Heikle Partnersuche für die EVP
Die EVP kürte Kommissionschefin Ursula von der Leyen zu ihrer Spitzenkandidatin. Selbst in den eigenen Reihen herrscht jedoch große Skepsis.
Am Küchentisch der Brüsseler Familienwohnung hatte der Vater den Grundstein ihrer tiefen Überzeugung von einem vereinten Europa gelegt; und er wäre heute, viele Jahrzehnte später, stolz auf sie: Mit einer persönlichen Anekdote warb Ursula von der Leyen beim Kongress der Europäischen Volkspartei in Bukarest vor Hunderten Delegierten für ihre Kür zur Spitzenkandidatin. Mit Erfolg: Eine große Mehrheit von 400 Delegierten (89 stimmten mit Nein) wählte die Deutsche zur Frontfrau der EVP für die Europawahl in drei Monaten. Da die EVP sämtlichen Umfragen zufolge Platz eins trotz des Aufstiegs rechtspopulistischer Parteien komfortabel verteidigen wird, wird von der Leyen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weitere fünf Jahre Kommissionschefin bleiben – und das, obwohl sie selbst in den eigenen Reihen als äußerst umstritten gilt. Mit der „Faust in der Tasche“hätte manch Delegierter ihr seine Stimme bei der geheimen Wahl gegeben, erfuhr „Die Presse“aus EVP-Kreisen.
Vielen in der CDU ist die ehemalige Verteidigungsministerin bekanntermaßen zu progressiv – besonders, wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels geht. Die französischen Konservativen von Les Républicains wiederum stoßen sich daran, dass von der Leyen im Jahr 2019 auf Bestreben von Staatspräsident Emmanuel Macron zur Präsidentin der Brüsseler Behörde gekürt wurde
– und versagten ihr, der „Kandidatin der Liberalen“, die Zustimmung.
Um im Chefsessel der Brüsseler Behörde zu bleiben, muss von der Leyen nach geschlagener Wahl auf Vorschlag der Staatsund Regierungschefs vom Europaparlament bestätigt werden. Was nach einem Formalakt klingt, ist 2019 nur mit einer knappen Mehrheit von neun Stimmen gelungen. Die Deutsche setzt deshalb alles daran, sich möglichst breit aufzustellen. Mit der Präsidentin der europaskeptischen EKR-Fraktion, der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, pflegt sie trotz Kritikern ein enges Verhältnis. Auch das Bekenntnis der 65-Jährigen zum Green Deal klingt heute lang nicht mehr so ambitioniert: Bauernproteste in mehreren EU-Ländern haben den Ausschlag gegeben, dass Vorhaben im Bereich Klimaschutz wieder fallen gelassen wurden. Die Stärkung der EU-Wettbewerbsfähigkeit und der Kampf gegen illegale Migration sollen u. a. stattdessen im Fokus ihrer zweiten Amtszeit stehen.
ÖVP will Wogen glätten
Am Vortag des Votums über von der Leyen war in Bukarest das EVP-Wahlmanifest beschlossen worden: Nach der Kontroverse um die Nichtzustimmung der ÖVP war man am Donnerstag darum bemüht, die Wogen zu glätten. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker, der gemeinsam mit Bundeskanzler Karl Nehammer und Europaministerin Karoline Edtstadler zum EVP-Kongress gereist war, sah im Gespräch mit der „Presse“das Problem darin begründet, dass im Manifest zu viele unterschiedliche thematische Pflöcke eingeschlagen wurden, um unterschiedliche Begehrlichkeiten zu befriedigen. „Meine Botschaft an die EVP wäre, das nächste Mal nicht so viel hineinzuschreiben“, empfiehlt Stocker. Man müsse nämlich „den Menschen klar vermitteln, wofür man ist und wofür nicht“.
Mit der Skepsis gegenüber dem EVP-Programm sei man jedenfalls nicht allein gewesen, so Stocker, der auch bei den Delegationen aus Slowenien, der Slowakei und Belgien Bedenken vernommen haben will. Der ÖVPGeneral lieferte gestern noch zwei detailliertere Gründe nach, weshalb sich das Gros der österreichischen Delegierten beim Votum über das Manifest enthalten habe. Der erste heikle Passus war demnach das avisierte Aus des Einstimmigkeitsprinzips bei Sanktionen gegen autoritäre Regime – hier argumentierte Stocker die Enthaltung mit der nach wie vor großen Abhängigkeit der OMV vom russischen Erdgas, die Österreich im Fall einer Sanktionierung der Gasimporte teuer zu stehen kommen würde. Als zweiten Punkt kritisierte er die positive Hervorstreichung der Kernfusion als mögliche „saubere“Energiequelle in einer (angesichts langsamer technologischer Fortschritte noch weit entfernten) Zukunft. Österreich wolle jedenfalls nicht, dass Atomenergie als „wesentliches Mittel zur Dekarbonisierung“anerkannt werde, so Stocker.