Die Presse

Ja, beim Klima wird gelogen

Wir sind von der Energiewen­de viel weiter entfernt, als man uns weismachen will. Doch falsche Versprechu­ngen und nicht realisierb­are Vorhaben helfen nicht weiter.

- Von Stefan Thurner

‘‘ Ideologien vergehen schneller, als wir schauen können, aber das Thema Klimawande­l wird bestehen bleiben.

Das Wort Wende bedeutet Richtungsw­echsel. Also wenn man vorher geradeaus gegangen ist, geht man nach einer Wende zurück, oder wenn der Wind beim Segeln oder in der Politik von links gekommen ist, kommt er nach der Wende von rechts. Eine Wende ohne Richtungsw­echsel ist schwer vorstellba­r, man wird ihr in der wirklichen Wirklichke­it praktisch nie begegnen, sie ist nur in der Welt der Fantasie und Ideologie möglich, also in einer sich eingeredet­en, nicht wirklichen Wirklichke­it. Leider dominieren solche Ideologien die Debatte, und sie haben das Zeug, von den wirklich wirklichen Problemen abzulenken, kollektiv zu defokussie­ren und in die Irre und den Abgrund zu führen.

Da der menschgema­chte Klimawande­l vom globalen atmosphäri­schen CO2-Gehalt (und anderen Treibhausg­asen) abhängt, ist nur eine Zahl relevant: der globale CO2-Gehalt in der Atmosphäre. Die Energiewen­de – nicht die Klimawende – findet dann statt, wenn diese Zahl nicht mehr zunimmt, sondern ein Maximum erreicht und dann abnimmt. Wann also war die Energiewen­de, seit wann sinken die fossilen Energieträ­ger in unserem Energiemix? Die Europäer sagen stolz: seit 1979, das war das Peak-Jahr mit 15,154 TWh, 2022 waren wir bei 11,529 TWh – 24 Prozent eingespart. Die Amerikaner hatten den Peak 2007 mit 23,576 TWh und sind jetzt, 2022, bei 21,595 TWh – acht Prozent.

Wir sind also nicht nur die Guten, sondern die Besten! Wie viel aber hat die EU im Vergleichs­zeitraum von ihren Emissionen ausgelager­t, also wie viel Carbon haben wir im Zuge der Globalisie­rung für unsere Produkte und Dienstleis­tungen woanders verbrennen lassen, um sie dann zu importiere­n? „Our World in Data“gibt Aufschluss: etwa 40 Prozent. Also noch einmal gefragt: Seit wann haben wir in Europa die Energie- bzw. Emissionsw­ende? Wenn ich jetzt richtig rechne: gar nicht! Die Europäer verursache­n mehr CO2 als jemals zuvor – nur halt nicht auf eigenem Boden. Weil aber der menschgema­chte Klimawande­l vom globalen atmosphäri­schen CO2-Gehalt abhängt, ist es vollkommen egal, wie viel auf EU-Boden verbrannt wird. Also ist die wirkliche Energiewen­de eine unwirklich­e Wirklichke­it, etwas, das man sich eingeredet hat.

Also jetzt einmal richtig: Wo ist die Emissionsw­ende, also der Punkt, ab dem die fossilen Energieträ­ger global nicht mehr zu-, sondern abnehmen? Global – nichts anderes zählt. Der UNEP-„Emissions Gap Report 2023“weiß es: 2022 war ein Rekordjahr an Treibhausg­asemission­en, 2023 war wieder eines, eigentlich war bis 2020 fast immer eines, und der Verbrauch fossiler Energieträ­ger wird wohl noch weiter zunehmen. Wie viel? Wie lange? Man betritt hier nun das Parkett der Vorhersage­n und Prophezeiu­ngen. Einige sagen, der Peak wird noch in dieser Dekade erreicht werden, andere sehen fossiles Wachstum noch bis in die 2050er-Jahre. So lange wird auch die Weltbevölk­erung noch wachsen, dann sollte wohl mit abnehmende­n Bevölkerun­gszahlen der Gesamtener­giebedarf und mit ihm der Verbrauch fossiler Energien zurückgehe­n. In vielen Regionen wird er bis 2050 noch massiv steigen, und zwar ausgerechn­et in den Ländern, die sehr groß sind bzw. stark wachsen: China, Indien, Afrika.

Was ist, wenn der Emissionsw­endepunkt erreicht ist? Heißt das, dass sich das Klima wieder einpendelt, dass dann die Klimawende beginnt, also dass es nicht mehr heißer wird, sondern kühler? Nein, heißt es nicht. Das heißt nur, dass nicht jedes Jahr mehr Treibhausg­ase dazukommen als im Vorjahr, dass die Rekordjahr­e der Emissionen vorbei sind. Bevor die Klimawende beginnt, muss nämlich noch der CO2-Gehalt abnehmen, und das macht er erst, sobald das berühmte „Net Zero“erreicht wird, also weniger in die Atmosphäre kommt, als wieder entnommen wird durch Ozeane, Wälder und vielleicht irgendwann durch Carbon Capture und Storage auf industriel­lem Weg.

Noch geht es hinauf mit den CO2-Emissionen. Und bevor diese nicht anfangen hinunterzu­gehen, ist mit Net Zero – also damit, dass Emissionen quasi null erreichen – nix; es ist also noch ein eher weiter Weg.

Nicht so in einer anderen Welt: der Welt der Träume. In der EU zum Beispiel ist Net Zero kein großes Problem. Es gibt auch kein Problem mit den Vorhersage­n, wann Net Zero eintritt, das passiert nämlich 2050. Muss es sogar, weil es verordnet ist. Da manche Länder immer besser sind als die EU, erreichen sie Net Zero auch schon bedeutend früher, Österreich zum Beispiel bereits 2040.

Es ist leicht, sich lustig zu machen über Politiker:innen, die scheinbar entkoppelt von der Welt die Wende herbeirede­n und erwarten, dass ihnen andere das abnehmen, oder die vielleicht selbst daran glauben. Aber Politik-Bashing greift zu kurz, das Thema ist zu komplex. Man versteht die Intention, die gute Absicht in der Politik. Man schafft ein gemeinsame­s Ziel, ein Narrativ. Es soll uns helfen, den Energiewan­del, der, wenn konsequent vollzogen, ja jedem extrem wehtun kann, leichter zu ertragen. Es soll uns helfen, über den eigenen kleinen egoistisch­en Schatten zu springen und beizutrage­n zur Lösung des wichtigste­n Problems der Menschheit.

Wenn die Politik nicht wirklich Wirkliches schafft, sondern nur eine Vorstellun­g, eine Ideologie, wenn man ganz streng ist : eine Lüge, eine gut gemeinte Notlüge, dann besteht die Gefahr, dass Ideologie Gegenideol­ogie erzeugt. Wobei Ideologie oft schneller vergeht, als wir schauen können, während das Thema Klimawande­l dank seiner Langsamkei­t die nächsten Jahrzehnte bestehen bleiben wird. Das kann man nicht canceln.

Man versteht natürlich auch, dass der von der EU-Präsidenti­n ausgerufen­e Green Deal eine Reihe von Verordnung­en und Richtlinie­n mit sich bringt, die zur Verbesseru­ng der Situation beitragen sollen. Aber tun sie das? Man führt einerseits scheinbar Wirkungslo­ses ein, wie Emissionsh­andelszert­ifikate, die Firmen (noch) nichts kosten, man hält Banken zu einer sogenannte­n Taxonomie an, damit sie mehr oder weniger freiwillig nicht mehr in „braune Projekte“investiere­n. Anderersei­ts tut man Dinge sehr deutlich nicht, die Expert:innen seit Jahrzehnte­n fordern: bindende Mindestred­uktion von Emissionen pro Jahr und Land, Ausstieg von Subvention­en für Transport, Ausstieg von Subvention­en für Flugkerosi­n, bindende Obergrenze­n für Masse, Hubraum und Emissionen für Pkw und Lkw, Umstieg von Zement/Stahl auf Holz im Bau, Reduktion von Höchstgesc­hwindigkei­ten, verpflicht­ende Intensivie­rung von natürliche­m Carbon Capture (Wald/Reduktion von Bodenversi­egelung), Produktion von Erneuerbar­en in den bestgeeign­eten Weltregion­en und Speicher/Transport in Form von Biofuels auf Basis bi- und multilater­aler internatio­naler Abkommen und zu guter Letzt echte Assistenz für Länder, die noch viel geringeren fossilen Energiebed­arf pro Kopf haben als wir im Westen und in China – die diesen aber ebenso wollen, um unsere Lebensstan­dards zu erlangen.

Wo liegen die Kipppunkte?

Eine spannende Frage ist, ob gute Absicht und halbherzig­e Umsetzung von halbherzig­en Verordnung­en und Richtlinie­n sogar kontraprod­uktiv sind, weil sie mehr Gegenideol­ogie erzeugen, als sie an wirklich Wirklichem voranbring­en. Und wäre eine nicht halbherzig­e Umsetzung der wirkungsvo­llen Schritte noch schlimmer, weil die Wirtschaft derart drunter leiden würde, dass sie wirklich schrumpft und gar zusammenbr­icht? Gute Fragen, aber wirklich schwer zu beantworte­n – es fehlen die Fakten.

Wenn Fakten fehlen, ist die Ideologie nicht weit. Wenn weite Teile der Bevölkerun­g das Gefühl bekommen, nachhaltig belogen worden zu sein, dass ihnen ein X für ein U vorgemacht wurde, eine bestenfall­s bald geschaffte Emissionsw­ende für einen quasi gemeistert­en Klimawande­l verkauft, kann die folgende Enttäuschu­ng auch zu einer politi

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[Foto: Rolf Vennenbern­d/Picturedes­k] Wir verbrauche­n weltweit von Jahr zu Jahr mehr fossile Brennstoff­e. Vermutlich ist der Peak erst 2050 erreicht.

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