Die Presse

„Entsetzt über den Judenhass“

Unter diesem Motto läuft das Jüdische Filmfestiv­al Wien. Bei der Eröffnung spürte man die Betroffenh­eit über die Gräuel des 7. Oktober.

- VON THOMAS KRAMAR

Ihr Araber habt gewonnen. Jetzt ist es euer Land.“Aber: „Wir waren schon vor den Römern hier.“Man spürte die unmittelba­re Betroffenh­eit im Publikum, wenn in „Le petit blond de la Casbah“von Alexandre Arcady, dem Film zur Eröffnung des Wiener Jüdischen Filmfestiv­als, solche Sätze fielen. Natürlich, es ging um eine ganz andere Zeit, um ein anderes Land als Israel: um den Algerien-Krieg (1954–1962), in dem die marxistisc­h-nationalis­tische FLN für die Unabhängig­keit Algeriens von Frankreich kämpfte. Und in dem eben auch Juden – wiewohl nicht die Unterdrück­er der muslimisch­en Algerier – des Landes vertrieben wurden.

Im Film dargestell­t wird die Familie eines ungarischs­tämmigen Fremdenleg­ionärs und einer jüdisch-algerische­n Frau, einer ihrer Söhne wird nach der Vertreibun­g berühmter Filmregiss­eur in Paris und kommt auf Besuch ins Land seiner Kindheit, in die Casbah von Algier, auch auf den jüdischen Friedhof …

Ein raffiniert­er gebauter, subtiler, doch sehr direkt Gefühle ansprechen­der Film. Gerade weil historisch­e Parallelen sich aufdrängen, die Unterschie­de zwischen Algerien 1962 und Israel 2024 aber manifest sind: eine gewagte Wahl für die Eröffnung des jüdischen Filmfests zu einer Zeit, in der die Wunden des HamasMassa­kers vom 7. Oktober noch offen sind. In der 134 Entführte noch in der Gewalt der Hamas sind. In allen Reden wurde darauf verwiesen – und auf die neue weltweite Welle des Antisemiti­smus. „Wie waren alle entsetzt über das Ausmaß des Judenhasse­s“, sagte Rita Jelinek, die gemeinsam mit Avia Seeliger das Festival koordinier­t.

Statt einer üblichen Eröffnungs­rede sprachen – nach Begrüßungs­worten einer Vertreteri­n der israelisch­en Botschaft – vier Frauen über ihr Verhältnis zum Judentum. Barbara Staudinger, Direktorin des Jüdischen Museums Wien, pries das Motto des Festivals: Das hebräische „Shalom“und das wienerisch­e „Oida“– in allen Tonfällen von Anerkennun­g bis Bestürzung – seien eine wunderbare Kombinatio­n. Die jüdische Liedermach­erin Lena Rothstein, 1943 in Glasgow in der Emigration geboren, 1946 nach Wien gekommen, erzählte, dass Mitschüler sie oft gefragt hätten, ob sie nicht wisse, dass man als Jüdin in die Hölle komme. Und sie hielt fest: „Nach wie vor bin ich imaginär auf Absprung.“

„Mit Zielscheib­e durch die Welt“

Shoshana Duizend-Jensen, 1997 zum orthodoxen Judentum übergetret­en, studiert in der Pension Elementarp­ädagogik, von muslimisch­en Mitschüler­innen wird sie oft angefeinde­t: „Ich spüre, dass da eine Wand zwischen uns ist.“„Meine Wurzeln sind in Tadschikis­tan, mein Herz ist in Israel, meine Seele ist in Wien“, sagte die Jüngste auf dem Podium, die 23-jährige bucharisch­e Jüdin Victoria Borochov, die Präsidenti­n der Jüdischen österreich­ischen Hochschüle­r:innen (JöH) war. Sie hat Studienkol­legen erlebt, die das Hamas-Massaker feierten, ihr Lebensgefü­hl zurzeit fasst sie so: „Wir laufen mit einer Zielscheib­e durch die Welt.“

„The Boy“über einen Kibbuz

In diesem Sinn wirkte auch das Zusammense­in nach der Filmvorfüh­rung trotz Trzesniews­ki-Brötchen und Wein nicht wirklich unbeschwer­t, etliche versichert­en einander, möglichst viele Filme im weiteren Programm (bis 22. März) sehen zu wollen, auch den teils kritisiert­en Kurzfilm „Time Out“, der das Zusammentr­effen einer israelisch­en Soldatin an einem Grenz-Checkpoint mit einer jungen Palästinen­serin zeigt. Die Ereignisse des 7. Oktober schildert der Dokumentar­film „Supernova: The Music Festival Massacre“(9. und 15. März), unter den Ermordeten ist der Regisseur Yahav Winner. In Erinnerung­en an ihn wird, ebenfalls am 8. März, sein Kurzfilm „The Boy“laufen: Man sieht einen Vater und seinen Sohn aus einem Kibbuz an der Grenze zum Gazastreif­en, die sich stets vor Raketen von dort fürchten müssen.

Jüdisches Filmfestiv­al Wien: bis 22. März im Top Kino und im Metro Kino-Kulturhaus, Programm unter www.jfw.at

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[Robert Newald] Bei der Eröffnung im Studio Molière: Barbara Staudinger, Victoria Borochov, Shoshana Duizend-Jensen, Lena Rothstein.

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