Premier Modi sieht nur „lächelnde Gesichter“in Kaschmir
Der Premier besucht die Region erstmals, nachdem er 2019 deren Autonomie drakonisch beendet hat. Vor Visite ließ er Kritiker festnehmen.
In der indischen Millionenmetropole Srinagar patrouillierten am Donnerstag schwer bewaffnete Polizisten, Soldaten und Paramilitärs. Sie stoppten und durchsuchten Passanten, in der Hauptstadt der ehemals autonomen Provinz Kaschmir habe es mehrere Festnahmen gegeben, murmelte man. Der Grund war der hohe Besuch aus Delhi.
Indiens Premier, Narendra Modi, ignorierte geflissentlich die bedrückende Stimmung, als er sich im vollen Stadion von jubelnden Fans wie ein Popstar feiern ließ. Er klang fast ein bisschen zynisch, als er wenige Stunden nach der Repressionswelle betonte: „Endlich kann man hier frei atmen!“
Der Auftritt gehört zu den heikelsten Modi-Shows vor der Parlamentswahl im Mai, bei der der autoritäre Herrscher als sicherer Sieger
gilt. Die Lage in der Himalaja-Region ist ein Grund für seine Popularität – und zugleich Anlass für massive Kritik von Menschenrechtsorganisationen. Der Hindu-Nationalist hatte im Sommer 2019 den Sonderstatus der mehrheitlich muslimischen Region aufgehoben –, unangekündigt und überraschend. Modi war damals gerade wiedergewählt worden. Im Wahlkampf hatte er Anhängern versprochen, den jahrzehntelangen Kaschmir-Konflikt „für immer“zu lösen. Die muslimisch dominierte Himalaja-Region beanspruchte Pakistan für sich, immer wieder kam es zu gewaltsamen Aufständen.
Indien warf Pakistan vor, Terroristen über Kaschmir nach Indien zu schleusen.
Modis Vorgehen war drakonisch und wurde von vielen Indern begrüßt: Der Premier hob die Verfassung auf, die für mehr als 70 Jahre der Region eine gewisse Selbstständigkeit garantierte, setzte das Parlament ab, sperrte Medien. Politiker, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten verschwanden oder wurden ohne Prozess festgehalten. Delhi schickte Soldaten und Paramilitärs in die Region. Und es drehte für 18 Monate das Internet ab. Kaschmir, das nun direkt aus Delhi verwaltet wurde, war von der Außenwelt abgeschnitten.
Menschenrechtsorganisationen prangern weiterhin massive Verstöße gegen Bürgerrechte an. Amnesty International spricht gar von „drastischer Zunahme der Repression“. Zugleich investiert Indien massiv in die Region: Dank der neuen Regeln dürfen nun auch Menschen, die nicht aus Kaschmir sind, Land dort kaufen. Die malerische Gegend mitten im Himalaja, mit ihren smaragdgrünen Seen, Wiesen und bunten Märkten, soll Touristen anziehen. Einwohner Kaschmirs werfen Modi vor, ihre Ethnie, Kultur und Religion zerstören zu wollen.
Gericht fordert Wahlen
Modis Regierung hat bisher auch ein Urteil des Obersten Gerichts ignoriert, laut dem in Kaschmir Wahlen abgehalten werden müssen. Bis September hat die Regierung Zeit.
Die Visite am Donnerstag war Modis erster Besuch in Kaschmir, seit die autonome Region de facto aufgehört hat, selbstständig zu existieren. Der Premier war zufrieden: „Wir sehen eure lächelnden Gesichter und sind sehr erleichtert, dass ihr so glücklich seid.“