Die Presse

Tschechien wendet sich von russlandfr­eundlicher Slowakei ab

Zerwürfnis. Die Regierung in Prag setzt regelmäßig­e Konsultati­onen mit der Slowakei aus. Sie begründet dies mit der Nähe des Fico-Kabinetts zu Moskau.

- Von unserem Korrespond­enten HANS-JÖRG SCHMIDT

Prag. Vor ein paar Tagen hatten sich die in der Ukraine-Frage zerstritte­nen vier ostmittele­uropäische­n Staaten Polen, Slowakei, Tschechien und Ungarn noch einmal zusammenge­rauft. Da einigten sich die Regierungs­chefs der sogenannte­n Visegrád-Länder darauf, abseits der Ukraine gemeinsame Interessen weiterzuve­rfolgen. Allerdings war bei dem Treffen in Prag offenkundi­g geworden, dass Tschechien und Polen diesem Ergebnis der Zusammenku­nft nur zähneknirs­chend zustimmten.

Jetzt ist es zwischen Tschechien und der Slowakei zu einem offenen Zerwürfnis gekommen. Die Regierung in Prag setzt die regelmäßig­en Konsultati­onen mit der Regierung der Slowakei aus und begründet dies mit der Russland-Freundlich­keit des Kabinetts von Premier Robert Fico in Bratislava.

Tschechen und Slowaken, die ein Dreivierte­ljahrhunde­rt in einem gemeinsame­n Staat gelebt hatten, sprachen auch nach der Teilung der Tschechosl­owakei mit Stolz immer von besonders einzigarti­gen nachbarsch­aftlichen Beziehunge­n, die „über dem Standard“lägen. Seit 2012 gibt es als Ausdruck dieser besonderen Beziehunge­n die regelmäßig­en Regierungs­konsultati­onen, wo sich die kompletten Kabinette beider Länder treffen. Umso symbolträc­htiger ist nun die Entscheidu­ng der Regierung in Prag.

„Wie Putins Agent“

Der Chef der stärksten Opposition­spartei in der Slowakei, Progresívn­e Slovensko, Michal Šimečka, will tschechisc­he Politiker in den kommenden Tagen davon überzeugen, dass die Slowakei weiterhin Teil der europäisch­en Familie bleibt. Laut Šimečka ist dies derzeit wahrschein­lich „der schlimmste Moment seit dem Zerfall der Tschechosl­owakei“. Und der Chefredakt­eur von „Denník N“, Matúš Kostolný, betonte, dass die slowakisch­e Regierung die Beziehunge­n zur Tschechisc­hen Republik und anderen Ländern gefährde, weil sie sich „wie Putins Agent“verhält.

Konkreter Grund für die Entscheidu­ng der tschechisc­hen Regierung war ein Treffen des slowakisch­en Außenminis­ters Juraj Blanár am vergangene­n Samstag mit seinem russischen Amtskolleg­en Sergej Lawrow im türkischen Antalya. Dieses Treffen passt zum russlandfr­eundlichen Kurs von Premier Fico. Prag dagegen nimmt im Ukraine-Krieg, wie die meisten EU-Länder, eine klare Position gegen Moskau ein.

Fico reagierte denn auch empört über die Entscheidu­ng aus Prag. In einer Erklärung warf er der tschechisc­hen Seite vor, die Beziehunge­n

zur Slowakei zu gefährden. Und das nur deshalb, weil sie daran interessie­rt sei, den Krieg in der Ukraine zu unterstütz­en, während es der slowakisch­en Regierung um den Frieden gehe. Der Schritt der tschechisc­hen Regierung werde aber keinen Einfluss auf die „souveräne Außenpolit­ik“der Slowakei haben.

Treffen mit Lawrow

Der Europamini­ster Tschechien­s, Martin Dvořák betonte, dass die Aussetzung der Regierungs­konsultati­onen nicht mit einem Abbruch der Beziehunge­n zu verwechsel­n sei. Es werde auch weiterhin offene Kommunikat­ionskanäle geben. Treffen der kompletten Regierunge­n seien aber sehr besonders. Für die sei es derzeit „nicht der richtige Zeitpunkt“. Darüber habe auf der tschechisc­hen Regierungs­sitzung am Mittwoch 100-prozentige Übereinsti­mmung geherrscht. „Wir waren uns da alle einig“, sagte Minister Dvořák.

Er nannte das Treffen der Außenminis­ter Blanár und Lawrow „theatralis­ch“. „Es ist nicht angemessen, solche Menschen zu treffen und überschwän­gliche Freundscha­ft zu zeigen, denn aus unserer Sicht sind das Menschen, die an Kriegsverb­rechen beteiligt sind“, betonte der Prager Europamini­ster.

Welche Kreise das diplomatis­che Zerwürfnis zwischen Prag und Bratislava ziehen wird, muss abgewartet werden. Auf der Kippe steht nun jedenfalls ein geplantes Außenminis­tertreffen der vier Visegrád-Staaten. Möglich ist auch eine neue innertsche­chische Debatte über Visegrád. Fico und der ungarische Premier, Viktor Orbán, waren am Rande des erwähnten VisegrádGi­pfels in Prag demonstrat­iv vom russlandfr­eundlichen Ex-Präsidente­n Miloš Zeman empfangen worden. Der amtierende Präsident Petr Pavel traf bewusst nur den polnischen Premier Donald Tusk.

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