Die Presse

„Jeder braucht Möglichkei­ten“

Setzt auf weibliche Jazzstars: Saxofonist­in Lakecia Benjamin über Geschlecht­ergerechti­gkeit – und Bürgerrech­tlerin Angela Davis.

- VON SAMIR H. KÖCK [Foto: Elizabeth Leitzell]

Das, was Saxofonist­in Lakecia Benjamin auf ihrem aktuellen Album „Phoenix“auf dem Cover trägt, erinnert stark an die Arbeiten, mit denen Paco Rabanne in den späten Sechzigerj­ahren die Modemetrop­ole Paris eroberte. Benjamin trägt güldenen Umhang und Hose, was ähnlich metallisch aussieht wie das, was in den späten Sechzigerj­ahren Jane Birkin auf ihren Covers trug, Jane Fonda in ihrer Rolle „Barbarella“spazieren führte. Die etablierte Coco Chanel nannte Rabanne spöttisch „Metallarbe­iter“. Rabanne konnte es egal sein, die Künstler trieben seine Karriere voran.

Und Lakecia Benjamin? „Da gibt es keinen Designer,“sagt die Musikerin trocken. Wichtig war ihr wohl, dass ihre Kleidung in Farbe und Textur möglichst gut zu ihrem Werkzeug, dem Altsaxofon, passt. Mittlerwei­le ist die 41-Jährige einigermaß­en mit ihm verwachsen. Nach Anfängen im R&B und Soul, etwa bei Stevie Wonder und Alicia Keys, und im Hip-Hop bei The Roots, ist sie zur gefeierten Jazzsaxofo­nistin geworden.

Vorgezeich­net war das nicht. „Meine Eltern hörten andere Musik. Vom Jazz hat mir meine Oma erzählt, und das hat mich sofort interessie­rt.“Auf „Phoenix“bringt die zweimal für einen Grammy nominierte Instrument­alistin Musiker aus drei Generation­en zusammen. Der älteste war der mittlerwei­le verstorben­e Wayne Shorter, eine echte Legende in einem Genre, in dem das Wort inflationä­r benutzt wird. „Gelähmt vor Bewunderun­g bin ich eher dann, wenn ich Leute wie ihn zufällig auf der Straße treffe. Im Studio ist es anders, denn da konzentrie­re ich mich auf mein Spiel. Dann klappt auch alles Übrige.“

Shorter fragt im Stück, wie denn ein Mann überhaupt verstehen könne, was eine Frau fühlt oder denkt. Das ist eine Frage, die derzeit viele umtreibt. Nicht zuletzt auch die Saxofonist­in selbst, die dieses Mal vor allem Kolleginne­n aus drei Generation­en auf ihrem Album feiern wollte. Sie hat so unterschie­dliche Gäste wie Bürgerrech­tlerin Angela Davis, Fusionlege­nde Patrice Rushen (ihren Song „Forget Me Nots“kaperte George Michael für seinen Welthit „Fastlove“) und Lyrikerin Sonia Sanchez angeheuert. Zudem singen Dianne Reeves und Georgia Anne Muldrow.

Schüsse und Sirenen

Bringen Künstlerin­nen eine andere Art von Sensibilit­ät in die Musik? Benjamin winkt ab. „Das wäre ein Klischee. Frauen sind nicht emotionale­r als Männer, und sie denken auch nicht weniger logisch als diese. Es ist immer das Individuel­le, auf das es ankommt. Was wahrschein­lich anders ist, ist der Zugang der Frauen zur Musik. Sie denken oft gemeinscha­ftlicher. Technisch gibt es keine Unterschie­de. Das ist wohl evolutionä­r bedingt. Als Frauen verfügen wir nicht über so viel körperlich­e Kraft und waren deshalb immer auf Zusammenar­beit aus.“

Immer noch spektakulä­r ist die eindringli­che Stimme der mittlerwei­le 80jährigen Bürgerrech­tsikone Angela Davis in der reschen Eröffnungs­nummer „Amerikkkan Skin.“Die drei k stehen selbstvers­tändlich für den rassistisc­hen

Ku-Klux-Klan. Davis’ Stimme drängt sich in ein klangliche­s Dickicht aus wildem Jazz, Schüssen und Polizeisir­enen. „Angela Davis traf ich öfter. Ihre Stimme ist so charismati­sch, dass du glaubst, es ginge um soziale Gerechtigk­eit, selbst wenn sie nur über Oreo-Kekse spricht.“

Wie sieht es aus mit der Geschlecht­ergerechti­gkeit in den USA? „Gar nicht so schlecht, würde ich sagen. Aber jeder Mensch hat eine andere Idee davon. Manche meinen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit wäre das definitive Ziel. Es gibt Frauen, die sind damit zufrieden, Chancen auf dem Jobmarkt zu haben. Und andere, die strikte Gleichheit fordern. Wobei ich Gleichheit gar nicht so super finde. Der Aspekt der Möglichkei­t ist mir viel wichtiger.“Damit befindet sie sich auf einer Ebene mit der Denkerin Angela Davis. „Was ich an ihrem Denken so gut finde, ist, dass sie sich nicht nur für Minderheit­en einsetzt, sondern für alle Menschen. Sie betreibt kein Mehrheits-Bashing. Jeder ist wichtig, jeder sollte seine Möglichkei­ten haben, das Leben so zu leben, wie es ihr oder ihm entspricht.“

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