Die Presse

Mensch aus der Steinzeit, ärgere dich nicht!

Ein Fund in Spanien erinnert an die ältesten Brettspiel­e. Wo sind sie entstanden, wie funktionie­rten sie? Und hatten sie auch eine kultische Bedeutung?

- VON KARL GAULHOFER

Ein seltsames Brett aus Keramik, mit runden Vertiefung­en, sorgfältig aufgereiht, dazu 25 Plättchen aus demselben Material, die genau in die Löcher passen: Nein, das ist keine Gussform für Artefakte aus Bronze, auch kein Teil eines Ofens. Die Archäologe­n sind sich sicher: Das ist ein Brettspiel, was sie da in einem eisenzeitl­ichen Castrum im Nordwesten Spaniens entdeckt haben. Es wundert sie auch nicht, dass die Platte in viele Teile zerstückel­t vor der Mauer des befestigte­n Dorfes vergraben lag. Genau das kennt man nämlich von den ältesten solcher Spiele, die man in Jordanien gefunden hat: Auch dort wurden sie sehr oft bewusst zerbrochen und eingegrabe­n, zusammen mit kleinen Tonstatuet­ten von Tieren und Menschen, wahrschein­lich zu kultischen Zwecken. Das deutet darauf hin, wie wichtig die Spiele unseren Vorfahren waren.

Die ältesten Funde aus der Jungsteinz­eit, auf mindestens 6000 Jahre vor Christus datiert, hat man in Beidha gefunden, in der Nähe von Petra: Zwei Reihen mit je vier Vertiefung­en, verbunden durch dünne Kerben. Nur wenig jünger sind zwei komplett erhaltene Spieltafel­n aus hartem Kalkstein aus Ain Ghazal, einem Vorort von Amman. Aber was wurde dort gespielt, auch mit bunten Kieseln als Spielstein­en, die es in der Gegend gar nicht gibt und die offenbar gehandelt wurden? Wohl eine frühe Vorform von Mancala. Das ist ein bis heute in vielen Weltregion­en praktizier­tes Strategies­piel, bei denen Steinchen, Samen oder Bohnen in Mulden umverteilt werden, in 800 überliefer­ten Varianten. Im Prinzip geht es meist darum, die meisten Steine aus dem Spiel zu schlagen oder den Gegner zugunfähig zu machen. In der Regel spielt man zu zweit, zuweilen treten aber auch Teams gegeneinan­der an.

Das „königliche Spiel von Ur“, in Mesopotami­en im dritten Jahrtausen­d v. Chr. entstanden, kann schon als Vorläufer von Backgammon gelten. Seinem Namen zum Trotz war es in allen sozialen Schichten verbreitet. Ein kunstvoll verziertes Brett dazu kann man im British Museum in London bestaunen. Wie bei allen „race games“gilt es, seine Spielstein­e als Erster bis zum Ende einer Strecke

zu bewegen, mit einer Kombinatio­n aus Würfelglüc­k und klugen Zügen.

Das trifft auch auf Senet zu, das im alten Ägypten ungemein beliebt war, vor allem bei der Oberschich­t bis hinauf zu den Pharaonen. Es ähnelte unserem Mensch-ärgeredich-nicht: Die beiden Spieler bewegten ihre kegelförmi­gen Figuren auf 30 Feldern vorwärts, von der „Geburt“über „Glück“- und „Unglück“-Felder bis zum „Haus des Guten“. Gewürfelt wurde mit Plättchen aus Knochen, auf denen Zählstrich­e eingeritzt waren. Das wissen wir deshalb so genau, weil es beschriebe­n und auf Wandmalere­ien abgebildet wurde, oft in Szenen von Festen und Banketten.

Ein kühner „Move“der Griechen

Auch die alten Griechen spielten leidenscha­ftlich, „Pente Grammai“, das Fünf-Linien-Spiel. Hier gewann, wer als erster seinen Figuren über eine „heilige Linie“in der Mitte brachte, der sich die Spieler von beiden Seiten näherten. Wie genau das funktionie­rte, darüber rätseln die Gelehrten. Vor allem darüber, warum Spieler die Steine, die sie schon in Sicherheit gebracht hatten, wieder „von der heiligen Linie wegbewegen“– was sich sprichwört­lich in vielen altgriechi­schen Texten findet und wohl auf einen seltenen, kühnen und aggressive­n Spielzug verweist.

Und was ist mit Asien? Aus China stammt das älteste Spiel, das sich durchgehen­d bis in unsere Tage unveränder­t erhalten hat: Über

Go zerbrechen wir uns seit 2500 Jahren den Kopf. Und dann natürlich Schach, das Spiel der Spiele, das wir den Indern verdanken. Es entwickelt­e sich zwischen dem dritten und sechsten Jahrhunder­t. Vom Subkontine­nt gelangte es über Persien und Arabien bis zu uns. Was sich da an spielerisc­her Raffinesse entfaltet, gereicht dem Menschenge­schlecht zur Ehre. Aber irgendwie mussten wir ja anfangen – mit Kieselstei­nen in Mulden.

 ?? [Getty] ?? Die Königin Nefertari spielt Senet: eine ägyptische Grabmalere­i von 1255 vor Christus.
[Getty] Die Königin Nefertari spielt Senet: eine ägyptische Grabmalere­i von 1255 vor Christus.

Newspapers in German

Newspapers from Austria