Ein Grundbaustein des Lebens
Die Steirerin Andrea Rentmeister forscht an der Ludwig-Maximilians-Universität München an grundlegenden Mechanismen der Boten-RNA (mRNA). Zuletzt gelang es ihr, deren Funktion mittels Licht zu steuern.
Die Boten-Ribonukleinsäure, kurz mRNA, erfuhr durch die Entwicklung der Covid-Impfung einen Bekanntheitsschub. Was deshalb selbst Laien gelegentlich zu Kommentaren über darauf basierende Technologien anregt, ist jedoch höchst komplexe Materie. In jeder Körperzelle wird DNA, die Trägerin der Erbinformation, zu mRNA transkribiert. Die mRNA wiederum wird zu Proteinen translatiert, die notwendig sind für alle zellulären Vorgänge. Sie ist also Überbringerin genetischer Informationen innerhalb der Zelle und somit ein Grundbaustein des Lebens. Um das Geheimnis aller beteiligten biochemischen Prozesse zu lüften und ihre Wirkweise – für welchen Zweck auch immer – sicher nutzen zu können, ist es ein langer Weg.
Damit die mRNA sich nicht zu schnell abbaut, behandeln wir sie im Labor wie ein rohes Ei. Eine unabsichtliche Berührung, und der ganze Modellaufbau ist futsch.
Andrea Rentmeister, Chemikerin, LMU
Die Wissensgenerierung beginnt damit, mRNA in der Zelle aufzuspüren, zu markieren, ihre Dynamik zu beobachten und zu analysieren. „Letztlich möchten wir sie natürlich kontrollieren, doch dazu muss man erst das ganze System vollständig verstehen“, sagt Andrea Rentmeister. „Das erfordert viele, viele Schritte, an denen seit über dreißig Jahren akribisch geforscht wird.“
Punktgenaue Beeinflussung
Auch sie beschäftigt sich schon fast zwanzig Jahre damit. Seit Beginn dieses Jahres ist die Grazerin Professorin am Institut für Chemische Epigenetik (ICEM) der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, davor war sie zehn Jahre lang Professorin für biomolekulare Markierungschemie an der Universität Münster. Zuletzt ist sie ihrem Ziel, die Translation ausgewählter synthetisch hergestellter mRNA-Moleküle in Proteine punktgenau zu beeinflussen, ein großes Stück näher gerückt. Dazu hat sie mit ihrem Team sogenannte Flash-Caps konstruiert.
„Oben ist eine Kappe“
„mRNA ist ziemlich lang und hat Tausende Bausteine“, erklärt sie. „Oben ist eine Kappe, unten ein Schwanz. Um die mRNA zu kontrollieren, haben wir mit unserer Modifikation an der Kappe angesetzt, weil diese von zentraler Bedeutung ist für bestimmte Interaktionen mit Proteinen sowie nicht zuletzt für die Stabilität der mRNA.“Mit der ist es nämlich nicht weit her. „Eine unabsichtliche Berührung, und der ganze Modellaufbau ist futsch“, schmunzelt die Biochemikerin. „Damit sie sich nicht zu schnell abbaut, behandeln wir die mRNA im Labor wie ein rohes Ei.“
Rentmeisters Team hat ein chemisch hergestelltes Molekül mit einer sogenannten Photoschutzgruppe versehen und bei der RNASynthese wie ein Trojanisches Pferd als Kappe in die mRNA eingebaut. Es hemmt die Translation fast völlig, doch eine Bestrahlung mit Licht hebt die Blockade wieder auf. „Wegen des dabei aufblitzenden Laserlichts haben wir das Molekül
Flash-Cap genannt“, schildert Rentmeister. Durch das Verfahren lasse sich die Translation präzise steuern. „Damit haben wir ein Werkzeug, um zu ermitteln, welche Proteine welche Funktionen erfüllen und was passiert, wenn diese nur in bestimmten Bereichen aktiviert werden.“
Das Besondere an der neuen Strategie: „Es ist keine Veränderung der mRNA-Sequenz nötig. Nach der Lichtaktivierung liegt diese in ihrer ursprünglichen molekularen Struktur vor, was die Untersuchung natürlicher Prozesse in Zellen erleichtert.“Dies könne anderen Forschern zugutekommen, wie beispielsweise Entwicklungsbiologen, die zelluläre Vorgänge in ausgewählten Regionen eines sich entwickelnden Embryos verstehen wollen. Im Prinzip könne jedes Labor nun Flash-Caps einsetzen.
An der LMU will Rentmeister dieses Konzept ergänzen durch andere, nicht lichtinduzierte Aktivierungsmöglichkeiten. Auch wird sie ein weiteres ihrer Werkzeuge voranbringen, das der Kartierung von mRNA-Modifikationen dient. Vorzüge, über die sie sich an ihrer neuen Arbeitsstelle sehr freue, seien der Sonderforschungsbereich zur Nukleinsäuremodifikation, den die LMU leitet, und die besonders große Bandbreite der hier ansässigen multidisziplinären Expertise auf diesem Gebiet.
Passion fürs Fechten
Rentmeister wurde akademisch fast vollständig in Deutschland sozialisiert. An der TU Graz hat sie nur den ersten Abschnitt ihres Chemiestudiums absolviert, dann ging es weiter nach Bonn, wo sie auch promovierte. Grund dafür war ihre Passion für das Fechten, denn diese konnte sie auf entsprechendem Niveau am besten am Bonner Bundesleistungszentrum mit der Chemie verbinden. Was im Jahr 2000 im 13. Platz bei den Olympischen Spielen in Sidney gipfelte. Eine weitere Weiche stellte ihre PostdocZeit bei der späteren Nobelpreisträgerin Frances H. Arnold am Caltech in Kalifornien. „Hier entschied ich, nicht in die Industrie zu gehen, sondern akademisch zu forschen.“
In Deutschland schätzt Rentmeister das Bestreben, durch die
Förderung von Exzellenzclustern und großen Forschungsverbünden wissenschaftliche Leuchttürme zu schaffen. Dass sie im Vorjahr zum korrespondierenden Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse im Ausland gewählt wurde, sorgt nun für eine Reaktivierung des akademischen Austausches mit der Heimat.