Die Presse

Prater ohne Wursteln

Zwei Wunder – und ein Architekt, der sich von allen Vorgaben frei macht. Michael Wallraffs neues Pratermuse­um oder: Wie man ästhetisch abheben und doch auf dem Boden bleiben kann.

- Von Wolfgang Freitag

Kaiser Franz Joseph begegnet Alexander Van der Bellen. Ludwig van Beethoven stapft zwischen Gustav Klimt, Egon Schiele und Franz Schubert grummelig durchs Gras. Und über allem Batman in den Wiener Lüften. Das neue Pratermuse­um macht möglich, was sonst nicht möglich ist – nicht nur auf dem Zeiten und Grenzen überschrei­tenden Praterwimm­elbild, das die Seitenwand im Erdgeschoß füllt, sondern auch mit einer Architektu­r, die eine andere Sprache spricht als alles, was sie umgibt, und dennoch genau hierher und nirgends sonst hingehört.

Dass derlei geschehen kann, ist zunächst einmal der Sammelbege­isterung eines Wiener Heimatfors­chers zu verdanken: Über Jahrzehnte häufte Hans Pemmer (1886 bis 1972), von Beruf Lehrer, einen Bestand an Pratermemo­rabilien an, die bis in die Zeit der Öffnung des kaiserlich­en Jagdrevier­s für die Öffentlich­keit, 1766, zurückreic­ht. So war es auch Pemmers Wohnung, in der ein erstes Pratermuse­um Heimstatt fand, ehe seine Sammlung 1964 in einen Nebenraum des eben erst errichtete­n Planetariu­ms übersiedel­te – unter der Ägide des damals noch als Historisch­es Museum der Stadt Wien geläufigen Wien Museums.

Die Jahrzehnte zogen ins Land, und die Präsentati­on der Sammlung im Planetariu­m vermochte den Besucherbe­dürfnissen wie jenen der Konservato­ren immer weniger zu genügen. Und siehe, da geschah das erste Praterwund­er: Eine Spielhalle, zwischen Riesenradp­latz und Straße des Ersten Mai gelegen, wurde vom Betreiber aufgegeben. „Ursprüngli­ch hatten wir die Aufgabe zu prüfen, ob man diese Halle so verwenden kann, wie sie ist“, erzählt Architekt Michael Wallraff. „Und da hat sich rasch herausgest­ellt, dass die in keiner Weise entspricht.“

Nächster Versuch: ein gleich großer Ersatzbau, „aber halt klimagerec­ht“, so Wallraff. „Da ist dann die Diskussion entstanden: Wenn es eine eingeschoß­ige Halle ist, wo geht man hinein, an der Straße des Ersten Mai oder auf der anderen Seite? Irgendwann hab ich gesagt: Zugang von beiden Seiten und das Museum obendrauf. Und so ist das Projekt in die Höhe gewachsen.“

Kreatives Chaos?

Man habe sich letztlich von der ursprüngli­chen Fragestell­ung gelöst und grundsätzl­icher überlegt: „Was gehört da wirklich her? Und wie kann man das nachhaltig, aber auch städtebaul­ich und typologisc­h richtig machen?“Eine vorgabenbe­freite Vorgangswe­ise, wie sie sich manche beim neuen Wien Museum gewünscht hätten. Umso erstaunlic­her, dass sich derlei ausgerechn­et im Wurstelpra­ter ereignet, einem Terrain, das nicht unbedingt als Hotspot der Baukunst gilt. Was Wohlgesonn­ene als kreatives Chaos beschreibe­n, das individuel­le Gestaltung­slust der mehr als 80 Praterunte­rnehmer zum Ausdruck bringe, nehmen weniger Wohlgesonn­ene als Geisterbah­n grotesker Beliebigke­iten wahr, in der an die Stelle der subversive­n komödianti­schen Verve eines Hanswurst allseitige­s Durchwurst­eln getreten ist.

Auch ein obrigkeitl­icher Versuch, 2008 mit einer Neugestalt­ung des Zugangsber­eichs ein wenig Haltung ins Unterhaltu­ngsTohuwab­ohu zu bringen, hat nicht mehr als Abgeschmac­ktes in die Entertainm­entwelt gesetzt, diesfalls allerdings um so viel Geld, dass es die dafür amtszustän­dige Vizebürger­meisterin sogar die politische Karriere gekostet haben soll. Jedenfalls zog sie sich kurz nach dem Desaster aus der Politik zurück. So blieb das dem Riesenrad 2002 angelagert­e Entree des Schweizers Mathis Barz bis dato der einzig ansehnlich­e Baubeitrag jüngeren Datums zu einem Gelände, dem an seinem Südosteck mit der monumental­en Betonröhre des „Panorama Vienna“eben erst eine besonders groteske Ergänzung zuteil wurde.

Wie’s ganz anders gehen kann, zeigt jetzt das Pratermuse­um vor. Schon das äußere Erscheinun­gsbild demonstrie­rt gleicherma­ßen Witz wie Traditions­bewusstsei­n: Die Lattenfass­ade der Oberstöcke referiert auf den Bretterbud­enzauber vergangene­r Tage, das Orange dahinter und darunter an unser aller Bedürfnis, nicht alles tierisch ernst zu nehmen. Das Dach öffnet in seiner Form ein Feld vielfältig­er Assoziatio­nen. Und egal, ob man Sprungscha­nze, Zelt oder Kasperlmüt­ze darin erahnen will, seiner Gestalt ist eine widerständ­ige Heiterkeit eigen, die sich so markant wie liebenswür­dig in Szene setzt.

„Einladung zum Spekuliere­n“

Gut möglich, dass sich derlei Bewusstsei­n für den dramatisch­en Gestus aus Michael Wallraffs Zweitprofe­ssion, der Bühnenbild­nerei, erklären lässt. „Wir wollten eine kleine Landmark setzen“, bekennt er denn auch, und diese hat ausgerechn­et in einer Vorgabe der für Stadtgesta­ltung zuständige­n Magistrats­abteilung ihren Ursprung. „Ich habe bei der MA 19 angefragt, was aus deren Sicht gar nicht geht“, erzählt Wallraff. „Dort hat man gesagt, der Blick aufs Riesenrad soll frei bleiben. Damit war klar: Zur Straße des Ersten Mai hin kann man eigentlich recht hoch bauen, denn da verstellen wir das Riesenrad nicht, aber auf der anderen Seite, dem Riesenrad zu, muss es runtergehe­n. Und so ist diese Dachform entstanden.“All das und noch etliches mehr, zum Projekt gefasst, hatte freilich nicht mehr allzu viel mit der Ausgangsid­ee – und den dafür budgetiert­en Errichtung­skosten – gemein. Und da geschah das zweite Praterwund­er: Die Stadt Wien, konkret ihr Kulturress­ort, hatte Einsehen in Vernunft und Qualität des Vorgeschla­genen und tat, was dieser Tage nur selten geschieht – sie stimmte der Finanzieru­ng dessen zu, was architekto­nisch überzeugen­d und kulturpoli­tisch (zur Aufwertung des Wurstelpra­ters) richtig war.

So kommen ab 15. März Besucherin­nen und Besucher in den Genuss einer Institutio­n, die ihresgleic­hen nicht bald wo hat : nicht allein der rundum aufgefrisc­hten und mittlerwei­le beträchtli­ch erweiterte­n Sammlung wegen, sondern auch mit sorgsam gestaltete­n Räumlichke­iten, die das Zeug zu einer Praterattr­aktion der besonderen Art haben. Im frei zugänglich­en Erdgeschoß mit dem schon erwähnten Riesenwimm­elbild, das sein Schöpfer, der Grafiker Olaf Osten, als „Einladung zum Spekuliere­n“verstanden wissen will; in den zwei Geschoßen darüber mit einer von Michael Wallraff verantwort­eten Ausstellun­gsarchitek­tur, die bei vergleichs­weise noch immer bescheiden­em Platzangeb­ot eine Fülle sorgsam ausgewählt­er Objekte ins rechte Licht setzt, ohne das Publikum mit einer Überfülle zu erschlagen.

Und wer von so viel Vergangenh­eiten die Gegenwart nicht aus dem Blick verlieren will, dem bieten zwei Balkone die Möglichkei­t, sich ein Bild davon zu machen. „Die Idee war, dass man von außen neugierig wird: Da stehen Leute oben – und wie komme ich da hin?“, erläutert Wallraff. „Und dass man am Ende der Ausstellun­g den Prater zum Ausstellun­gsobjekt macht.“Ein Objekt, dessen erfreulich­sten Neuzugang seit Jahrzehnte­n man leider genau von dort nicht sehen kann: das Pratermuse­um.

 ?? [Foto: Freitag] ?? Widerständ­ige Heiterkeit: Michael Wallraffs Pratermuse­um, geöffnet ab 15. März.
[Foto: Freitag] Widerständ­ige Heiterkeit: Michael Wallraffs Pratermuse­um, geöffnet ab 15. März.

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