Ester Ledecká: Champion in zwei Welten
Wenn auf Snowboard oder Skier steigt, hält die Konkurrenz den Atem an. Die Mission einer Ausnahmesportlerin.
Es ist diese gefühlte Leichtigkeit, mit der Ester Ledecká zwischen zwei Welten wandert, die ihre Karriere so außergewöhnlich und faszinierend macht. Egal, ob auf einem Brett oder auf zwei Brettern – die Tschechin zählt seit Jahren zu den absolut Besten auf den Pisten. Eben erst am vergangenen Wochenende carvte die 28-Jährige beim alpinen Skiweltcup in Kvitfjell als Dritte auf das Super-G-Podest, wenige Wochen zuvor war sie in beiden Parallelsnowboardrennen in Pamporowo nicht zu schlagen gewesen.
Ihr siegreicher Auftritt in den bulgarischen Bergen war gleichzeitig Ledeckás Saisondebüt auf dem Snowboard. Ihr Fokus liege auf der Abfahrtsgesamtwertung, hatte sie vor diesem Winter erklärt. „Deswegen werde ich versuchen, so viele Rennen wie möglich auf Ski zu bestreiten. Das Board wird nur die Ergänzung sein.“Umso erstaunlicher, dass die vor der letzten Abfahrt auf Rang 24 der Disziplinenwertung liegende Tschechin (2019/20 war sie Zweite) trotz ihres Trainingsmangels der Konkurrenz in der Snowboardsparte um die Ohren fährt.
Einzigartig und auf dem Olymp
„Ich hatte nie das Ziel verfolgt, jemanden lächerlich zu machen oder bloßzustellen. Es muss frustrierend für einige Athletinnen sein, und es gibt Leute, die in mir tatsächlich eine Gefahr sehen. Doch fast alle Reaktionen sind positiv. Ich werde als Unikum angeschaut, aber nicht ausgegrenzt“, sagte sie einst gegenüber der Zeitung „Der Bund“. Beim Saisonfinale der Snowboarder will sie diesen Samstag in Winterberg (16 Uhr, live, ORF Sport+) abermals glänzen.
Bisher hat die 28-Jährige 23 Weltcupsiege und zwei WM-Goldmedaillen auf einem Brett eingefahren sowie viermal die Parallelgesamtwertung für sich entschieden. Im Lager der Alpinen gehen drei Weltcupsiege auf ihr Konto. In den sprichwörtlichen Olymp war Ledecká bei den Olympischen Spielen 2018 in Pyeongchang aufgestiegen. Damals hatte sie Gold im Super-G geholt – um dann mit ihrem Triumph im Parallelriesentorlauf zur ersten Doppelsiegerin bei ein und denselben Winterspielen in verschiedenen Sportarten zu werden. In Peking 2022 folgte schließlich ein weiteres Snowboard-Gold.
Nicht zuletzt aus wissenschaftlicher Sicht haben die Multisporterfolge der tschechischen Ausnahmeathletin Sinn. Wie der Sportwissenschaftler Arne Güllich von der TU Kaiserslautern gemeinsam mit Kollegen in einer Analyse von rund 50 Studien verdeutlichte, gelangen Athleten langfristig eher an die Spitze, wenn sie sich in mehr als einer Disziplin üben. „Erwachsene Weltklassesportler nahmen in der Kindheit und Jugend häufiger auch an angeleiteten Trainings in anderen Sportarten teil“, stellte Güllich fest.
Bei Ledecká, die auch Beachvolleyball, Windsurfen und Eishockey zu ihren Hobbys zählt, war dies seit frühester Kindheit an der Fall. Wohl auch, weil ihr Sport durch Mutter
Zuzana (Eiskunstläuferin) und Großvater Jan Klapáč (1972 Eishockey-Weltmeister mit der Tschechoslowakei) in die Wiege gelegt wurde. Mit zwei Jahren stand sie erstmals auf Skiern, mit fünf auf dem Board. Dem Drängen ihrer Trainer zum Trotz, sich auf eine Sportart zu konzentrieren, legte sie eine zweigleisige Weltkarriere hin. „Man will mich in eine Richtung drängen, weil das Abnormale offenbar abschreckt. 99 Prozent der Menschen sagen mir, ich müsste mich für eine Sache entscheiden. So verrückt wie ich sind nicht viele auf diesem Planeten.“
Eine Welt ohne Grenzen
Nebenbei hat das „Genie“(Zitat Lindsey Vonn) und die „Maschine“(Alexandra Meissnitzer) auch noch Marketing studiert – für das von ihr priorisierte Physikstudium fehlte schlichtweg die Zeit. Streitereien mit dem tschechischen Skiverband, aufgrund derer sogar ein Nationenwechsel im Raum stand, ließ Ledecká inzwischen ebenso hinter sich wie eine Zwangspause aufgrund einer
Schlüsselbeinverletzung (2022/2023). Ihr Spruch „In meiner Welt gibt es keine Grenzen“gilt mehr denn je. Ledecká hat bereits angekündigt, irgendwann auch als Windsurferin an Olympia teilnehmen zu wollen.
Sie ist nicht die einzige Frau, die den Spagat schaffe, in mehr als einer Sportart erfolgreich zu sein. Daniela Iraschko-Stolz stand vor und während ihrer Karriere als Skispringerin auf dem Fußballplatz. Julia Mayer war ebenfalls Fußballerin, ehe sie zur Läuferin und mittlerweile österreichischen Marathonrekordhalterin wurde. Martina Hingis sattelte nach ihrer Tenniskarriere aufs Pferd um, Ashleigh Barty tauschte ihren Tenniszwischenzeitlich mit einem Cricketschläger. Lauryn Williams (Sprinterin und Bobfahrerin), Clara Hughes und Christa Luding-Rothenburger (beide Eisschnellläuferinnen und Radfahrerinnen) holten einst sowohl bei Sommer- als auch bei Winterspielen olympisches Edelmetall.
‘‘ Ich werde als Unikum angeschaut, aber nicht ausgegrenzt. Ester Ledecká über ihre spezielle Rolle im Weltcupzirkus