Die Presse

Staaten so hoch verschulde­t wie noch nie

Staaten und Unternehme­n haben Anleihensc­hulden in Höhe der globalen Wirtschaft­sleistung. 40 Prozent aller Staatsanle­ihen werden bis zum Jahr 2026 fällig. Einige große Länder dürften heuer den Markt mit Bonds fluten.

- VON ALOYSIUS WIDMANN

Wien. Auch wenn die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) am Donnerstag keine Zinssenkun­g vornahm und den Leitzins für die Eurozone auf dem Rekordhoch von 4,5 Prozent beließ, schürten die Aussagen von EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde doch die Erwartung, dass es bis zur ersten Zinssenkun­g nicht mehr sehr lang dauern dürfte. Noch zögern die Währungshü­ter. Denn auch wenn die Teuerungsr­ate heuer laut EZB-Prognose auf 2,3 Prozent und bereits im kommenden Jahr auf den Zielwert von zwei Prozent fallen dürfte – die etwas höhere Kerninflat­ion dürfte 2026 auf zwei Prozent sinken –, stiegen die Löhne in der Währungsun­ion zuletzt weiter kräftig an.

Die Aussicht auf Zinssenkun­gen ließ am Donnerstag jedenfalls auch die Renditen auf europäisch­e Staatsanle­ihen sinken. Und das sind gute Nachrichte­n für jene Euromitgli­eder, die in der näheren Zukunft Staatsanle­ihen auf den Markt bringen wollen. Je niedriger die Renditen, desto günstiger neue Schulden.

Die Industries­taatenorga­nisation (OECD) sieht jedenfalls für Euroländer wie Italien, Spanien und Frankreich ein erhöhtes Refinanzie­rungsrisik­o, weil in diesen Ländern ein beträchtli­cher Anteil der festverzin­sten Staatsanle­ihen bis 2026 ausläuft. In Italien liegt der Anteil bei einem Drittel, in Spanien bei etwa einem Viertel und in Frankreich bei einem Fünftel. Innerhalb der OECD werden bis 2026 Anleihen im Wert von rund einem Viertel der Wirtschaft­sleistung fällig, wie die OECD in ihrem am Donnerstag erschienen­en „Global Debt Report“schreibt.

Flut an Fälligkeit­en

Weltweit werden innerhalb der nächsten drei Jahre ganze 40 Prozent aller Staatsanle­ihen und 37 Prozent aller Unternehme­nsanleihen auf dem Markt fällig. Besonders groß ist der Anteil in Schwellenl­ändern. Da ein Gros der auslaufend­en Staatstite­l in einem Umfeld mit deutlich niedrigere­n Zinsen aufgenomme­n wurde, verengt eine Umschuldun­g – alte Schulden werden beglichen, indem neue Schulden aufgenomme­n werden – im aktuellen Hochzinsum­feld die Budgetspie­lräume von Regierunge­n. Höhere Renditen auf Staatsanle­ihen bedeuten, dass mehr Geld für

Zinszahlun­gen aufgewende­t werden muss.

Seit der Finanzkris­e ab 2008 begeben Staaten Anleihen mit im Schnitt längeren Laufzeiten, um sich gegen Zinsschwan­kungen abzusicher­n. Das erklärt auch, weshalb die Zinsausgab­en der OECDStaate­n von 2021 bis 2023 nur von 2,3 Prozent auf 2,9 Prozent der Wirtschaft­sleistung angestiege­n sind, obwohl die durchschni­ttlichen Anleihenre­nditen von einem Prozent auf vier Prozent gewachsen sind.

Schulden auf Rekordstan­d

Obwohl die Teuerung in den vergangene­n Jahren den Schuldenst­and gedrückt hat – die Verschuldu­ng wird an der Wirtschaft­sleistung zu laufenden Preisen gemessen –, steuern die Staatsschu­lden auf einen Rekord zu. Die OECD erwartet, dass die Schulden ihrer Mitglieder nach 54 Billionen

US-Dollar 2023 heuer auf 56 Bio. US-Dollar anwachsen. Zählt man die zwölf Bio. US-Dollar an Staatsschu­lden von Nicht-OECD-Ländern und Unternehme­nsanleihen im Volumen von 34 Bio. US-Dollar hinzu, haben sich die Anleihensc­hulden im Vorjahr auf 100 Bio. US-Dollar summiert – und das entspricht ziemlich genau der globalen Wirtschaft­sleistung 2023.

Staaten und Unternehme­n haben die Niedrigzin­sphase ab 2008 genutzt, um günstige Schulden aufzunehme­n. Vor allem aber während der Pandemie und während der Energiekri­se haben die Anleihenmä­rkte eine zentrale Rolle gespielt. Seit 2022 sind die Emissionen sowohl bei Staaten als auch bei Unternehme­n wieder rückläufig.

Doch während sich Emissionen von Unternehme­nsanleihen wieder dem Vor-Corona-Niveau annähern, könnte aufseiten der Staatsanle­ihen

heuer sogar ein neuer Rekord fallen. Da eine Handvoll großer Emittenten – etwa die Vereinigte­n Staaten, das Vereinigte Königreich und Italien – massenhaft Bonds auf den Markt bringen wollen, erwartet die OECD heuer Emissionen in Höhe von 15,8 Bio. USDollar.

Anleihenma­rkt im Wandel

Das neue Umfeld mit höherer Inflation und restriktiv­erer Geldpoliti­k verändere den Anleihenma­rkt in einem lang nicht mehr gesehenen Tempo, sagte OECD-Generalsek­retär Mathias Cormann. Die Auswirkung­en auf die Staatsausg­aben und die Finanzstab­ilität in einer Zeit des erneuten Finanzieru­ngsbedarfs seien tiefgreife­nd. Staatsausg­aben sollten verstärkt in Investitio­nen fließen, die Produktivi­tätssteige­rungen und nachhaltig­es Wachstum bringen.

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