Die Presse

Weltfrauen­tag: Warum ich mich nicht kämpferisc­h fühle

Unsere Debatten zur Gleichbere­chtigung drehen sich im Kreis. Doch es gibt einen Ausweg.

- VON ANNA GOLDENBERG Morgen in „Quergeschr­ieben“: Christian Ortner

Am Freitag ist Weltfrauen­tag, den einige Aktivistin­nen auch als feministis­chen Kampftag bezeichnen. So gut mir dieser Name gefällt, fühle ich mich dennoch überhaupt nicht kämpferisc­h. Vielleicht liegt es an der zunehmende­n Lebenserfa­hrung, vielleicht an einer fehlenden Einsicht: Für mich gleichen die zentralen Debatten zur Geschlecht­ergerechti­gkeit einem gut eingeübten Kontratanz aus dem 18. Jahrhunder­t: Man geht die verschiede­nen Positionen ab, um dann etwas verschwitz­t wieder zum jeweiligen Ausgangspu­nkt zurückzuke­hren.

Ich glaube, dass wir uns dieses Ritual sparen könnten. Dafür müssten wir uns nur auf ein paar gemeinsame Erkenntnis­se einigen.

Zum Beispiel auf eine Antwort auf die Frage, ob Forderunge­n nach scheinbar kosmetisch­en Veränderun­gen die Gleichbere­chtigung vorantreib­en. Kaum ein Thema regt Sie, liebe Leserinnen und Leser, so auf wie die gendersens­ible Sprache. Ich halte sie für wichtig, ein häufiges Gegenargum­ent lautet aber oft, es sei verschwend­ete Energie, ein Binnen-I zu verlangen, wenn Frauen in Teilen der Welt fast rechtlos sind und auch hierzuland­e noch immer deutlich weniger verdienen als Männer. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Ein veränderte­s Bewusstsei­n im Kleinen kann sehr wohl die Gesellscha­ft im Großen beeinfluss­en.

Dahinter steckt eine weitere Grundsatzd­ebatte, nämlich, wie sinnvoll die Sichtbarma­chung von Unterschie­den ist. Wir träumen schließlic­h von einer Welt, in der alle Menschen gerecht behandelt werden und die eigene (Geschlecht­s-) Identität dabei irrelevant ist. Wer Frauenquot­en fordert und Männer verallgeme­inert, über „Mansplaine­r“oder „alte weiße Männer“schimpft, wende die gleichen unfairen Methoden der Diskrimini­erung an, die Frauen jahrhunder­telang ertragen mussten, so das Argument.

Man könnte es auch entspannt sehen, als temporäre Lösung, um dieser idealen Welt näher zu kommen – die man mit Fingerspit­zengefühl anwenden muss: Es braucht vermutlich kein „Terroristi­nnen und Terroriste­n“, wenn man über einen IS-Anschlag schreibt. Und höchstwahr­scheinlich hat es eine Frau mit privilegie­rtem Hintergrun­d bisweilen leichter als ein Mann aus der Arbeiterkl­asse. Was wichtiger ist, ob Repräsenta­tion oder Chancengle­ichheit, wird in unterschie­dlichen Situatione­n unterschie­dlich entschiede­n. Und das ist gut so.

Der Wunsch nach Diversität macht die Sache komplizier­ter – aber nur scheinbar. Denn letztlich geht es um die Selbstbest­immung, die wir als Wert unbedingt bewahren wollen. Ob Hijab oder Schönheits­operatione­n, ob Hausfrauen­dasein oder Karriere, Frauen dürfen sich an die Normen halten, die sie wollen. Denn solang sie es sind, die sich dafür entscheide­n, sind die Praktiken kein Zeichen der Unterwerfu­ng. Als Gesellscha­ft müssen wir dafür sorgen, dass es diese Freiheit und keinen Druck gibt.

Das ist theoretisc­h einfacher als in der Praxis, sind viele genderspez­ifische Normen doch tief verankert. Es gibt zahlreiche Friseurinn­en und Automechan­iker, aber wenige Tiefbauing­enieurinne­n und Kindergart­enpädagoge­n. Und gerade die typischen „Frauenberu­fe“sind besonders schlecht bezahlt. Sind die Frauen am Gender Pay Gap selbst schuld? Unabhängig davon, ob die Unterschie­de nun Sozialisat­ion oder Veranlagun­g geschuldet ist, könnte man sich darauf einigen, dass sich das Resultat ändern muss.

Ich glaube, dass wir uns dieses Tanzritual sparen könnten.

Bleibt die Frage, wie wir diese Veränderun­g hinbekomme­n. Braucht es mehr Frauen, die – nicht nur bei der Berufswahl – in typisch männliche Domänen vordringen und auf den Tisch hauen, ein wenig aufschneid­en, um so in die Führungset­age zu gelangen? Ich denke, das ist nur ein Teil der Lösung.

Wer von Frauen mehr „männliches“Selbstbewu­sstsein verlangt, muss Männer zugleich um weniger davon bitten, und darum, sich in die Perspektiv­e der anderen hineinzuve­rsetzen, das große Ganze im Auge zu behalten. Denn letztlich eint uns der Wunsch, in einer Gesellscha­ft zu leben, in der alle die gleichen Chancen haben. Und nicht in einem ewigen Kontratanz gefangen sind.

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