Wie werden Bäume als Klimaarchiv genutzt?
Bäume sind die langlebigsten Lebewesen auf Erden. Ihre Jahresringe verraten viel über den Zustand der Atmosphäre in der Vergangenheit.
Bäume wachsen ihr Leben lang und „protokollieren“so Wetterverhältnisse als objektive Beobachter über Jahrhunderte hinweg. Das macht sich die Dendroklimatologie zunutze, um vergangene Klimaverhältnisse zu rekonstruieren. Aber wie?
„Wir lesen in den Jahrringen“, sagt Rupert Wimmer von der Boku Wien, der das Jahrringlabor hier mitaufgebaut hat. Er und sein Kollege Michael Grabner waren Teil eines 67-köpfigen Teams um die Schweizer Dendroklimatologin Kerstin Treydte, das anhand von hunderten Baumproben von 45 Standorten in Europa kürzlich gezeigt hat, dass die Lufttrockenheit aktuell im Vergleich zur vorindustriellen Zeit außergewöhnlich hoch und zu 98 Prozent menschgemacht ist (Nature Geoscience). Das bedroht Ökosystemfunktionen, lässt landwirtschaftliche Erträge sinken und die Waldbrand- und Dürregefahr steigen.
Jahresringe bilden sich bei Bäumen in Weltregionen mit Jahreszeiten. Nach der Winterpause geht es los: Das Kambium, eine Gewebeschicht unter der Rinde, bildet nach innen hin das Holz. „Bei der Zellteilung – eine Teilung pro Nacht je Zelle – sind Umweltbedingungen wichtig“, erklärt Wimmer. „Über die Blätter wird CO2 aufgenommen, Wasser vor allem über die Wurzeln. Der Kohlenstoff bzw. Wasserstoff und Sauerstoff daraus werden in die Holzsubstanz eingebaut.“Gleichzeitig geben Bäume Sauerstoff an die Umwelt ab. „Weil die Zellwände im Sommer dicker werden und deshalb dunkler aussehen, kann man die Jahrringe bei Bäumen wie Kiefer oder Eiche deutlich sehen.“Je heißer und trockener ein Sommer, desto weniger Wachstum ist zu erwarten. Jeder Jahresring
kann einem Kalenderjahr zugeordnet werden. So entstehen kontinuierliche Chronologien. In der Dendroklimatologie rekonstruiert man nun über das Wachstumsverhalten von Bäumen klimatische Bedingungen. Eine ebenfalls wichtige Informationsquelle ist die Dichte der Zellwände, die stark von der Temperatur abhängen kann. Wimmer: „Jahrringe geben auch Hinweise darauf, dass die Variabilität des Klimas zunimmt.“
Trocken wie seit 400 Jahren nicht
Die Untersuchung zur Lufttrockenheit basierte auf einem neuen Ansatz. Im Zentrum standen chemische Messungen. Das Team stellte ein europaweites Netzwerk an Chronologien über 400 Jahre her, in dem das Verhältnis von schweren und leichten Sauerstoffisotopen in der Zellulose der Holzproben abgebildet wird. Dieses verändert sich bei Trockenheit und erlaubt Aussagen über das „Dampfdruckdefizit“– der Unterschied zwischen dem tatsächlichen und dem maximal möglichen Wassergehalt der Luft. Dieser „Wasserdurst“der Luft, durch den Wasser aus Boden und Pflanzen gezogen wird, wird durch das Sauerstoffisotopenverhältnis in den Jahresringen genau angezeigt.
Die Wiener Forscher analysierten Proben von Schwarzkiefern (Wiener Becken), Eichen (Lainzer Tiergarten) und Lärchen (Dachstein-Region). In Kombination mit Modelsimulationen und Direktmessungen ergaben sich in der Studie schließlich auch regionale Unterschiede. Am meisten, so Wimmer, habe der Wasserdurst der Luft in den zentraleuropäischen Tiefländern sowie den Alpen und Pyrenäen zugenommen: „Österreich zeigt als alpines Land einen stärkeren Anstieg bei der Trockenheit als etwa skandinavische Länder.“Ein Trend, der leider anhalte.
„Bäume sind neutrale Beobachter. Sie wachsen mit dem, was sie haben. Das lässt sich nicht beeinflussen.“
Rupert Wimmer, Holztechnologe, Boku Wien