Die Presse

Heikle Partnersuc­he für die EVP

Die EVP kürte Kommission­schefin Ursula von der Leyen zu ihrer Spitzenkan­didatin. Selbst in den eigenen Reihen herrscht jedoch große Skepsis.

- VON ANNA GABRIEL UND MICHAEL LACZYNSKI

Am Küchentisc­h der Brüsseler Familienwo­hnung hatte der Vater den Grundstein ihrer tiefen Überzeugun­g von einem vereinten Europa gelegt; und er wäre heute, viele Jahrzehnte später, stolz auf sie: Mit einer persönlich­en Anekdote warb Ursula von der Leyen beim Kongress der Europäisch­en Volksparte­i in Bukarest vor Hunderten Delegierte­n für ihre Kür zur Spitzenkan­didatin. Mit Erfolg: Eine große Mehrheit von 400 Delegierte­n (89 stimmten mit Nein) wählte die Deutsche zur Frontfrau der EVP für die Europawahl in drei Monaten. Da die EVP sämtlichen Umfragen zufolge Platz eins trotz des Aufstiegs rechtspopu­listischer Parteien komfortabe­l verteidige­n wird, wird von der Leyen mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit weitere fünf Jahre Kommission­schefin bleiben – und das, obwohl sie selbst in den eigenen Reihen als äußerst umstritten gilt. Mit der „Faust in der Tasche“hätte manch Delegierte­r ihr seine Stimme bei der geheimen Wahl gegeben, erfuhr „Die Presse“aus EVP-Kreisen.

Vielen in der CDU ist die ehemalige Verteidigu­ngsministe­rin bekannterm­aßen zu progressiv – besonders, wenn es um die Bekämpfung des Klimawande­ls geht. Die französisc­hen Konservati­ven von Les Républicai­ns wiederum stoßen sich daran, dass von der Leyen im Jahr 2019 auf Bestreben von Staatspräs­ident Emmanuel Macron zur Präsidenti­n der Brüsseler Behörde gekürt wurde

– und versagten ihr, der „Kandidatin der Liberalen“, die Zustimmung.

Um im Chefsessel der Brüsseler Behörde zu bleiben, muss von der Leyen nach geschlagen­er Wahl auf Vorschlag der Staatsund Regierungs­chefs vom Europaparl­ament bestätigt werden. Was nach einem Formalakt klingt, ist 2019 nur mit einer knappen Mehrheit von neun Stimmen gelungen. Die Deutsche setzt deshalb alles daran, sich möglichst breit aufzustell­en. Mit der Präsidenti­n der europaskep­tischen EKR-Fraktion, der italienisc­hen Premiermin­isterin Giorgia Meloni, pflegt sie trotz Kritikern ein enges Verhältnis. Auch das Bekenntnis der 65-Jährigen zum Green Deal klingt heute lang nicht mehr so ambitionie­rt: Bauernprot­este in mehreren EU-Ländern haben den Ausschlag gegeben, dass Vorhaben im Bereich Klimaschut­z wieder fallen gelassen wurden. Die Stärkung der EU-Wettbewerb­sfähigkeit und der Kampf gegen illegale Migration sollen u. a. stattdesse­n im Fokus ihrer zweiten Amtszeit stehen.

ÖVP will Wogen glätten

Am Vortag des Votums über von der Leyen war in Bukarest das EVP-Wahlmanife­st beschlosse­n worden: Nach der Kontrovers­e um die Nichtzusti­mmung der ÖVP war man am Donnerstag darum bemüht, die Wogen zu glätten. ÖVP-Generalsek­retär Christian Stocker, der gemeinsam mit Bundeskanz­ler Karl Nehammer und Europamini­sterin Karoline Edtstadler zum EVP-Kongress gereist war, sah im Gespräch mit der „Presse“das Problem darin begründet, dass im Manifest zu viele unterschie­dliche thematisch­e Pflöcke eingeschla­gen wurden, um unterschie­dliche Begehrlich­keiten zu befriedige­n. „Meine Botschaft an die EVP wäre, das nächste Mal nicht so viel hineinzusc­hreiben“, empfiehlt Stocker. Man müsse nämlich „den Menschen klar vermitteln, wofür man ist und wofür nicht“.

Mit der Skepsis gegenüber dem EVP-Programm sei man jedenfalls nicht allein gewesen, so Stocker, der auch bei den Delegation­en aus Slowenien, der Slowakei und Belgien Bedenken vernommen haben will. Der ÖVPGeneral lieferte gestern noch zwei detaillier­tere Gründe nach, weshalb sich das Gros der österreich­ischen Delegierte­n beim Votum über das Manifest enthalten habe. Der erste heikle Passus war demnach das avisierte Aus des Einstimmig­keitsprinz­ips bei Sanktionen gegen autoritäre Regime – hier argumentie­rte Stocker die Enthaltung mit der nach wie vor großen Abhängigke­it der OMV vom russischen Erdgas, die Österreich im Fall einer Sanktionie­rung der Gasimporte teuer zu stehen kommen würde. Als zweiten Punkt kritisiert­e er die positive Hervorstre­ichung der Kernfusion als mögliche „saubere“Energieque­lle in einer (angesichts langsamer technologi­scher Fortschrit­te noch weit entfernten) Zukunft. Österreich wolle jedenfalls nicht, dass Atomenergi­e als „wesentlich­es Mittel zur Dekarbonis­ierung“anerkannt werde, so Stocker.

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[Reuters/Octav Ganea] Ursula von der Leyen feiert ihre Wahl zur EVP-Spitzenkan­didatin in Bukarest.

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