Weltfrauentag: Warum ich mich nicht kämpferisch fühle
Unsere Debatten zur Gleichberechtigung drehen sich im Kreis. Doch es gibt einen Ausweg.
Am Freitag ist Weltfrauentag, den einige Aktivistinnen auch als feministischen Kampftag bezeichnen. So gut mir dieser Name gefällt, fühle ich mich dennoch überhaupt nicht kämpferisch. Vielleicht liegt es an der zunehmenden Lebenserfahrung, vielleicht an einer fehlenden Einsicht: Für mich gleichen die zentralen Debatten zur Geschlechtergerechtigkeit einem gut eingeübten Kontratanz aus dem 18. Jahrhundert: Man geht die verschiedenen Positionen ab, um dann etwas verschwitzt wieder zum jeweiligen Ausgangspunkt zurückzukehren.
Ich glaube, dass wir uns dieses Ritual sparen könnten. Dafür müssten wir uns nur auf ein paar gemeinsame Erkenntnisse einigen.
Zum Beispiel auf eine Antwort auf die Frage, ob Forderungen nach scheinbar kosmetischen Veränderungen die Gleichberechtigung vorantreiben. Kaum ein Thema regt Sie, liebe Leserinnen und Leser, so auf wie die gendersensible Sprache. Ich halte sie für wichtig, ein häufiges Gegenargument lautet aber oft, es sei verschwendete Energie, ein Binnen-I zu verlangen, wenn Frauen in Teilen der Welt fast rechtlos sind und auch hierzulande noch immer deutlich weniger verdienen als Männer. Aber das eine schließt das andere nicht aus. Ein verändertes Bewusstsein im Kleinen kann sehr wohl die Gesellschaft im Großen beeinflussen.
Dahinter steckt eine weitere Grundsatzdebatte, nämlich, wie sinnvoll die Sichtbarmachung von Unterschieden ist. Wir träumen schließlich von einer Welt, in der alle Menschen gerecht behandelt werden und die eigene (Geschlechts-) Identität dabei irrelevant ist. Wer Frauenquoten fordert und Männer verallgemeinert, über „Mansplainer“oder „alte weiße Männer“schimpft, wende die gleichen unfairen Methoden der Diskriminierung an, die Frauen jahrhundertelang ertragen mussten, so das Argument.
Man könnte es auch entspannt sehen, als temporäre Lösung, um dieser idealen Welt näher zu kommen – die man mit Fingerspitzengefühl anwenden muss: Es braucht vermutlich kein „Terroristinnen und Terroristen“, wenn man über einen IS-Anschlag schreibt. Und höchstwahrscheinlich hat es eine Frau mit privilegiertem Hintergrund bisweilen leichter als ein Mann aus der Arbeiterklasse. Was wichtiger ist, ob Repräsentation oder Chancengleichheit, wird in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich entschieden. Und das ist gut so.
Der Wunsch nach Diversität macht die Sache komplizierter – aber nur scheinbar. Denn letztlich geht es um die Selbstbestimmung, die wir als Wert unbedingt bewahren wollen. Ob Hijab oder Schönheitsoperationen, ob Hausfrauendasein oder Karriere, Frauen dürfen sich an die Normen halten, die sie wollen. Denn solang sie es sind, die sich dafür entscheiden, sind die Praktiken kein Zeichen der Unterwerfung. Als Gesellschaft müssen wir dafür sorgen, dass es diese Freiheit und keinen Druck gibt.
Das ist theoretisch einfacher als in der Praxis, sind viele genderspezifische Normen doch tief verankert. Es gibt zahlreiche Friseurinnen und Automechaniker, aber wenige Tiefbauingenieurinnen und Kindergartenpädagogen. Und gerade die typischen „Frauenberufe“sind besonders schlecht bezahlt. Sind die Frauen am Gender Pay Gap selbst schuld? Unabhängig davon, ob die Unterschiede nun Sozialisation oder Veranlagung geschuldet ist, könnte man sich darauf einigen, dass sich das Resultat ändern muss.
Ich glaube, dass wir uns dieses Tanzritual sparen könnten.
Bleibt die Frage, wie wir diese Veränderung hinbekommen. Braucht es mehr Frauen, die – nicht nur bei der Berufswahl – in typisch männliche Domänen vordringen und auf den Tisch hauen, ein wenig aufschneiden, um so in die Führungsetage zu gelangen? Ich denke, das ist nur ein Teil der Lösung.
Wer von Frauen mehr „männliches“Selbstbewusstsein verlangt, muss Männer zugleich um weniger davon bitten, und darum, sich in die Perspektive der anderen hineinzuversetzen, das große Ganze im Auge zu behalten. Denn letztlich eint uns der Wunsch, in einer Gesellschaft zu leben, in der alle die gleichen Chancen haben. Und nicht in einem ewigen Kontratanz gefangen sind.