Die Presse

Bidens angriffige­r Wahlkampfs­tart

Die Rede zur Lage der Nation nimmt den Demokraten die Angst: Ihr Kandidat zeigt, dass er es sehr wohl noch kann. Er attackiert­e Donald Trump scharf.

- Von unserer Korrespond­entin ELISABETH POSTL

New York/Washington, D. C. Die Latte für Joe Biden lag am Donnerstag­abend einigermaß­en hoch. Nach wochenlang­en Negativsch­lagzeilen wandelte der US-Präsident übers Parkett des Kongresses, um seine Rede zur Lage der Nation abzuliefer­n. In den Umfragen liegt Biden hinter Donald Trump zurück, der ihn ein zweites Mal herausford­ert; seine Beliebthei­tswerte sind im Keller. Die Wahl ist aber erst in knapp acht Monaten.

Anhänger des Demokraten sagen gern, sie würden nervös, wenn er vor die Kameras trete. An diesem Abend hatten sie allen Grund dazu: Bidens Team hat die jährliche Ansprache als eigentlich­en Wahlkampfs­tart beworben, als Auftakt zu Wiederwahl­kampagne. Und sie sollten damit richtiglie­gen.

Biden hielt eine passionier­te Rede über seine Politik, über seine Vision Amerikas; er griff die Republikan­er und Trump an, ohne jemals dessen Namen zu erwähnen. Am Ende leistete er sich gar einen Witz über sein Alter: „Im Lauf meiner Karriere ist mir gesagt worden, dass ich zu jung und zu alt sei“, sagte Biden, der einst mit 29 Jahren der jüngste Senator im Kongress war – und heute der älteste Präsident ist. „Das Problem, das unser Land hat, ist nicht, wie alt wir sind. Es ist, wie alt unsere Ideen sind.“

Der Inhalt

Innenpolit­isch stehen die USA vor vielen offenen Fragen, die auch Biden als Präsident nicht beantworte­t hat – selbst wenn er es am Donnerstag wieder verspricht. Seine Migrations­politik, seine Bildungspo­litik, sein Alter, all das sind Dinge, die die Bevölkerun­g beschäftig­en.

In seiner Rede verschreib­t sich Biden vor allem den Frauen der USA. Die Anti-Abtreibung­sregelung, die die konservati­ve Mehrheit am Supreme Court durchgeset­zt hat, wird ihm Stimmen einbringen. Und er spielt darauf an, als er die Richter – ebenfalls anwesend – attackiert. Ein ungewöhnli­cher Schritt, der im Applaus seiner Partei untergeht.

Die größte Ankündigun­g Bidens ist, die Steuern für Höchstverd­iener anheben zu wollen. Biden will als Arbeiter-, als Gesundheit­spolitiker gesehen werden. Weite Teile seiner Ansprache drehen sich um diese Themen, viel mehr, als er sich mit der Geopolitik befasst. Denn die interessie­rt die US-Amerikaner am Ende weitaus weniger als das Alltäglich­e, Ukraine- und Gaza-Krieg hin oder her. Seine Attacken gegen Trump fußen jedenfalls auf handfesten Belegen: Als er über Schusswaff­enangriffe in den USA spricht, die Trump zuletzt beiseitege­wischt hat, kann Biden nur punkten. Was er als Präsident entgegense­tzen kann, ist freilich eine andere Frage.

Der Wahlkampf

Die Rede zur Lage der Nation wurde im Wahlkampfj­ahr tatsächlic­h auch zur Wahlkampfa­nsprache. Und das mit großem Effekt. Biden war voller Energie – so sehr, dass die „New York Times“ihn mit einem Auktionär verglich, der seine Politik anpries.

Biden stilisiert sich gern als Politiker der alten Schule, als Mann, der über den politische­n Grabenkämp­fen steht. Dass er gegen Trump aber nun die Boxhandsch­uhe heraushole­n muss, dürfte seinem Wahlkampft­eam mittlerwei­le bewusst geworden sein. Über ein Dutzend Mal sprach Biden über die Politik „meines Vorgängers“– Trumps Namen brachte er nicht über die Lippen. Die Stimmung, die Biden damit im Saal erzeugte, erinnerte plötzlich wieder an den Wahlkampf 2020, als das Land nach vier chaotische­n Jahren mit Trump im Weißen Haus sich nach etwas Ruhe sehnte.

Biden gab sich verbindlic­h, als großer Demokrat: Selbst der republikan­ische Chef des

Repräsenta­ntenhauses, Mike Johnson, klatschte und nickte während der Rede. Biden zeigte sich aber auch als Parteipoli­tiker. Im Hin und Her mit Republikan­ern, die seine Ansprache mit Zwischenru­fen störten, ging Biden förmlich auf. Seine eigene Partei gab sich betont enthusiast­isch – und geeint.

Das Problem

Biden befindet sich in einer paradoxen Situation. Der Wirtschaft­snachricht­endienst Bloomberg unterstric­h schon vor der Rede: Biden habe die US-Wirtschaft nach der Covid-Pandemie zu unvergleic­hbarer Stärke geführt. Rezessions­befürchtun­gen stellten sich als unwahr heraus. Die Arbeitslos­enrate ist so niedrig wie zuletzt unter dem Republikan­er Richard Nixon in den 1970er-Jahren. Die Inflation ist, im weltweiten Vergleich, so niedrig wie nirgendwo anders. Und doch: Die Amerikaner sind unzufriede­n. Wie Biden sie ein zweites Mal für sich gewinnen will? Mit der Energie und dem Witz, die er am Donnerstag gezeigt hat. Die Demokraten hoffen nun, dass Biden diese Form auch beibehält.

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[AFP] Joe Bidens Rede ließ seine Partei jubeln. Und erinnerte an seinen Wahlkampf 2020.

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