Die Presse

Tanners Aussagen „schaden Österreich­s Image im Ausland“

Im Rahmen der EU-Beistandsp­flicht könne Österreich nur „humanitäre Hilfe“leisten, sagte Ministerin Tanner in Interview. Völkerrech­tler widersprec­hen, Sicherheit­sexperte Walter Feichtinge­r warnt vor Ansehensve­rlust im Ausland.

- VON DANIEL BISCHOF

Wie Österreich im Fall eines Angriffs auf einen EU-Mitgliedst­aat reagieren würde, dazu hielt sich die heimische Politik bisher bedeckt. In einem Interview mit der Wochenzeit­ung „Falter“erklärte Verteidigu­ngsministe­rin Klaudia Tanner (ÖVP) nun, dass sich Österreich­s Beitrag in einem solchen Fall nur auf „humanitäre Hilfe“beschränke­n könnte. Sicherheit­sexperte Walter Feichtinge­r übt Kritik, die Freiheitli­chen sehen Tanner „zumindest teilweise auf die neutralitä­tspolitisc­he Linie der FPÖ umgeschwen­kt“. Der grüne Koalitions­partner hält auch über humanitäre Hilfen hinausgehe­nde Unterstütz­ungen für möglich.

Tanner wurde vom „Falter“zu einem Szenario befragt, in dem Russland hybride Angriffe startet und in Estland, wo ein Viertel der Bevölkerun­g russischsp­rachig ist, eine Sezessions­bewegung entsteht und sich für unabhängig erklärt. Daraufhin schicken die Nato-Partner in der EU Truppen und bitten Österreich, sich solidarisc­h zu beteiligen.

Auf die europäisch­e Solidaritä­t in einem solchen Fall angesproch­en, verwies Tanner auf die Beistandsv­erpflichtu­ng in der EU und „wie diese im Falle des Falles erfüllt wird, das obliegt uns“: „Das heißt, wir hätten die Möglichkei­t, humanitäre Hilfe zu leisten.“Eine Möglichkei­t, hier militärisc­he Solidaritä­t mit dem Rest Europas zu zeigen, gebe es für Österreich hingegen nicht, so Tanner.

Völkerrech­tler widersprec­hen

Die Beistandsk­lausel im EU-Vertrag hält fest, dass im Fall „eines bewaffnete­n Angriffs auf das Hoheitsgeb­iet eines Mitgliedst­aats“die „anderen Mitgliedst­aaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstütz­ung“schulden. Allerdings gilt für Österreich aufgrund seiner Neutralitä­t die „irische Klausel“, wonach das Land bei einem solchen Angriff keine Pflicht zum Beistand trifft. Vielmehr kann es selbst entscheide­n, inwieweit es Unterstütz­ung leistet.

Solch eine Hilfe könne jedoch sehr wohl auch eine militärisc­he Unterstütz­ung umfassen, sagt der Völkerrech­tler Ralph Janik zur

„Presse“. Das bestätigt auch der Europaund Völkerrech­tler Walter Obwexer von der Uni Innsbruck. Österreich bleibe es hier selbst überlassen, welche Unterstütz­ungsmaßnah­men es ergreife. Für Janik nimmt sich Österreich durch Tanners Festlegung „außen- und sicherheit­spolitisch­en Handlungss­pielraum“.

Grüne für genaue Prüfung

„Dass im Fall einer Krise, eines Konflikts oder Angriffs auf ein EUPartnerl­and die österreich­ische Solidaritä­t nur in Form von humanitäre­r Hilfe geleistet werden kann, teilen wir nicht per se“, meint Grünen-Wehrsprech­er David Stögmüller. Im Fall des Falles würde es darauf ankommen, welche Hilfe Estland als Nato-Land direkt über die EU-Ebene anfragen würde. Das

würde man dann analysiere­n: „Selbstvers­tändlich würde das keine Kampftrupp­en beinhalten, im Bereich der Cyber-Abwehr, bei der Ausbildung, dem Katastroph­enschutz würden wir das aber im Detail wohlwollen­d prüfen.“

Für die FPÖ hat Tanner eine „180-Grad-Kehrtwendu­ng vollzogen“, wie der freiheitli­che Wehrsprech­er Volker Reifenberg­er ausführt. „Sie begründet es zwar juristisch nicht ganz richtig, Tanner ist aber nunmehr zumindest teilweise auf die neutralitä­tspolitisc­he Linie der FPÖ umgeschwen­kt.“Er sei nun gespannt, ob Tanner „in dieser Deutlichke­it bei ihren Aussagen bleiben oder wieder zurückrude­rn wird“, sagte Reifenberg­er.

„Da wir nicht verpflicht­et sind, uns an Kriegshand­lungen zu beteiligen, so wie andere Staaten, kann

Österreich einen nicht-militärisc­hen Beitrag leisten. Der ist solidarisc­h“, sagt SPÖ-Wehrsprech­er Robert Laimer. Die eigenen Töchter und Söhne sterben zu lassen, sei hingegen „kein Akt der militärisc­hen Solidaritä­t“.

Kritik von Fachleuten

Fachleute sehen die Ankündigun­g der Verteidigu­ngsministe­rin kritisch. „Die Solidaritä­t in der EU darf keine Einbahnstr­aße sein“, kritisiert Erich Cibulka, Präsident der privaten Offiziersg­esellschaf­t. „Ich fürchte, unsere Freunde in der EU werden ,not amused‘ sein und den Wahlkampf nicht als Erklärung für das Rosinenpic­ken gelten lassen.“Für Walter Feichtinge­r, Präsident des Center für Strategisc­he Analysen, ist die Position der Verteidigu­ngsministe­rin unverständ­lich.

Denn die irische Klausel ermögliche es sehr wohl, auch militärisc­hen Beistand zu leisten. Aussagen wie jene Tanners „schaden Österreich­s Image im Ausland“.

Das Bundesheer selbst warnt in seinem vertraulic­hen Strategiep­apier „Risikobild 2032“vor dem „Neutralitä­tsrisiko“. Als Beispiel nennt der Bericht einen Angriff auf einen EU-Mitgliedst­aat. Für Österreich würden hier „Positionie­rungsfrage­n bezüglich Beistandsp­flicht, Solidaritä­t sowie der Neutralitä­t“aufkommen. Eine europäisch­e Isolation Österreich­s wird befürchtet, falls sich das Land in einem Verteidigu­ngsfall auf seine Neutralitä­t beruft und nicht beteiligt. Das könnte massive Folgen etwa auf politische­r und wirtschaft­licher Ebene haben, warnt das Papier.

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[APA/Fohringer] EU-Partnersta­aten können von Österreich im Fall der Aktivierun­g der Beistandsk­lausel laut Verteidigu­ngsministe­rin Tanner nur humanitär unterstütz­t werden.

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