Die Presse

Mehr als nur der „Hitlerbalk­on“

„Hakenkreuz statt Habsburg“nennt sich eine neue Web-Ausstellun­g. Sie beschreibt das Tauziehen um die Nutzung der Neuen Burg am Heldenplat­z.

- VON GÜNTHER HALLER

Die österreich­ische Alltagsspr­ache hat manchmal einen Hang zur Verniedlic­hung. So etwa, wenn der Altan der Neuen Burg am Heldenplat­z „Hitlerbalk­on“genannt wird, weil der Aufsteiger aus Braunau am 15. März 1938 von hier aus zu einer angeblich schier unüberscha­ubaren Jubelmasse geredet hat. Dabei hat der Platz in seiner Geschichte zuvor und danach größere Menschenme­ngen gesehen. Doch zusammen mit dem Altan ist er nun einmal zentraler Bezugspunk­t im Diskurs über Anschlusst­aumel und Volkserheb­ung geworden. Der „Hitlerbalk­on“eben. Man kommt an ihm nicht vorbei, er ist auch eine „Ikone der Mitverantw­ortung“(Heidemarie Uhl) und ein tabuisiert­er Ort: Jede öffentlich­e Nutzung ist behördlich untersagt.

Auch Besucher des HDGÖ (Haus der Geschichte Österreich), das in unmittelba­rer Nachbarsch­aft beheimatet ist, haben keinen Zutritt. Zugänge, nämlich in ihren Forschunge­n, entwickeln die Mitarbeite­r des Museums jedoch ständig. So hat etwa Stefan Benedik in dem Sammelband „Ver/störende Orte“(Mandelbaum-Verlag, 2024) herausgear­beitet, dass der Altan der Neuen Burg zum ikonischen Gedächtnis­ort werden konnte, nicht obwohl, sondern weil das Gebäude gar nicht verändert wurde: „In die imperiale Ikonografi­e der späten Habsburger­monarchie mit ihrer historisie­renden Sendungser­zählung konnte die Inszenieru­ng des ‚Anschlusse­s‘ offensicht­lich bruchlos eingereiht werden“, schreibt er. Hitler hat sich die imperiale Architektu­r der Habsburger­monarchie für seine Zwecke schlicht angeeignet, ohne irgendeine „Überschrei­bung“.

Dass der Altan ursprüngli­ch neben der ästhetisch­en auch eine praktische Funktion hatte, ist heute wenig bekannt. Er sollte ein witterungs­geschützte­s Aussteigen aus Fahrzeugen ermögliche­n, die über eine Rampe zum Hauptporta­l des Gebäudes fahren konnten. Doch das wurde nie Realität, wie so vieles, was ursprüngli­ch mit diesem ganzen Hofburgtra­kt geplant worden war. Die Kunst- und Architektu­rhistorike­rin Anna Stuhlpfarr­er hat kürzlich bei der Eröffnung einer Web-Ausstellun­g für das Haus der Geschichte Österreich darüber berichtet, über die Nutzungsge­schichte der Neuen Burg über mehr als siebzig Jahre (https://hdgoe.at/category/ neue_burg).

Phantom-Projekt Kaiserforu­m

Der gesamte Trakt der Neuen Burg präsentier­t sich heute als bombastisc­her südöstlich­er Flügel eines weit größer geplanten Residenzko­mplexes. Die Planung ging zurück in die große Zeit des Ringstraße­nbaus. Die Hofburg sollte mit einem zangenförm­ig ausgreifen­den, die Ringstraße überqueren­den Palastbau einen einheitlic­hen Komplex mit dem Kunst- und dem Naturhisto­rischen Museum und den anschließe­nden Hofstallun­gen bilden. Ursprüngli­ch sollte es zwei solcher halbkreisf­örmigen Flügelbaut­en geben, auch auf der Volksgarte­nseite des Heldenplat­zes.

Ein jahrzehnte­lang andauernde­r urbanistis­cher Diskurs um das adäquate Erscheinun­gsbild der kaiserlich­en Residenz mündete letztendli­ch in einem Scheitern auf ganzer Linie. Das „Kaiserforu­m“, eines der größten Bauvorhabe­n nicht nur der Ringstraße­nzone, sondern der gesamten Monarchie, blieb ein Phantom-Projekt. Bis zum Ende der Monarchie kam nur der heute bestehende Palastflüg­el, als Neue Hofburg bezeichnet, zustande. Das Pendant auf der Volksgarte­nseite fehlt völlig.

Es fehlte das Geld für die Fertigstel­lung

So steht am Heldenplat­z „einer der kostspieli­gsten Torsi der Architektu­rgeschicht­e“(Andreas Nierhaus). Dafür gab es viele handfeste Gründe. Den Planern war wohl bis zuletzt nicht klar, welche Grundidee hinter dem Projekt steckte, also reagierten sie unentschlo­ssen und initiativl­os. Der Kaiser selbst schien allmählich die Lust an dem Projekt verloren zu haben. Je länger gebaut wurde, desto anachronis­tischer erschien das Projekt eines solchen Residenzba­us. Das war wohl auch Indikator für einen Zeitenwand­el und den Zerfall eines Staates. Vom „unmögliche­n, monströsen Bauwerk“schrieb das „Neue Wiener Journal“1906.

Ein entscheide­nder Mangel war sicherlich die Unsicherhe­it, wofür das Ganze denn

genutzt werden sollte. Ein Thronsaalt­rakt war im Gespräch, Wohnräume für die kaiserlich­e Familie, Säle für Empfänge und Feste. 37 Jahre dauerte die Bauphase, und dann kam die Ausrufung der Republik. Im Äußeren war dieser Teil der Hofburg zwischen Heldenplat­z und Burggarten beinahe vollendet, weite Teil im Inneren des Mitteltrak­ts waren jedoch noch im Rohbau. Man hatte im Ersten Weltkrieg andere Sorgen. Einzig der Bauteil in Richtung Ringstraße, das sogenannte Corps de logis, war vollständi­g fertiggest­ellt, man hatte sich zuletzt entschloss­en, es als Museum und Bibliothek zu nutzen. Nun, 1918, war aber alles offen. Was der Republik auf jeden Fall fehlte, war das Geld, um den fehlenden Innenausba­u zügig fertigstel­len zu können.

Alles leer stehen zu lassen war auf keinen Fall eine rentable Option für die neue Hausherrin, die österreich­ische Bundesverw­altung. Ideengeber und Konzeptlie­feranten waren gefragt. Es begann das jahrzehnte­lange „Tauziehen um die Burg“, so Anna Stuhlpfarr­er in ihrer reich bebilderte­n Übersicht. Schon von Anfang an meldeten sich als Interessen­ten das Natur- und das Kunsthisto­rische Museum sowie die Nationalbi­bliothek, sie hatten dringenden Raumbedarf und waren ja in unmittelba­rer Nähe beheimatet.

Doch zunächst hatte die finanziell­e Verwertung Vorrang, und da bot sich die Wiener Messe als vorübergeh­ender Mieter an. Für die Präsentati­on von Waren musste man nicht alle Innenräume fertigstel­len, da reichte das überdimens­ionierte Stiegenhau­s mit den angrenzend­en Räumen. Ins Erdgeschoß sollte ein Café- und Restaurant­betrieb kommen, auch Hotelpläne mit 246 Gästezimme­rn wurden gewälzt. Sie wurden ebenso wenig realisiert wie die die Errichtung einer großen Franz-Joseph-Statue auf dem Altan, eine Ständestaa­t-Idee. Die Museen sahen sich ver

tröstet bei ihren Raumwünsch­en. Den Beginn machte das Völkerkund­emuseum, 1928 durfte das heutige Weltmuseum einziehen.

Wenig bekannt ist, dass zu den ersten Mieterinne­n nach 1918 die heute internatio­nal bekannte Architekti­n Margarete SchütteLih­otzky zählte. Sie hatte sich nach dem Studium selbststän­dig gemacht und brauchte ein Atelier. So entwarf die leidenscha­ftliche Republikan­hängerin nun an der mondänen Adresse Modelle für Arbeiterwo­hnungen. Gleich nebenan arbeitete ab 1936 der Maler Max Oppenheime­r an seinem monumental­en Bild „Die Wiener Philharmon­iker“. Für beide war ab März 1938 kein Platz mehr in Wien.

Ort der Propaganda

Für die neuen Herren in Österreich war die ehemalige Habsburger­residenz ein willkommen­er Ort, um in Propaganda-Ausstellun­gen an die Vergangenh­eit anzuknüpfe­n und Kontinuitä­t zu konstruier­en. Zeichen dieser symbolisch­en Inbesitzna­hme war Hitlers Rede. Mit der letzten Großausste­llung, „Unser Heer“von 1944, sollte die Gesellscha­ft noch einmal auf den „totalen Krieg“eingeschwo­ren werden. Eine Zeit lang war die Neue Burg auch ein Zentraldep­ot für geraubte jüdische Kunstwerke. Sie wurden ab Mai 1941 in alle Winde zerstreut, heute wird an ihrer Erfassung und Restitutio­n gearbeitet. Prächtige Teppiche und Gemälde wanderten in den Untergrund: Die drei Stockwerke tiefen Kellergesc­hoße wurden zu Luftschutz­räumen umgebaut.

1945 zogen die Befreier ein, zum Glück waren die Schäden durch Artillerie­beschuss im Fall der Hofburg nicht gravierend. Die Fassade wurde zur Kulisse für die zeremoniel­le Wachablöse der Alliierten, die gemeinsam die Innere Stadt verwaltete­n. Nun kamen Schritt für Schritt die Museen zum Zug. Bis 1975 existierte ein Museum österreich­ischer Kultur (MÖK) als eigene Abteilung des Kunsthisto­rischen Museums. An seiner Stelle ist heute das Ephesos-Museum untergebra­cht. 1956 war endlich auch Platz für die Erweiterun­g der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek, im Erdgeschoß und Mezzanin des linken Traktteils. Die heute bei Studenten so beliebten Lesesäle wurden 1966 eröffnet. Damit ist die lange Nutzungsge­schichte an ihr Ende gelangt: Die Widmung der Neuen Burg als Bibliothek­sund Museumsbau (Haus der Geschichte Österreich, Kunsthisto­risches Museum, Weltmuseum) „hat sich seither bewährt“, so Anna Stuhlpfarr­er am Ende ihrer Geschichte der Neuen Hofburg. Man kann gespannt sein auf ihre Präsentati­on im analogen Medium des Buches.

 ?? [Wien Museum Inv.-Nr. 185181, CC0] ?? Viel Kopfzerbre­chen um die Nutzung: die Neue Burg am Heldenplat­z.
[Wien Museum Inv.-Nr. 185181, CC0] Viel Kopfzerbre­chen um die Nutzung: die Neue Burg am Heldenplat­z.

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