„Jeder braucht Möglichkeiten“
Setzt auf weibliche Jazzstars: Saxofonistin Lakecia Benjamin über Geschlechtergerechtigkeit – und Bürgerrechtlerin Angela Davis.
Das, was Saxofonistin Lakecia Benjamin auf ihrem aktuellen Album „Phoenix“auf dem Cover trägt, erinnert stark an die Arbeiten, mit denen Paco Rabanne in den späten Sechzigerjahren die Modemetropole Paris eroberte. Benjamin trägt güldenen Umhang und Hose, was ähnlich metallisch aussieht wie das, was in den späten Sechzigerjahren Jane Birkin auf ihren Covers trug, Jane Fonda in ihrer Rolle „Barbarella“spazieren führte. Die etablierte Coco Chanel nannte Rabanne spöttisch „Metallarbeiter“. Rabanne konnte es egal sein, die Künstler trieben seine Karriere voran.
Und Lakecia Benjamin? „Da gibt es keinen Designer,“sagt die Musikerin trocken. Wichtig war ihr wohl, dass ihre Kleidung in Farbe und Textur möglichst gut zu ihrem Werkzeug, dem Altsaxofon, passt. Mittlerweile ist die 41-Jährige einigermaßen mit ihm verwachsen. Nach Anfängen im R&B und Soul, etwa bei Stevie Wonder und Alicia Keys, und im Hip-Hop bei The Roots, ist sie zur gefeierten Jazzsaxofonistin geworden.
Vorgezeichnet war das nicht. „Meine Eltern hörten andere Musik. Vom Jazz hat mir meine Oma erzählt, und das hat mich sofort interessiert.“Auf „Phoenix“bringt die zweimal für einen Grammy nominierte Instrumentalistin Musiker aus drei Generationen zusammen. Der älteste war der mittlerweile verstorbene Wayne Shorter, eine echte Legende in einem Genre, in dem das Wort inflationär benutzt wird. „Gelähmt vor Bewunderung bin ich eher dann, wenn ich Leute wie ihn zufällig auf der Straße treffe. Im Studio ist es anders, denn da konzentriere ich mich auf mein Spiel. Dann klappt auch alles Übrige.“
Shorter fragt im Stück, wie denn ein Mann überhaupt verstehen könne, was eine Frau fühlt oder denkt. Das ist eine Frage, die derzeit viele umtreibt. Nicht zuletzt auch die Saxofonistin selbst, die dieses Mal vor allem Kolleginnen aus drei Generationen auf ihrem Album feiern wollte. Sie hat so unterschiedliche Gäste wie Bürgerrechtlerin Angela Davis, Fusionlegende Patrice Rushen (ihren Song „Forget Me Nots“kaperte George Michael für seinen Welthit „Fastlove“) und Lyrikerin Sonia Sanchez angeheuert. Zudem singen Dianne Reeves und Georgia Anne Muldrow.
Schüsse und Sirenen
Bringen Künstlerinnen eine andere Art von Sensibilität in die Musik? Benjamin winkt ab. „Das wäre ein Klischee. Frauen sind nicht emotionaler als Männer, und sie denken auch nicht weniger logisch als diese. Es ist immer das Individuelle, auf das es ankommt. Was wahrscheinlich anders ist, ist der Zugang der Frauen zur Musik. Sie denken oft gemeinschaftlicher. Technisch gibt es keine Unterschiede. Das ist wohl evolutionär bedingt. Als Frauen verfügen wir nicht über so viel körperliche Kraft und waren deshalb immer auf Zusammenarbeit aus.“
Immer noch spektakulär ist die eindringliche Stimme der mittlerweile 80jährigen Bürgerrechtsikone Angela Davis in der reschen Eröffnungsnummer „Amerikkkan Skin.“Die drei k stehen selbstverständlich für den rassistischen
Ku-Klux-Klan. Davis’ Stimme drängt sich in ein klangliches Dickicht aus wildem Jazz, Schüssen und Polizeisirenen. „Angela Davis traf ich öfter. Ihre Stimme ist so charismatisch, dass du glaubst, es ginge um soziale Gerechtigkeit, selbst wenn sie nur über Oreo-Kekse spricht.“
Wie sieht es aus mit der Geschlechtergerechtigkeit in den USA? „Gar nicht so schlecht, würde ich sagen. Aber jeder Mensch hat eine andere Idee davon. Manche meinen, gleicher Lohn für gleiche Arbeit wäre das definitive Ziel. Es gibt Frauen, die sind damit zufrieden, Chancen auf dem Jobmarkt zu haben. Und andere, die strikte Gleichheit fordern. Wobei ich Gleichheit gar nicht so super finde. Der Aspekt der Möglichkeit ist mir viel wichtiger.“Damit befindet sie sich auf einer Ebene mit der Denkerin Angela Davis. „Was ich an ihrem Denken so gut finde, ist, dass sie sich nicht nur für Minderheiten einsetzt, sondern für alle Menschen. Sie betreibt kein Mehrheits-Bashing. Jeder ist wichtig, jeder sollte seine Möglichkeiten haben, das Leben so zu leben, wie es ihr oder ihm entspricht.“