Tanners Aussagen „schaden Österreichs Image im Ausland“
Im Rahmen der EU-Beistandspflicht könne Österreich nur „humanitäre Hilfe“leisten, sagte Ministerin Tanner in Interview. Völkerrechtler widersprechen, Sicherheitsexperte Walter Feichtinger warnt vor Ansehensverlust im Ausland.
Wie Österreich im Fall eines Angriffs auf einen EU-Mitgliedstaat reagieren würde, dazu hielt sich die heimische Politik bisher bedeckt. In einem Interview mit der Wochenzeitung „Falter“erklärte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) nun, dass sich Österreichs Beitrag in einem solchen Fall nur auf „humanitäre Hilfe“beschränken könnte. Sicherheitsexperte Walter Feichtinger übt Kritik, die Freiheitlichen sehen Tanner „zumindest teilweise auf die neutralitätspolitische Linie der FPÖ umgeschwenkt“. Der grüne Koalitionspartner hält auch über humanitäre Hilfen hinausgehende Unterstützungen für möglich.
Tanner wurde vom „Falter“zu einem Szenario befragt, in dem Russland hybride Angriffe startet und in Estland, wo ein Viertel der Bevölkerung russischsprachig ist, eine Sezessionsbewegung entsteht und sich für unabhängig erklärt. Daraufhin schicken die Nato-Partner in der EU Truppen und bitten Österreich, sich solidarisch zu beteiligen.
Auf die europäische Solidarität in einem solchen Fall angesprochen, verwies Tanner auf die Beistandsverpflichtung in der EU und „wie diese im Falle des Falles erfüllt wird, das obliegt uns“: „Das heißt, wir hätten die Möglichkeit, humanitäre Hilfe zu leisten.“Eine Möglichkeit, hier militärische Solidarität mit dem Rest Europas zu zeigen, gebe es für Österreich hingegen nicht, so Tanner.
Völkerrechtler widersprechen
Die Beistandsklausel im EU-Vertrag hält fest, dass im Fall „eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“die „anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“schulden. Allerdings gilt für Österreich aufgrund seiner Neutralität die „irische Klausel“, wonach das Land bei einem solchen Angriff keine Pflicht zum Beistand trifft. Vielmehr kann es selbst entscheiden, inwieweit es Unterstützung leistet.
Solch eine Hilfe könne jedoch sehr wohl auch eine militärische Unterstützung umfassen, sagt der Völkerrechtler Ralph Janik zur
„Presse“. Das bestätigt auch der Europaund Völkerrechtler Walter Obwexer von der Uni Innsbruck. Österreich bleibe es hier selbst überlassen, welche Unterstützungsmaßnahmen es ergreife. Für Janik nimmt sich Österreich durch Tanners Festlegung „außen- und sicherheitspolitischen Handlungsspielraum“.
Grüne für genaue Prüfung
„Dass im Fall einer Krise, eines Konflikts oder Angriffs auf ein EUPartnerland die österreichische Solidarität nur in Form von humanitärer Hilfe geleistet werden kann, teilen wir nicht per se“, meint Grünen-Wehrsprecher David Stögmüller. Im Fall des Falles würde es darauf ankommen, welche Hilfe Estland als Nato-Land direkt über die EU-Ebene anfragen würde. Das
würde man dann analysieren: „Selbstverständlich würde das keine Kampftruppen beinhalten, im Bereich der Cyber-Abwehr, bei der Ausbildung, dem Katastrophenschutz würden wir das aber im Detail wohlwollend prüfen.“
Für die FPÖ hat Tanner eine „180-Grad-Kehrtwendung vollzogen“, wie der freiheitliche Wehrsprecher Volker Reifenberger ausführt. „Sie begründet es zwar juristisch nicht ganz richtig, Tanner ist aber nunmehr zumindest teilweise auf die neutralitätspolitische Linie der FPÖ umgeschwenkt.“Er sei nun gespannt, ob Tanner „in dieser Deutlichkeit bei ihren Aussagen bleiben oder wieder zurückrudern wird“, sagte Reifenberger.
„Da wir nicht verpflichtet sind, uns an Kriegshandlungen zu beteiligen, so wie andere Staaten, kann
Österreich einen nicht-militärischen Beitrag leisten. Der ist solidarisch“, sagt SPÖ-Wehrsprecher Robert Laimer. Die eigenen Töchter und Söhne sterben zu lassen, sei hingegen „kein Akt der militärischen Solidarität“.
Kritik von Fachleuten
Fachleute sehen die Ankündigung der Verteidigungsministerin kritisch. „Die Solidarität in der EU darf keine Einbahnstraße sein“, kritisiert Erich Cibulka, Präsident der privaten Offiziersgesellschaft. „Ich fürchte, unsere Freunde in der EU werden ,not amused‘ sein und den Wahlkampf nicht als Erklärung für das Rosinenpicken gelten lassen.“Für Walter Feichtinger, Präsident des Center für Strategische Analysen, ist die Position der Verteidigungsministerin unverständlich.
Denn die irische Klausel ermögliche es sehr wohl, auch militärischen Beistand zu leisten. Aussagen wie jene Tanners „schaden Österreichs Image im Ausland“.
Das Bundesheer selbst warnt in seinem vertraulichen Strategiepapier „Risikobild 2032“vor dem „Neutralitätsrisiko“. Als Beispiel nennt der Bericht einen Angriff auf einen EU-Mitgliedstaat. Für Österreich würden hier „Positionierungsfragen bezüglich Beistandspflicht, Solidarität sowie der Neutralität“aufkommen. Eine europäische Isolation Österreichs wird befürchtet, falls sich das Land in einem Verteidigungsfall auf seine Neutralität beruft und nicht beteiligt. Das könnte massive Folgen etwa auf politischer und wirtschaftlicher Ebene haben, warnt das Papier.