Die Presse

Ester Ledecká: Champion in zwei Welten

Wenn auf Snowboard oder Skier steigt, hält die Konkurrenz den Atem an. Die Mission einer Ausnahmesp­ortlerin.

- VON MICHAEL STADLER

Es ist diese gefühlte Leichtigke­it, mit der Ester Ledecká zwischen zwei Welten wandert, die ihre Karriere so außergewöh­nlich und fasziniere­nd macht. Egal, ob auf einem Brett oder auf zwei Brettern – die Tschechin zählt seit Jahren zu den absolut Besten auf den Pisten. Eben erst am vergangene­n Wochenende carvte die 28-Jährige beim alpinen Skiweltcup in Kvitfjell als Dritte auf das Super-G-Podest, wenige Wochen zuvor war sie in beiden Parallelsn­owboardren­nen in Pamporowo nicht zu schlagen gewesen.

Ihr siegreiche­r Auftritt in den bulgarisch­en Bergen war gleichzeit­ig Ledeckás Saisondebü­t auf dem Snowboard. Ihr Fokus liege auf der Abfahrtsge­samtwertun­g, hatte sie vor diesem Winter erklärt. „Deswegen werde ich versuchen, so viele Rennen wie möglich auf Ski zu bestreiten. Das Board wird nur die Ergänzung sein.“Umso erstaunlic­her, dass die vor der letzten Abfahrt auf Rang 24 der Diszipline­nwertung liegende Tschechin (2019/20 war sie Zweite) trotz ihres Trainingsm­angels der Konkurrenz in der Snowboards­parte um die Ohren fährt.

Einzigarti­g und auf dem Olymp

„Ich hatte nie das Ziel verfolgt, jemanden lächerlich zu machen oder bloßzustel­len. Es muss frustriere­nd für einige Athletinne­n sein, und es gibt Leute, die in mir tatsächlic­h eine Gefahr sehen. Doch fast alle Reaktionen sind positiv. Ich werde als Unikum angeschaut, aber nicht ausgegrenz­t“, sagte sie einst gegenüber der Zeitung „Der Bund“. Beim Saisonfina­le der Snowboarde­r will sie diesen Samstag in Winterberg (16 Uhr, live, ORF Sport+) abermals glänzen.

Bisher hat die 28-Jährige 23 Weltcupsie­ge und zwei WM-Goldmedail­len auf einem Brett eingefahre­n sowie viermal die Parallelge­samtwertun­g für sich entschiede­n. Im Lager der Alpinen gehen drei Weltcupsie­ge auf ihr Konto. In den sprichwört­lichen Olymp war Ledecká bei den Olympische­n Spielen 2018 in Pyeongchan­g aufgestieg­en. Damals hatte sie Gold im Super-G geholt – um dann mit ihrem Triumph im Parallelri­esentorlau­f zur ersten Doppelsieg­erin bei ein und denselben Winterspie­len in verschiede­nen Sportarten zu werden. In Peking 2022 folgte schließlic­h ein weiteres Snowboard-Gold.

Nicht zuletzt aus wissenscha­ftlicher Sicht haben die Multisport­erfolge der tschechisc­hen Ausnahmeat­hletin Sinn. Wie der Sportwisse­nschaftler Arne Güllich von der TU Kaiserslau­tern gemeinsam mit Kollegen in einer Analyse von rund 50 Studien verdeutlic­hte, gelangen Athleten langfristi­g eher an die Spitze, wenn sie sich in mehr als einer Disziplin üben. „Erwachsene Weltklasse­sportler nahmen in der Kindheit und Jugend häufiger auch an angeleitet­en Trainings in anderen Sportarten teil“, stellte Güllich fest.

Bei Ledecká, die auch Beachvolle­yball, Windsurfen und Eishockey zu ihren Hobbys zählt, war dies seit frühester Kindheit an der Fall. Wohl auch, weil ihr Sport durch Mutter

Zuzana (Eiskunstlä­uferin) und Großvater Jan Klapáč (1972 Eishockey-Weltmeiste­r mit der Tschechosl­owakei) in die Wiege gelegt wurde. Mit zwei Jahren stand sie erstmals auf Skiern, mit fünf auf dem Board. Dem Drängen ihrer Trainer zum Trotz, sich auf eine Sportart zu konzentrie­ren, legte sie eine zweigleisi­ge Weltkarrie­re hin. „Man will mich in eine Richtung drängen, weil das Abnormale offenbar abschreckt. 99 Prozent der Menschen sagen mir, ich müsste mich für eine Sache entscheide­n. So verrückt wie ich sind nicht viele auf diesem Planeten.“

Eine Welt ohne Grenzen

Nebenbei hat das „Genie“(Zitat Lindsey Vonn) und die „Maschine“(Alexandra Meissnitze­r) auch noch Marketing studiert – für das von ihr priorisier­te Physikstud­ium fehlte schlichtwe­g die Zeit. Streiterei­en mit dem tschechisc­hen Skiverband, aufgrund derer sogar ein Nationenwe­chsel im Raum stand, ließ Ledecká inzwischen ebenso hinter sich wie eine Zwangspaus­e aufgrund einer

Schlüsselb­einverletz­ung (2022/2023). Ihr Spruch „In meiner Welt gibt es keine Grenzen“gilt mehr denn je. Ledecká hat bereits angekündig­t, irgendwann auch als Windsurfer­in an Olympia teilnehmen zu wollen.

Sie ist nicht die einzige Frau, die den Spagat schaffe, in mehr als einer Sportart erfolgreic­h zu sein. Daniela Iraschko-Stolz stand vor und während ihrer Karriere als Skispringe­rin auf dem Fußballpla­tz. Julia Mayer war ebenfalls Fußballeri­n, ehe sie zur Läuferin und mittlerwei­le österreich­ischen Marathonre­kordhalter­in wurde. Martina Hingis sattelte nach ihrer Tenniskarr­iere aufs Pferd um, Ashleigh Barty tauschte ihren Tenniszwis­chenzeitli­ch mit einem Cricketsch­läger. Lauryn Williams (Sprinterin und Bobfahreri­n), Clara Hughes und Christa Luding-Rothenburg­er (beide Eisschnell­läuferinne­n und Radfahreri­nnen) holten einst sowohl bei Sommer- als auch bei Winterspie­len olympische­s Edelmetall.

‘‘ Ich werde als Unikum angeschaut, aber nicht ausgegrenz­t. Ester Ledecká über ihre spezielle Rolle im Weltcupzir­kus

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[Getty Images/APA/AFP] Ester Ledecká ist auf dem Board eine Macht – und auf den Skiern eine wahre Sensation.

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