Ein modernes Märchen für die Medizin?
Psychedelische Substanzen, etwa aus Magic Mushrooms oder LSD, polarisieren. Ihr Verbot heißt, auf mögliche Heilwirkung bei Depressionen oder Suchterkrankungen zu verzichten. Überwiegen Chancen oder Risiken?
Alice beißt von verschiedenen Seiten in einen Pilz, verändert ihre Größe und erlebt in ihrem Wunderland allerlei skurrile Dinge. Sie trifft einen Diener mit Fischgesicht, das Baby der Herzogin gleicht immer mehr einem Ferkel und das Grinsen der Katze scheint zu bleiben, selbst wenn diese verschwunden ist. Lewis Carolls Erzählung wird gern als Beschreibung eines Trips nach dem Konsum bewusstseinsverändernder Drogen diskutiert. Ob das zutrifft, bleibt freilich offen.
Was könnte Alice gespürt haben im Rausch des Pilzes? „Ist die Dosis ausreichend hoch, kommt es zu sogenannten ,Out of body‘-Erlebnissen. Die Leute glauben, sie verlassen ihren Körper, sehen sich zum Teil selbst. Sie erleben optische Verzerrungen oder Wahrnehmungsstörungen beim Hören“, schildert Hans-Günther Knaus, Direktor des Instituts für Pharmakologie der Med-Uni Innsbruck. Was genau passiere, wenn man psilocybinhaltige Pilze, sogenannte Magic Mushrooms, konsumiere, sei jedoch individuell sehr verschieden – und auch von der momentanen Stimmung abhängig.
Elektroschocks als Therapie
In der Fachwelt wird Psilocybin schon länger, teils sehr überschwänglich, als Heilmittel diskutiert. Knaus fragt daher am 15. März in einem Vortrag anlässlich der „Woche des Gehirns“(siehe Lexikon) nach der Wirkung von LSD und Magic Mushrooms bei psychiatrischen Erkrankungen. Große Chancen sieht er etwa bei der Behandlung schwerer Depressionen: „Allein jede vierte gebildete Frau mit hohem sozialen Status wird krank. Wir können aber nur circa 85 bis 90 Prozent aller Betroffenen helfen, der Rest bleibt unter-therapiert, geht zum Teil in den Suizid, zum Teil in die Elektrokonvulsion.“Dabei werden durch Elektroschocks
Krampfanfälle ausgelöst – die derzeit wirksamste Maßnahme bei der Behandlung schwer depressiver Menschen. Möglicherweise könnten psychedelische Substanzen aber schon in einem früheren Stadium der Erkrankung helfen. Fest stünde jedenfalls, dass es seit fünfzig Jahren in der Behandlung der Depression keine substanziellen pharmakologischen Fortschritte gebe, so Knaus.
An das Potenzial von Psylocibin glaubt auch der Wiener Psychiater Matthäus Willeit von der Uni-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Med-Uni Wien. Neben
Perspektiven für die Behandlung von depressiven Erkrankungen sieht er darin einen möglichen Weg, um Ängste in der letzten Phase einer lebensbedrohlichen Erkrankung (End-of-Life Anxiety) zu reduzieren und so die Lebensqualität zu verbessern. Ähnlich wie bei Depressionen soll es dazu vielversprechende Studienergebnisse geben. Auch wenn die Menschen dadurch nicht länger lebten, sei das doch großartig. „Wir bieten Leuten etwa mit einer fortgeschrittenen Tumorerkrankung am Ende ihres Lebens gar nichts. Wir können sie gegen die Schmerzen an die Opiatpumpe hängen, aber sonst gibt es nichts“, sagt auch Pharmakologe Knaus.
Mit Drogen gegen Drogen?
Ein weiteres Hoffnungsfeld ist die Behandlung von Suchterkrankungen. Die meist überraschte Frage, ob man mit einer Droge tatsächlich ein Suchtproblem behandeln könne, hört Willeit öfter. Er selbst würde Psylocibin gern in der Forschung bei Patientinnen und Patienten mit schwer verlaufender Alkoholgebrauchsstörung, wie es im Fachterminus heißt, einsetzen. Doch das sei – ähnlich wie bei anderen Forschenden in Österreich – bisher unter anderem an der Verfügbarkeit der Substanz gescheitert. Was verboten ist, ist schwer zu bekommen, die Genehmigungsprozesse für Studien komplex.
Zum Erfolg des Konzepts gibt es teils Anekdotisches. So soll etwa Bill Wilson (1895–1971), Gründer der anonymen Alkoholiker, sein Loskommen vom Suchtmittel unter dem Einfluss von Psylocibin beschrieben haben, berichtet Knaus. Doch auch Daten würden zeigen, dass Menschen mit Suchterkrankungen, ein oder zwei Mal einem Psylocibin-Trip exponiert, beginnen, ihr eingeengtes Denken, ihr ständiges Rotieren rund um die Substanz und wie sie an sie kommen können, aufzubrechen.
Etwas skeptischer in Bezug auf Psylocibin ist der Wiener Mediziner Michael Freissmuth. Er leitet das Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der Med-Uni Wien und hält den Hype der Fachwelt rund um die frühere Hippie-Droge für „dramatisch übertrieben“. Einzelne Gruppen in Großbritannien, der Schweiz oder den USA propagieren die Therapien stark. Ja, es scheine durchaus interessante Effekte zu geben, doch die Blase werde platzen – und Psylocibin schließlich seinen Platz als eine weitere Behandlungsoption – neben anderen – finden, sagt Freissmuth. Er verweist zudem etwa auf zu geringe Fallzahlen bei Studien, schwierige Versuchs-Settings und fehlende statistische Nachweise zur Wirksamkeit.
Zulassung erwartet
Willeit hingegen hält die Datenlage für „mittlerweile sehr gut“. Multizentrische klinische Studien in Deutschland und den USA würden zeigen, dass die Substanzen wirken. Doch auch er will in psychedelischen Substanzen kein Zaubermittel sehen. Und auch Knaus sagt: „Es wird kein Wundermittel für alle, aber es wird Menschen geben, die davon einen therapeutischen Vorteil haben.“
Und wie schätzen die Experten nun die Risiken ein? „Es gibt keine Wirkung ohne Nebenwirkung“, sagt Willeit. Dennoch: Die Toxizität, also Giftigkeit sei gering. Psylocibin sei sehr sicher, habe eine große therapeutische Breite und sei ohne besondere körperliche Risiken. Die mitunter verbreitete Angst, es könne psychiatrische Krankheiten wie Psychosen auslösen, hält er für unbegründet. Außerdem mache Psilocybin körperlich nicht abhängig, sagt Knaus. „Es ist nicht wie bei anderen Substanzen, dass man es sofort wiederhaben will“, so Willeit. Er glaubt, dass die Zulassung „nicht mehr lang dauern“werde.
Überhaupt erlebt der Einsatz von Psylocipin und Ähnlichem eine Renaissance. Die Nutzung psychedelischer Substanzen sei weit älter als ihr Verbot, schildert Knaus. „Sie wurden seit Jahrtausenden in unterschiedlichen Kulturen angewandt.“Auch die alten Griechen hätten die Rauschmittel zu nutzen gewusst, erste Belege sollen gar bis in die Zeit der Höhlenmalerei zurückreichen. „Doch die jungen, gegen den Vietnamkrieg protestierenden Amerikaner konnte man nicht einsperren fürs Demonstrieren, aber sehr wohl für ihren Drogenkonsum.“
US-Präsident Richard Nixon rief Anfang der 1970er-Jahre einen „War on Drugs“aus. Halluzinogene und andere Drogen wurden kriminalisiert. „Damit war Forschung an psychodelischen Substanzen nicht mehr möglich – und damit konnte man diese auch nicht mehr an Patientinnen und Patienten anwenden“, erzählt Knaus.
Dem Pharmakologen ist es – „nach großem Papierkrieg“– gelungen, Psilocybin für erste Versuche zu bekommen. Freilich, er forscht nicht an Patientinnen und Patienten, sondern in vitro, also im Labor. Dort will er verstehen, welchen Einfluss die Substanz auf das Gehirn hat.
Pilze in USA und Australien
In einzelnen österreichischen Forschungsgruppen in Wien und Graz scheint man sich überhaupt schon auf klinische Studien vorzubereiten. Ein Risiko eingehen will dabei niemand. Aber eben auch keine Chance verpassen, den Patientinnen und Patienten für ihre Leiden vielleicht eine bessere Behandlung zu bieten.
Der Westküstenbundesstaat Oregon ist indes seinen eigenen Weg gegangen: Dort sind die Pilze legal verwendbar. Und Australien hat im Juli 2023 Psylocibin als Medikament zugelassen. Aber auch dort polarisierte die Zulassung stark. Eine Kritik: Zu viele Fragen an die Forschung seien noch offen.