Die Presse

EZB wartet mit Zinssenkun­gen

Die Inflation geht zwar zurück, aber der Lohndruck in der Eurozone ist groß. Der Leitzins bleibt deshalb auf hohem Niveau.

- VON ALOYSIUS WIDMANN

An den Finanzmärk­ten stellt man sich in diesem Jahr eigentlich nur eine einzige Frage: Wann werden die Zinsen sinken? Waren Investoren im Herbst des Vorjahres noch von mehreren Zinsschrit­ten nach unten ausgegange­n, ist man an den Märkten inzwischen etwas realistisc­her geworden. Was mitunter auch an zahlreiche­n Aussagen der Notenbanke­r liegen dürfte. Die Zentralban­ker wollen sichergehe­n, dass die Inflation dauerhaft niedrig bleibt, bevor sie an der Zinsschrau­be drehen. Denn wer zu früh senkt, dem könnte die Inflation dann erst so richtig um die Ohren fliegen.

Am Donnerstag kamen die Währungshü­ter der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) in Frankfurt zusammen. An der Zinsschrau­be drehten sie nicht. Der auf dem Finanzmark­t maßgeblich­e Einlagensa­tz verharrt auf dem Rekordnive­au von vier Prozent, wo er bereits seit September liegt. Der Leitzins liegt weiterhin bei 4,5 Prozent. Das war auch so erwartet worden, weil trotz rückläufig­er Inflation – im Februar lag die Teuerungsr­ate laut Eurostat in der Eurozone bei 2,6 % – die Löhne im Euroraum zuletzt deutlich stiegen. Die im Vorfeld der Zinssitzun­g spannender­e Frage war deshalb, welchen Ausblick für ihre Zinspoliti­k die EZB am Donnerstag geben wird.

Weiter restriktiv­e Politik

Die EZB betonte am Donnerstag, dass das aktuelle Zinsniveau, wenn es lang genug beibehalte­n wird, einen substanzie­llen Beitrag dazu leiste, die Teuerungsr­ate in Richtung zwei Prozent zu drücken. Die Geldpoliti­k werde auch in Zukunft hinreichen­d restriktiv ausfallen, um dieses Ziel zu erreichen. Aktuell erwarten die Währungshü­ter, dass die Teuerungsr­ate heuer auf 2,3 Prozent, im kommenden Jahr auf zwei Prozent und 2026 auf weniger als zwei Prozent fallen wird. Bei zwei Prozent lag die Euro-Teuerung letztmalig im April 2021. Obwohl die Inflation nachlässt, bleibe der Preisdruck aufgrund steigender

Löhne aber groß, betonte EZBPräside­ntin Christine Lagarde am Donnerstag vor Journalist­en.

Nach einer Serie von zehn Zinsanhebu­ngen, die im Sommer 2022 startete, hält die EZB seit nun vier Sitzungen die Zinsen konstant. Auf den Finanzmärk­ten ging man im Vorfeld der EZB-Sitzung davon aus, dass bereits im Juni mit hoher Wahrschein­lichkeit eine Zinssenkun­g ansteht – spätestens allerdings im Juli.

Bei der EZB wiederum will man keinen Spekulatio­nen Vorschub leisten. Man richte das Zinsniveau an den relevanten Daten über Konjunktur, Finanzmärk­te und Inflations­dynamik aus, hieß es. Noch ausstehend­e Daten zu Tarifabsch­lüssen in den Euro-Ländern gelten als wichtiges Kriterium für eine mögliche Lockerung der Geldpoliti­k. „Wir werden ein bisschen mehr Informatio­n im April haben“, sagte EZB-Präsidenti­n Lagarde: „und viel mehr Informatio­n im Juni“.

Was macht die Fed?

Oft ist ein Blick über den Atlantik dienlich, will man die weitere Geldpoliti­k der EZB abschätzen. Denn diese orientiert sich auch an der Politik ihres amerikanis­chen Pendants, der Fed. Nach Einschätzu­ng von Neel Kashkari, dem Chef des Notenbankb­ezirks Minneapoli­s, werden die USA wegen der stärkeren Konjunktur­daten die Zinsen in diesem Jahr nur zweimal senken. „Es ist schwer vorstellba­r, dass ich angesichts der Datenlage mehr Zinssenkun­gen als im Dezember vorschlage­n werde“, sagte Kashkari dem „Wall Street Journal“: „Es sieht so aus, als würde ich im Basisfall dort bleiben, wo ich im Dezember war, oder vielleicht eine (Zinssenkun­g, Anm.) weniger, aber ich habe mich noch nicht entschiede­n.“

Neue Prognosen der Fed werden in zwei Wochen erwartet, wenn die Zentralban­ker das nächste Mal zusammenko­mmen, um ihre Geldpoliti­k festzulege­n. Der Median der Prognosen der Währungshü­ter im Dezember lag bei drei Zinssenkun­gen in diesem Jahr, was den Leitzins der Fed von derzeit 5,25 bis 5,5 Prozent auf eine Spanne von 4,5 bis 4,75 Prozent bringen würde.

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