommen. Von mir aus soll auch Herbert Kickl gern zur Premiere kommen. Vielleicht kann er ein bisschen was lernen. Wie gesagt: Aus der Geschichte lernen schadet nie.
Das ist eigentlich eine offizielle Einladung, schließlich liest Kickl sicher „Die Presse“.
Er möge kommen. Ich würde ihn nur gern vorab in der Kantine treffen, um ihm zu sagen, dass er nicht hier ist, um sich ein Beispiel an Dollfuß zu nehmen, sondern um zu sehen, wie fatal das Streben nach autoritärer Staatsführung schon einmal geendet hat.
Würden Sie ihm auch Turrinis „Bis nächsten Freitag“empfehlen?
Auch das – wie jedes Stück Literatur. Ich lade ihn ein, seine Parteikollegen, seine Anhänger. Ausgrenzung ist immer ein Fehler.
Zurück zum Image der Josefstadt als bürgerliches Theater. Früher galt das Volkstheater quasi als deren Antipode. Ich habe manchmal das Gefühl, das Theater in der Josefstadt hat allmählich einige Rollen des Volkstheaters übernommen.
Das Gefühl haben Sie vermutlich, weil die Josefstadt politischer geworden ist. Weil hier nun eher Stücke wie Kehlmanns „Die Reise der Verlorenen“gespielt werden als Hofmannsthals „Der Unbestechliche“.
Also haben Sie dem Volkstheater das Publikum weggenommen? Oder sind Sie eingesprungen, weil das Publikum vom Volkstheater enttäuscht war?
Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich glaube nicht, dass die Abonnenten des Volkstheaters in größerer Menge zur Josefstadt übergelaufen sind. Wir sind ganz generell am Sprechtheater seit der Pandemie mit einem größeren Publikumsverlust konfrontiert. Auch die Josefstadt ist für meine Begriffe nicht gut genug ausgelastet! Für mich sind 80 Prozent Auslastung, auch wenn andere davon träumen würden, kein gutes Ergebnis. Ich hatte immer eine Auslastung von 90 Prozent. Ich will, dass mein Theater voll ist.
Die Opernhäuser leiden deutlich weniger unter Publikumsschwund.
Da ist die Konkurrenz durch Streaming geringer. Ich kenne keine Serie, wo 24 Folgen lang Oper gemacht wird.
Auch Ihre Kammerspiele haben sich stark verändert. Früher gab es dort Boulevardkomödien, heute spielt man Ionesco, Brecht, Tschechow. Wie geplant war diese Wandlung?
Sehr geplant! Weil ich weiß, dass es diese Form von Boulevardtheater nicht mehr gibt. Das ist vorbei. „Pension Schöller“, „Charleys Tante“, „Die spanische Fliege“, „Boeing-Boeing“, das geht nicht mehr. In keinem Theater im ganzen deutschen Sprachraum. Es gibt auch nur mehr ganz wenige Autoren, die solche Stücke schreiben. Wenn ich einen neuen Glattauer herausbringe, freuen sich alle Theater, weil es dann wieder ein hochwertiges Well-Made-Play zu spielen gibt.
Könnte es sein, dass der Humor der Menschen gescheiter geworden ist?
Ich denke, die Sucht nach Schwänken wird heute einfach von anderen Medien befriedigt. Es gibt ja auch tolle, lustige Serien. Dieselbe Entwicklung finden wir auch im englischsprachigen Raum: Das Well-Made-Play ist nicht mehr so präsent wie noch vor 30 Jahren. Das waren ja keine schlechten Stücke, „The King’s Speech“etwa ist sehr gut. Viele Autoren, David Memet etwa, sind zu den großen Streamingdiensten abgewandert.
Vor fünf, zehn Jahren sprachen noch alle von der Erschließung neuer Publikumsschichten. Was ist daraus geworden?
Ich glaube, man muss einmal an die Rückholung der alten Publikumsschichten denken! Wie kann man die wieder ins Theater bringen? Beim Musiktheater ist es anders, das ist einzigartiger.
Das könnte auch daran liegen, dass die Oper garantiert, dass das Stück gespielt wird, das angekündigt ist. Zumindest in Text und Musik. Würden Sie sich zur Texttreue bekennen?
Total! Ich bin kein Freund von Überschreibungen. Auch nicht von Zertrümmerungen. Ich glaube an das Wort. Ich glaube an den Dichter, ich glaube an das dichterische Werk. Das heißt nicht, dass man es altmodisch inszenieren muss, überhaupt nicht. Aber das Wort, die Geschichte müssen im Mittelpunkt stehen. Mich interessiert der Originaltext.
Also Frank Castorf wird in der Josefstadt eher keine späte Heimat finden, wie Peymann sie gefunden hat?
Ausnahmen bestätigen die Regel: her mit Castorf!
Sogar mit zusätzlichen Texten?
Wenn sie gut sind … Ich bin ja ein toleranter Direktor.
Sind Sie mit der Kulturpolitik zufrieden? Oder sollte sie stärker regulierend eingreifen?
Nein. Ich glaube noch an die Kraft des Theaterdirektors. Der weiß schon, was er zu tun hat. Oder der Theaterdirektorin, um das klar dazuzusagen.
Womit wir bei der Frage Ihrer Nachfolge wären. Werden Sie da mitreden?
Nein, das ist die Aufgabe des Stiftungsvorstandes, es wird eine Findungskommission erstellt. Ich kann nur sagen: Dieses Theater ist ein wichtiges österreichisches Theater. Vielleicht ist es gut, wenn es in österreichischen Händen bleibt – und nach 230 Jahren erstmals eine Direktorin bekommt.
Sie sind selbst immer Schauspieler geblieben. Gibt es eine Rolle, die Sie noch gern spielen wollen?
Nein. Nicht einmal den Faust?
Nein. Was ich mir wünsche, ist einmal eine kurze Auszeit. Ein halbes Jahr nichts tun.
Aber in Wien bleiben? Auf keinen Fall!
Premiere: „Leben und Sterben in Wien“von Thomas Arzt, 7. März im Theater in der Josefstadt. Mit Katharina Klar, Johanna Mahaffy, Günter Franzmeier, Ulli Maier u.v.a.