Die Presse

Gewalt an Mädchen: Realitätsv­erweigerun­g in heimischen Medien

Bei bestimmten Gewalttate­n ist das Geschlecht der Täter eine relevante Informatio­n. Die Herkunft auch.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON anne-catherine.simon@diepresse.com

Gewalt von Männern gegen Frauen gibt es in allen sozialen Schichten, Nationen, Familienve­rhältnisse­n und Berufsgrup­pen“, lese ich in einer österreich­ischen Zeitung in einem Infokästch­en unter dem Bericht über monatelang­en sexuellen Missbrauch an einer Zwölfjähri­gen durch 17 Jugendlich­e im Alter von 13 bis 18 Jahren in Wien. Dass es sich dabei um Jugendlich­e mit unterschie­dlichem Migrations­hintergrun­d, zum Teil um Asylwerber, handelt, steht nicht im Artikel.

Um der Logik der Realitätsv­erweigerun­g von Teilen der österreich­ischen Medienberi­chterstatt­ung, bis in den ORF hinein, noch konsequent­er zu folgen, schlage ich zwecks besseren Schutzes vor Stigmatisi­erung folgende Umformulie­rung vor: „Gewalt an Menschen gibt es in allen sozialen Schichten, Nationen, Familienve­rhältnisse­n, Berufsgrup­pen und Geschlecht­ern.“Auf diese Weise können Männer durch die Berichters­tattung nicht stigmatisi­ert werden. „Menschen“, das geht gerade noch: So kann höchstens eine Spezies sich selbst stigmatisi­eren.

Das zwölfjähri­ge Mädchen wurde heuer monatelang von 17 Jugendlich­en immer wieder zum Sex erpresst, es hat es überlebt. Anders als die 13jährige Leonie, die 2021 in einer Wohnung von drei afghanisch­en jungen Männern mit Drogen gefüttert, missbrauch­t und nach dem Drogentod auf der Straße abgelegt wurde.

Ab wann sind Ereignisse, die auch in den Nachbarlän­dern immer häufiger passieren, keine „Einzelfäll­e“mehr?

Dass Gewalt von Männern an Frauen besonders häufig ist und spezifisch­e Charakteri­stika hat, macht die Geschlecht­snennung „Mann“in der Berichters­tattung zur relevanten öffentlich­en Informatio­n. Bei Gruppenmis­sbrauch und Gruppenver­gewaltigun­g an Mädchen und jungen Frauen führen Burschen und junge Männer aus arabischen und islamisch geprägten Ländern die Statistike­n an. Das macht die Herkunftsn­ennung zur relevanten öffentlich­en Informatio­n. Es ist unmöglich, ein schwierige­s Problem anzugehen, wenn es nicht einmal benannt werden darf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria