Verschleppte Russinnen in Bahrain?
Expedition Europa: An einem späten Donnerstagabend wandere ich zum Hotel Beach Plaza. Zwei Roomboys sprechen mich an.
Gewiss weiß man nicht, wie viel man glauben darf, wenn die im Besitz von Putins Freund Kowaltschuk stehende „Iswestija“mit Verweis auf die russische Staatsanwaltschaft als Quelle dient. „Ermittlungsausschuss untersucht Fall von russischen Sexsklavinnen in Bahrain“, lautete der Titel einer Reportage im August. Als Beteiligte figurierten Europäerinnen: Die Opfer seien aus dem russischen Kaukasusvorland um Naltschik, Kislowodsk, Mineralnye Wody und Dagestan, die sechs angeklagten Frauen aus der tscherkessisch dominierten Teilrepublik Kabardino-Balkarien. Die Opfer – manche nur 13 bis 17 Jahre alt – seien nach Bahrain gelockt, in Wahrheit aber für 7000 bis 14.000 Dollar verkauft worden. Danach Abnahme der Reisepässe, monatelanges Einsperren, Drogen und Schläge und Entsorgung spät abgetriebener tot geborener Babys im Müll. Eine „Diana“sei 2013 nach einem Fluchtversuch zu Tode geprügelt und in der Wüste verscharrt worden.
Der „Iswestija“-Reporter fand in Bahrain heraus, dass die vor den Sexhotels werbenden „Roomboys“einen Russen niemals zu russischen Frauen führen, ansonsten wirkte der Artikel seltsam schludrig: Da wurde freihändig behauptet, die Zwangsprostituierten seien „Soldaten und Offizieren der in Bahrain stationierten 5. US-Flotte“zugeführt worden. Der Tatort wurde gar im falschen Rotlichtviertel verortet, in Juffair statt in Hoora.
Ich also nach Bahrain. Ins WochenendPuff der arabischen Halbinsel, das am Samstag, dem 4. März 2023, einen Rekord von 136.498 Reisenden auf der Dammbrücke nach Saudi-Arabien vermeldet. An einem späten Donnerstagabend wandere ich durch diese dichte Millionenregion zum Tatort, dem Hotel „Beach Plaza“. Prostituierte sind nicht zu sehen. Nur zwei Roomboys sprechen mich an, dürre Thailänder mit fauligen Zähnen. Beim palastartigen Polizeiposten Hoora bin ich fast am Ziel. Erst als einer Zwangsprostituierten die Flucht hierher gelungen war, wurde das Russenpuff ausgehoben. Der Beitrag Bahrains zur Aufklärung bestand augenscheinlich darin, die Opfer einen Monat einzusperren und dann zu deportieren.
Es gibt hier seltsam pfortenlose Appartement-Hotels. Das abgeschaltete Neonschild „Beach Plaza“hängt noch an einem nüchternen Doppelblock. Das Hotel war im hinteren Block, jetzt sind kleine Mietwohnungen zum Preis von 440, 535 und 610 Euro drin. Die Außen-Security taucht auf, ein „Watchman“in einem blauen Juventus-Leiberl. Er zeigt lächelnd auf den neuen Namen: „Peach Plaza“. Hier wohnen jetzt Familien, bis Corona wohnte hier das Personal eines anderen Hotels, das russische Sexhotel „gibt es schon sechs Jahre nicht mehr“. Ich staune: Warum tut die „Iswestija“so, als wäre der Menschenhandel gestern passiert? Damit sich niemand fragt, worauf die russischen Behörden sechs Jahre gewartet haben?
Der Watchman ist erschütternd zutraulich. Plötzlich prahlt er: „Das Haus gehört übrigens einem Mitglied des Königshauses.“Er nennt den Namen eines Bahrainer Scheichs, der auch seinen Arbeitsvertrag unterschrieben hat. Es läuft mir kalt über den Rücken: Kann das sein, dass dieser Scheich – dessen Name einem islamischen Würdenträger entspricht, der 2022 den Dialog zwischen dem Groß-Imam der Kairoer al-Azhar-Moschee und Papst Franziskus mitorganisiert hat – mehrere Jahre der Vermieter einer russischen Vergewaltigungsfabrik war? Es könnte erklären helfen, warum das sunnitische Königshaus den vom schiitischen Volk abgelehnten Sextourismus nicht abdreht.
Auf den paar Plastiksesseln vor dem Schawarma unter dem Beach-Plaza-Neon zappelt derweil ein angeheiterter Riader im traditionellen Saudi-Gewand herum. Das Vorhaben des hageren Geografielehrers um die 60: „Ein paar Bier und ein paar Mädels im Zimmer!“Das Appartement nebenan kostet umgerechnet 50 Euro, seine 20 Dosen Bier bloß je fünf Euro, eine halbe Stunde Bezahlsex nur 75. Er kommt seit 20 Jahren nach Hoora, denn in der Hauptstadt Manama gäbe es Razzien, „das kann ich nicht brauchen, ich will mich sicher fühlen, ich will hier entspannen, meine zwei Frauen machen mir Stress genug“. Siehe da, der Geografielehrer ist auf Russinnen fixiert. Er malt ihre Körper mit fließenden Handbewegungen nach: „Sie sind groß und weiß!“
Als ich ihn frage, ob er das „Beach Plaza“noch gekannt hat, stockt er. Hm, aha, so, so, irgendwann wohl davon gehört. Dann springt er auf und muss eilig weiter.