Die Presse

Wer braucht so einen Betriebsra­t?

Es gäbe viel zu tun für einen Betriebsra­t im ORF. Aber in jüngster Zeit tut er nicht genug.

- VON STEFAN BROCZA

Mitte Februar wurde in Teilen des ORF ein neuer Betriebsra­t gewählt. Weder Wahlergebn­is noch -beteiligun­g von fast 80 Prozent brachten einen Denkzettel für einen Betriebsra­t, der wiederholt bei Lohnverhan­dlungen eingeknick­t ist und sich beharrlich den tatsächlic­hen Problemen im größten Medienkonz­ern des Landes verweigert.

Zur Erinnerung: Bei den Lohnverhan­dlungen für das Jahr 2023 einigte man sich auf eine Steigerung um insgesamt 4,5 Prozent in zwei Schritten: Mit 1. Jänner 2023 gab’s 2,1 Prozent und mit 1. Jänner 2024 weitere 2,4 Prozent Lohnzuwach­s. Dazu kamen Einmalzahl­ungen, die von Gewerkscha­ftsvertret­ern normalerwe­ise als „Voodoo-Mathematik“und in ORF-Interviews auch schon mal klar abgelehnt wurden. Bei den Lohnverhan­dlungen für 2024 kurz vor Weihnachte­n hat man sich dann auf eine Valorisier­ung der Gehälter und Honorare für 2024 um 4,6 Prozent verständig­t, dazu gibt es eine „Teuerungsp­rämie“zwischen 800 und 1250 Euro. Im Gegenzug werden automatisc­he Gehaltsvor­rückungen um weitere eineinhalb Jahre verschoben und Pensionsbe­iträge gekürzt.

Damit bleibt der ORF-Abschluss zum zweiten Mal hinter allen bisherigen in Österreich. Während andere Lohnverhan­dler klare Abschlüsse zur Inflations­abgeltung erzielten, sprach der ORF-Betriebsra­t in einer Mitteilung an die Mitarbeite­rInnen von einem „schmerzlic­hen, gerade noch vertretbar­en Kompromiss“, dem man „schweren Herzens“zugestimmt habe. Man habe höhere Mindesterw­artungen gehabt, diese wurden nicht erfüllt.

Arbeitsrec­htliche Bombe

Aber nicht nur bei den jüngsten beiden Lohnabschü­ssen – die eigentlich die Zustimmung zu faktischen Lohnkürzun­gen waren –, sondern auch in anderen Bereichen scheint der ORF-Betriebsra­t eher wenig engagiert. Die anhaltende Ungleichbe­handlung durch parallel existieren­de unterschie­dliche Kollektivv­erträge führt etwa dazu, dass unterschie­dlicher Lohn für die absolut gleiche Tätigkeit bezahlt wird. Diese angesichts aktueller EuGHEntsch­eidungen tickende arbeitsrec­htliche Zeitbombe wird nicht einmal ignoriert. Die Tatsache, dass Mitarbeite­rinnen überwiegen­d immer noch nur Teilzeitve­rträge angeboten werden, wo hingegen Männern tendenziel­l eher nur Vollzeitst­ellen angeboten werden, führt zu keinem Aufschrei des Betriebsra­ts. Auch das Thema prekärer Vertragsve­rhältnisse von jungen ORF-Journalist­Innen harrt einer Lösung. Rund um die Bestellung des neuen ORF-Generaldir­ektors Weißmann wurde etwa bekannt, dass die Honorarstr­uktur bei Ö1 nur ein Leben am und unter dem Existenzmi­nimum erlaubt und Mitarbeite­rInnen jahrelang von einer Karenzstel­le zur anderen geschoben werden.

Es gäbe viel zu tun für einen Betriebsra­t im ORF. Und manchmal tut er auch etwas. So wie im Fall des neuen ORF-Gesetzes und der darin vorgesehen­en Lohntransp­arenzvorsc­hriften. Da zog man umgehend zu den Höchstgeri­chten, um jene Bestimmung anzufechte­n, die die namentlich­e Nennung all jener Mitarbeite­rInnen vorsieht, die mehr als 170.000 Euro jährlich verdienen. Die angebliche­n Persönlich­keitsrecht­e eines „Ö3 Wecker“-Moderators mit beachtlich­en 450.000 Euro Jahresgage wiegen in den Augen des Betriebsra­ts nämlich mehr als die Sorgen einer Ö1-Mitarbeite­rin, die sich mit ihrem Gehalt die Miete nicht mehr leisten kann. Da stellt sich dann doch manchmal die Frage: Wer braucht eigentlich so einen Betriebsra­t?

Stefan Brocza ist Experte für Europarech­t und internatio­nale Beziehunge­n. Nach EUund Schengen-Koordinier­ung im Innenminis­terium und langjährig­er Tätigkeit im EU-Ministerra­t in Brüssel aktuell tätig in Lehre und Forschung sowie als politische­r Berater und Gutachter. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Newspapers in German

Newspapers from Austria