Ja, beim Klima wird gelogen
Wir sind von der Energiewende viel weiter entfernt, als man uns weismachen will. Doch falsche Versprechungen und nicht realisierbare Vorhaben helfen nicht weiter.
‘‘ Ideologien vergehen schneller, als wir schauen können, aber das Thema Klimawandel wird bestehen bleiben.
Das Wort Wende bedeutet Richtungswechsel. Also wenn man vorher geradeaus gegangen ist, geht man nach einer Wende zurück, oder wenn der Wind beim Segeln oder in der Politik von links gekommen ist, kommt er nach der Wende von rechts. Eine Wende ohne Richtungswechsel ist schwer vorstellbar, man wird ihr in der wirklichen Wirklichkeit praktisch nie begegnen, sie ist nur in der Welt der Fantasie und Ideologie möglich, also in einer sich eingeredeten, nicht wirklichen Wirklichkeit. Leider dominieren solche Ideologien die Debatte, und sie haben das Zeug, von den wirklich wirklichen Problemen abzulenken, kollektiv zu defokussieren und in die Irre und den Abgrund zu führen.
Da der menschgemachte Klimawandel vom globalen atmosphärischen CO2-Gehalt (und anderen Treibhausgasen) abhängt, ist nur eine Zahl relevant: der globale CO2-Gehalt in der Atmosphäre. Die Energiewende – nicht die Klimawende – findet dann statt, wenn diese Zahl nicht mehr zunimmt, sondern ein Maximum erreicht und dann abnimmt. Wann also war die Energiewende, seit wann sinken die fossilen Energieträger in unserem Energiemix? Die Europäer sagen stolz: seit 1979, das war das Peak-Jahr mit 15,154 TWh, 2022 waren wir bei 11,529 TWh – 24 Prozent eingespart. Die Amerikaner hatten den Peak 2007 mit 23,576 TWh und sind jetzt, 2022, bei 21,595 TWh – acht Prozent.
Wir sind also nicht nur die Guten, sondern die Besten! Wie viel aber hat die EU im Vergleichszeitraum von ihren Emissionen ausgelagert, also wie viel Carbon haben wir im Zuge der Globalisierung für unsere Produkte und Dienstleistungen woanders verbrennen lassen, um sie dann zu importieren? „Our World in Data“gibt Aufschluss: etwa 40 Prozent. Also noch einmal gefragt: Seit wann haben wir in Europa die Energie- bzw. Emissionswende? Wenn ich jetzt richtig rechne: gar nicht! Die Europäer verursachen mehr CO2 als jemals zuvor – nur halt nicht auf eigenem Boden. Weil aber der menschgemachte Klimawandel vom globalen atmosphärischen CO2-Gehalt abhängt, ist es vollkommen egal, wie viel auf EU-Boden verbrannt wird. Also ist die wirkliche Energiewende eine unwirkliche Wirklichkeit, etwas, das man sich eingeredet hat.
Also jetzt einmal richtig: Wo ist die Emissionswende, also der Punkt, ab dem die fossilen Energieträger global nicht mehr zu-, sondern abnehmen? Global – nichts anderes zählt. Der UNEP-„Emissions Gap Report 2023“weiß es: 2022 war ein Rekordjahr an Treibhausgasemissionen, 2023 war wieder eines, eigentlich war bis 2020 fast immer eines, und der Verbrauch fossiler Energieträger wird wohl noch weiter zunehmen. Wie viel? Wie lange? Man betritt hier nun das Parkett der Vorhersagen und Prophezeiungen. Einige sagen, der Peak wird noch in dieser Dekade erreicht werden, andere sehen fossiles Wachstum noch bis in die 2050er-Jahre. So lange wird auch die Weltbevölkerung noch wachsen, dann sollte wohl mit abnehmenden Bevölkerungszahlen der Gesamtenergiebedarf und mit ihm der Verbrauch fossiler Energien zurückgehen. In vielen Regionen wird er bis 2050 noch massiv steigen, und zwar ausgerechnet in den Ländern, die sehr groß sind bzw. stark wachsen: China, Indien, Afrika.
Was ist, wenn der Emissionswendepunkt erreicht ist? Heißt das, dass sich das Klima wieder einpendelt, dass dann die Klimawende beginnt, also dass es nicht mehr heißer wird, sondern kühler? Nein, heißt es nicht. Das heißt nur, dass nicht jedes Jahr mehr Treibhausgase dazukommen als im Vorjahr, dass die Rekordjahre der Emissionen vorbei sind. Bevor die Klimawende beginnt, muss nämlich noch der CO2-Gehalt abnehmen, und das macht er erst, sobald das berühmte „Net Zero“erreicht wird, also weniger in die Atmosphäre kommt, als wieder entnommen wird durch Ozeane, Wälder und vielleicht irgendwann durch Carbon Capture und Storage auf industriellem Weg.
Noch geht es hinauf mit den CO2-Emissionen. Und bevor diese nicht anfangen hinunterzugehen, ist mit Net Zero – also damit, dass Emissionen quasi null erreichen – nix; es ist also noch ein eher weiter Weg.
Nicht so in einer anderen Welt: der Welt der Träume. In der EU zum Beispiel ist Net Zero kein großes Problem. Es gibt auch kein Problem mit den Vorhersagen, wann Net Zero eintritt, das passiert nämlich 2050. Muss es sogar, weil es verordnet ist. Da manche Länder immer besser sind als die EU, erreichen sie Net Zero auch schon bedeutend früher, Österreich zum Beispiel bereits 2040.
Es ist leicht, sich lustig zu machen über Politiker:innen, die scheinbar entkoppelt von der Welt die Wende herbeireden und erwarten, dass ihnen andere das abnehmen, oder die vielleicht selbst daran glauben. Aber Politik-Bashing greift zu kurz, das Thema ist zu komplex. Man versteht die Intention, die gute Absicht in der Politik. Man schafft ein gemeinsames Ziel, ein Narrativ. Es soll uns helfen, den Energiewandel, der, wenn konsequent vollzogen, ja jedem extrem wehtun kann, leichter zu ertragen. Es soll uns helfen, über den eigenen kleinen egoistischen Schatten zu springen und beizutragen zur Lösung des wichtigsten Problems der Menschheit.
Wenn die Politik nicht wirklich Wirkliches schafft, sondern nur eine Vorstellung, eine Ideologie, wenn man ganz streng ist : eine Lüge, eine gut gemeinte Notlüge, dann besteht die Gefahr, dass Ideologie Gegenideologie erzeugt. Wobei Ideologie oft schneller vergeht, als wir schauen können, während das Thema Klimawandel dank seiner Langsamkeit die nächsten Jahrzehnte bestehen bleiben wird. Das kann man nicht canceln.
Man versteht natürlich auch, dass der von der EU-Präsidentin ausgerufene Green Deal eine Reihe von Verordnungen und Richtlinien mit sich bringt, die zur Verbesserung der Situation beitragen sollen. Aber tun sie das? Man führt einerseits scheinbar Wirkungsloses ein, wie Emissionshandelszertifikate, die Firmen (noch) nichts kosten, man hält Banken zu einer sogenannten Taxonomie an, damit sie mehr oder weniger freiwillig nicht mehr in „braune Projekte“investieren. Andererseits tut man Dinge sehr deutlich nicht, die Expert:innen seit Jahrzehnten fordern: bindende Mindestreduktion von Emissionen pro Jahr und Land, Ausstieg von Subventionen für Transport, Ausstieg von Subventionen für Flugkerosin, bindende Obergrenzen für Masse, Hubraum und Emissionen für Pkw und Lkw, Umstieg von Zement/Stahl auf Holz im Bau, Reduktion von Höchstgeschwindigkeiten, verpflichtende Intensivierung von natürlichem Carbon Capture (Wald/Reduktion von Bodenversiegelung), Produktion von Erneuerbaren in den bestgeeigneten Weltregionen und Speicher/Transport in Form von Biofuels auf Basis bi- und multilateraler internationaler Abkommen und zu guter Letzt echte Assistenz für Länder, die noch viel geringeren fossilen Energiebedarf pro Kopf haben als wir im Westen und in China – die diesen aber ebenso wollen, um unsere Lebensstandards zu erlangen.
Wo liegen die Kipppunkte?
Eine spannende Frage ist, ob gute Absicht und halbherzige Umsetzung von halbherzigen Verordnungen und Richtlinien sogar kontraproduktiv sind, weil sie mehr Gegenideologie erzeugen, als sie an wirklich Wirklichem voranbringen. Und wäre eine nicht halbherzige Umsetzung der wirkungsvollen Schritte noch schlimmer, weil die Wirtschaft derart drunter leiden würde, dass sie wirklich schrumpft und gar zusammenbricht? Gute Fragen, aber wirklich schwer zu beantworten – es fehlen die Fakten.
Wenn Fakten fehlen, ist die Ideologie nicht weit. Wenn weite Teile der Bevölkerung das Gefühl bekommen, nachhaltig belogen worden zu sein, dass ihnen ein X für ein U vorgemacht wurde, eine bestenfalls bald geschaffte Emissionswende für einen quasi gemeisterten Klimawandel verkauft, kann die folgende Enttäuschung auch zu einer politi